# taz.de -- Waldbrände in Australien: Das „Tschernobyl der Klimakrise“ | |
> Extreme Hitze, zerstörte Parks, Militär als Menschenretter. Ein | |
> Schriftsteller zieht Parallelen zwischen Australien und dem Ende der | |
> Sowjetunion. | |
Bild: Red Skies Over Paradise: Himmel über der Stadt Mallacoota, aus der Touri… | |
CANBERRA taz | Das Wetter an der Südostküste Australiens erinnerte am | |
Samstag an die Atmosphäre in einem Heißluftbackofen: Temperaturen von bis | |
zu 46 Grad, heiße Winde aus allen Richtungen. In Kombination mit dürrer | |
Vegetation seien dies „die schlimmsten und gefährlichsten Bedingungen für | |
den Kampf gegen die Waldbrände, die sich Feuerwehrleute vorstellen können“ | |
so ein Sprecher der ländlichen Feuerwehr. | |
Alleine im Bundesstaat New South Wales tobten am Nachmittag Ortszeit noch | |
über 160 Brände – 12 außer Kontrolle. Tausende von Quadratkilometern Land | |
unterliegen weiter einer Notverordnung. Vielerorts sind die Einsatzkräfte | |
überfordert, wenn nicht überwältigt von der Intensität und der | |
Geschwindigkeit der Brände. | |
Nicht nur in den Bundesstaaten New South Wales und Victoria tobten | |
Großfeuer, die zum Teil ganze Ortschaften gefährdeten. Die auch unter | |
europäischen Touristen beliebte Kangaroo Island im Bundesstaat | |
Südaustralien wurde großflächig von den Flammen heimgesucht. Zwei Menschen | |
verbrannten in ihrem Auto, als sie von einem „nicht aufzuhaltenden Feuer“ | |
überrascht wurden, wie die Behörden erklärten. | |
Der weltbekannte [1][Flinders-Chase-Nationalpark] brannte fast vollständig | |
aus. Das Naturparadies ist bekannt für Koalas, Ameisenigel (Echidnas) und | |
Kängurus. Die Fünfstern-Hotel Southern Ocean Lodge wurde komplett | |
vernichtet. | |
## Marine evakuiert Touristen | |
Nach langem Zögern ordnete die Regierung eine deutliche Ausweitung der | |
Hilfe durch die Armee an. Drei Kriegsschiffe evakuierten gestrandete | |
Touristen aus Küstenstädten. 3.000 Reservisten wurden zu einem | |
Pflichteinsatz einberufen – zum ersten Mal in der Geschichte Australiens, | |
so die zuständige Ministerin Linda Reynolds. Militäranlagen werden als | |
Notunterkünfte genutzt für jene, die alles verloren haben, außer den | |
Kleidern, in denen sie den Flammen entkommen sind. | |
Die Regierung ist seit Wochen unter Beschuss, weil sie die Warnungen | |
prominenter Experten nicht ernstgenommen habe. So hatte eine Gruppe | |
ehemaliger Feuerwehrkommandanten schon vor Monaten auf die | |
Wahrscheinlichkeit einer Eskalation hingewiesen und die Regierung gemahnt, | |
sie müsse mehr Löschflugzeuge bereitstellen. | |
Premierminister Scott Morrison weigerte sich aber, sie zu treffen, weil die | |
Gruppe in Verbindung mit dem bekannten Umweltwissenschaftler Tim Flannery | |
stehe. Dieser kritisiert die klimaskeptische Position Canberras und den | |
mangelnden Willen der konservativen Regierungskoalition für tiefgreifenden | |
Klimaschutz. | |
Selbst führende Konservative fürchten inzwischen, die | |
wissenschaftsfeindliche und kohlefreundliche Haltung des | |
Regierungskabinetts, die höchstens einen minimalen Zusammenhang zwischen | |
den Bränden und der Erderwärmung sehen will, sei langfristig politisch | |
nicht mehr tragbar. | |
Bisher hat die Regierung die Unterstützung der konservativen Medien des | |
Amerikaners Rupert Murdoch. Dessen marktbeherrschenden Zeitungen und eine | |
Fernsehstation publizieren seit Jahren Informationen, die | |
Klimawissenschaften verunglimpfen und den Klimawandel als Mythos | |
darstellen. | |
## „Das Establishment ist verrückt geworden“ | |
Richard Flanagan, einen der führenden Denker Australiens und mehrfach | |
ausgezeichneten Schriftsteller, erinnert die Situation „ auf unheimliche | |
Weise an die Sowjetunion in den 1980er Jahren, als die regierenden | |
Apparatschiks allmächtig waren, aber die grundlegende, moralische | |
Legitimität zum Regieren verloren hatten.“ | |
[2][In einem Kommentar in der „New York Times“] schreibt Flanagan, „die | |
Australier wollen mit großer und wachsender Mehrheit etwas gegen den | |
Klimawandel unternehmen und stellen nun die Frage nach der wachsenden Kluft | |
zwischen den ideologischen Phantasien der Regierung Morrison und der | |
Realität eines ausgetrockneten, sich schnell aufheizenden, brennenden | |
Australiens“. Im heutigen Australien sehe sich „das politische | |
Establishment, das durch seine eigenen Fantasien verödet und verrückt | |
geworden ist, einer monströsen Realität gegenüber, der es weder die | |
Fähigkeit noch den Willen hat, sich zu stellen.“ | |
Flanagan erinnert an die Bemerkung des letzten sowjetischen Führers Michail | |
Gorbatschow, wonach der Zusammenbruch der Sowjetunion mit der | |
[3][Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986] begonnen hatte. Nach dieser | |
Katastrophe „wurde das System, wie wir es kannten, unhaltbar“, so | |
Gorbatschow 2006. „Könnte es sein, dass sich die immense, sich immer noch | |
entfaltende Tragödie der australischen Brände als das Tschernobyl der | |
Klimakrise erweisen könnte?“, fragt Flanagan rhetorisch. | |
4 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.parks.sa.gov.au/find-a-park/Browse_by_region/kangaroo-island/fl… | |
[2] https://www.nytimes.com/2020/01/03/opinion/australia-fires-climate-change.h… | |
[3] /30-Jahre-Tschernobyl/!5299223 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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