| # taz.de -- US-Präsidentschaftskandidatur von Harris: Die Zeit ist reif | |
| > Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris gewinnt gerade die Gunst der Frauen. | |
| > Sie soll einen alten Traum wahr machen: eine Frau im Weißen Haus. | |
| Bild: Kamala Harris in Milwaukee | |
| Sie waren einfach zwei kleine schwarze Mädchen, Freundinnen, die im | |
| kalifornischen Berkeley in recht durchschnittlichen Verhältnissen | |
| aufwuchsen. Das ist Jahrzehnte her, über ihr Milieu sind sie seit dem weit | |
| hinausgewachsen. Und an diesem Abend steht Stacey Johnson-Batiste nun auf | |
| der Bühne im United Center in Chicago. Die Demokraten haben sie [1][beim | |
| Krönungsparteitag für Kamala Harris] aufgeboten, um – wie so viele vor und | |
| nach ihr in diesen Tagen, in dieser jubeltrunkenen Halle – Kamala Harris’ | |
| Charakter zu preisen, Harris’ Einsatz für Gerechtigkeit. Die stärksten | |
| Worte bei dem Ruf aus der Kindheit aber fallen Doris Johnson zu, ihrer | |
| Mutter, die mit ihr auf der Bühne steht. „Kamala“, beendet Doris Johnson | |
| mit brüchiger Stimme den Auftritt, „deine Mutter wäre so stolz auf dich.“ | |
| Einen Jubeltag später spricht auch Michelle Obama, die heimliche Kandidatin | |
| der Herzen, an der gleichen Stelle von ihrer kürzlich verstorbenen Mutter. | |
| Das letzte Mal sei sie in ihrer Heimatstadt gewesen, um ihrer zu gedenken, | |
| „der Frau, die mir einen starken moralischen Kompass gegeben, die mir die | |
| Kraft meiner Stimme gezeigt hat“. Sie sei deshalb nicht sicher gewesen, ob | |
| sie hier auftreten könne. Doch ihr Herz, sagt Michelle Obama, habe sie | |
| gedrängt hier zu sprechen, „um die Erinnerung an meine Mutter zu ehren“. | |
| Was haben sie auf diesem Parteitag nur mit den Müttern? | |
| Michelles Ehemann Barack Obama war 2009 als erster schwarzer Präsident ins | |
| Weiße Haus eingezogen. Mit „Yes, we can“ hatte er, der Senator aus | |
| Illinois, sich schon parteiintern gegen die New Yorker Senatorin Hillary | |
| Clinton durchgesetzt. Die Zeit war reif für den ersten Schwarzen im Weißen | |
| Haus. | |
| Acht Jahre später, im Duell gegen Donald Trump, träumte dieselbe Hillary | |
| Clinton dann als demokratische Präsidentschaftskandidatin davon, die | |
| gläserne Decke zu durchstoßen. Für alle Frauen, „die sich gefragt haben, ob | |
| sie jemals Präsidentin der Vereinigten Staaten sein könnten, … für alle | |
| Mütter, die ihren Töchtern sagen: Ihr könnt alles sein, was ihr wollt.“ Die | |
| große Party im Javits Convention Center in Manhattan fiel am Wahlabend im | |
| November 2016 aus. Und das Mütter-Motiv steht heute sinnbildlich für eine | |
| Hoffnung: dass die Zeit endlich endlich reif ist für eine Frau im Weißen | |
| Haus. | |
| ## Der trunkene Kamala-Rausch | |
| Als Hillary Clinton in Chicago an der Reihe ist Harris ihren Segen zu | |
| geben, spricht sie von einem „neuen Kapitel in der amerikanischen | |
| Geschichte“, von etwas, „auf das wir so lange hingearbeitet, von dem wir so | |
| lange geträumt haben“, „von einer Zukunft, wo es keine gläserne Decke für | |
| unsere Träume gibt“. | |
| Sie träumt noch immer von einer Präsidentin im Weißen Haus. Und sie träumt | |
| nicht alleine. Der trunkene Kamala-Rausch der Demokraten – keine und keiner | |
| der scharfen Harris-Kritiker.innen will hier in Chicago mit nüchternen | |
| Worten stören – wirkt ansteckend. Je nach Umfrage führt Harris auf | |
| nationaler Ebene im Moment mit 3 bis 6 Prozent vor dem republikanischen | |
| Kandidaten Donald Trump. Wer im November vorne liegen wird, ist damit nicht | |
| gesagt. Blaue (Farbe der Demokraten) und rote (Republikaner) Linien laufen | |
| in Grafiken, die die Ergebnisse von Wahlumfragen abbilden, noch relativ | |
| parallel. Aber es ist denkbar. Bei Joe Biden war das anders. Denn auch von | |
| den wichtigen sechs Swing States, wo am 5. November die Wahl | |
| voraussichtlich entschieden wird, kann sie im Moment vier verbuchen. | |
| Wie abstrakte Geometrie sehen dann Grafiken aus, die nach Geschlechtern | |
| differenzierte Umfrageergebnisse darstellen. Rote Linien, rote Pfeile | |
| weisen nach unten, blaue Linien und Pfeile zeigen steil nach oben. Auch | |
| Donald Trump kann auf einen fanatischen Frauenanteil zählen. Doch Harris | |
| mobilisiert gerade Frauen, Mütter, Töchter. Überproportional viele Frauen | |
| wünschen sich Kamala Harris im Weißen Haus. Wie Anusha Mathur in Politico | |
| schreibt, wird gerade aus dem Gender Gap zwischen den Wahlpräferenzen von | |
| Männern und Frauen „ein Abgrund“. | |
| Die Washington Post stellt eine „Sienna“-Umfrage aus dem Juli einer neuen | |
| CBS-News/YouGov-Umfrage gegenüber: Während Frauen Biden gegenüber Trump nur | |
| zu 6 Prozent mehr unterstützt hätten (49 zu 43 Prozent), sind es jetzt 12 | |
| Prozent (56 zu 44 Prozent). Noch muss diese Auswertung bestätigt werden, | |
| und andere Ergebnisse der Umfrage, die auf die Beliebtheit der | |
| Kandidat.innen gehen, sind für Harris nicht schmeichelhaft. Landesweite | |
| Umfragen haben zudem nur eine relative Relevanz. | |
| ## Eine neue Form der „Americanness“ | |
| Doch in den entscheidenden Swing States Arizona, Georgia, Nevada, Michigan, | |
| Pennsylvania und Wisconsin verschiebt sich nach „Sienna“ die Wahlpräferenz | |
| im Schnitt ebenfalls um 10 Prozent bei den Frauen zugunsten von Harris. | |
| Besonders in den Sun-Belt-Staaten Arizona, Georgia und Nevada schneidet die | |
| Kandidatin gut ab. „Es handelt sich um die größte geschlechtsspezifische | |
| Diskrepanz, die wir je gesehen haben“, zitiert Politico Paul Maslin, | |
| Meinungsforscher vom Institut FM3. | |
| Bislang macht Kamala Harris keine Anstalten, auf dem Frauen-Ticket zu | |
| fahren. Harris als personifizierte Mischung der Hauttöne und Herkünfte der | |
| US-Amerikanerinnen und -Amerikaner soll zentrales Element des | |
| demokratischen Wahlkampfes sein. Eine [2][neue Form der „Americanness“ | |
| nennt der Präsident des Demokraten-nahen Think Tanks „Center for American | |
| Progress“ Patrick Gaspard] das. Harris kann denn auch skeptische Schwarze, | |
| Latinos und Latinas, die sich von Biden abgewandt hatten, zurückholen. 84 | |
| Prozent der Schwarzen und 54 Prozent der Latinos und Latinas sind nach den | |
| Umfragen derzeit an Harris’ Seite. | |
| Dennoch mobilisiert kein Thema so sehr und könnte auch im November so | |
| entscheidend werden wie das Geschlecht der Kontrahent.innen. Glaubwürdiger | |
| als der Katholik Joe Biden kann die progressive Frau aus Kalifornien auch | |
| den [3][Kampf um die reproduktiven Rechte der Frauen] repräsentieren. | |
| Zwar müht sich Donald Trump, von der allzu evangelikal-christlichen | |
| Position zu Abtreibungen Abstand zu gewinnen. Aber es war das von ihm | |
| selbst reaktionär besetzte höchste Gericht der USA, das die liberalere | |
| Abtreibungsregelung aufgehoben hat. Und schon das relativ gute Abschneiden | |
| der Demokraten bei den Midterm-Wahlen im November 2022 war zu guten Teilen | |
| der Mobilisierung zum Abtreibungsrecht zu verdanken. | |
| An diesem Abend im August 2024 in Chicago, dem Geburtsort ihrer Mutter, | |
| reicht Hillary Clinton den Stab an Kamala Harris weiter. Sie beruft sich | |
| auf große Frauen in der US-Geschichte, die den Kampf um die Rechte von | |
| Frauen geführt haben, wie Shirley Chisholm, die erste schwarze Frau im | |
| Kongress (1969) und die erste Frau und Afroamerikanerin, die sich um die | |
| Nominierung als Präsidentschaftskandidatin beworben hatte (1972). Und auch | |
| Hillary Clinton lässt ihre Mutter zu Wort kommen: „Ich wünschte, meine | |
| Mutter und Kamalas Mutter könnten uns sehen. Sie würden sagen: Keep going. | |
| Macht weiter.“ | |
| 21 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
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