# taz.de -- Tierversuche in der Forschung: Stress-Test mit Mäusen | |
> In der Forschung werden immer noch zahlreiche Versuche mit Tieren | |
> durchgeführt. Manche werden als notwendig erachtet, andere sind nutzlos. | |
Bild: Labormäuse gehören zu den am häufigsten genutzten Versuchstieren. 2017… | |
Eine Maus schwimmt in einem Becher mit Wasser. Anfangs strampelt sie wild | |
umher, erkundet die Umgebung. Doch es gibt kein Entkommen und irgendwann | |
gibt sie auf. Sie lässt sich an der Oberfläche treiben – das sogenannte | |
Floating-Verhalten. So funktioniert der „Forced Swim Test“, der derzeit | |
stark kritisiert und diskutiert wird. Denn dieser Test galt lange Zeit als | |
Messung für depressives Verhalten: Begannen die Mäuse früh mit dem | |
Floating, wurde das als Anzeichen für Depressionen gewertet. | |
Diese Interpretation bezweifeln viele Forscher, dennoch wird der Test seit | |
den 1970ern häufig angewandt. Jan Deussing leitet am Max-Planck-Institut | |
für Psychiatrie in München eine Arbeitsgruppe, die mit Mäusen arbeitet. Für | |
ihn hat der Forced Swim Test nichts mit Depressionen zu tun. „Es ist eher | |
ein Stress-Test, bei dem die Tiere unterschiedliche Strategien entwickeln. | |
Entweder, sie versuchen, aktiv der Situation zu entkommen. Oder aber, sie | |
lassen sich treiben und sparen so Energie.“ | |
Die Tierrechtsorganisation Peta startete Ende letzten Jahres eine Petition | |
gegen den Test. Es sei ein grausamer und völlig nutzloser Test, schreiben | |
sie auf ihrer Website. Erste Erfolge sind zu verzeichnen, denn | |
Pharmaunternehmen wie Roche, AbbVie und Johnson&Johnson führen nun keinen | |
Forced Swim Test mehr durch und finanzieren ihn auch nicht. | |
Andere Versuche mit Tieren sind dennoch nötig. Beispielsweise werden neue | |
Medikamente zuerst an Tieren getestet, bevor klinische Studien am Menschen | |
beginnen dürfen. Generell gelten für Wissenschaftler die „3 R“: | |
Replacement, Reduction, Refinement. Das bedeutet, dass Tierversuche nur | |
dann durchgeführt werden, wenn sie unbedingt nötig sind. Dabei werden | |
möglichst wenige Tiere verwendet und das Leiden gering gehalten. | |
Jan Deussing glaubt, dass die Wissenschaft im Hinblick auf die Tierversuche | |
mittlerweile umdenkt. Einfache Verhaltenstests verlieren an Bedeutung. | |
Stattdessen versucht man, komplexes Verhalten zu studieren und zu sehen, | |
was dabei im Gehirn passiert. Möglichst natürlich sollen die Situationen | |
sein: „Anstatt einzelne Tiere zu untersuchen, schaut man auch auf das | |
Verhalten in der Gruppe, vielleicht nicht in einer Test-Apparatur, sondern | |
im Heimkäfig.“ | |
## Transgene Mäuse | |
So untersucht Deussing in seinem Labor beispielsweise, welche Rolle | |
bestimmte Gene bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung spielen. Dazu | |
verändern er und sein Team den genetischen Code von Mäusen und analysieren | |
die Auswirkungen – beispielsweise, wie diese Tiere auf Stress reagieren. | |
Als belastende Situation nutzt Deussing sozialen Stress. Das Versuchstier | |
wird von einer dominanten Maus unter Druck gesetzt, wobei sie räumlich | |
voneinander getrennt sind, sich also nicht berühren können. | |
Psychische Erkrankungen sind in Experimenten schwer nachzubilden, denn sie | |
sind komplex, mit variablen Symptomen. Einige Aspekte, wie beispielsweise | |
Abhängigkeit oder Angst, lassen sich dennoch gut im Tierversuch | |
untersuchen. Andererseits gibt es Fragestellungen, die man nur am Menschen | |
beobachten kann. Professor Andreas Meyer-Lindenberg ist | |
Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in | |
Mannheim und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er | |
beschäftigt sich schon lange mit der Translation, also der Übersetzung von | |
Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen. „Wenn Patienten | |
beispielsweise Stimmen hören, kann ich das offensichtlich nicht am Tier | |
untersuchen“, erklärt Meyer-Lindenberg. | |
Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Schizophrenie, | |
Sucht: Am ZI werden psychische Erkrankungen aus verschiedenen Blickwinkeln | |
untersucht. Die Grundlagenforschung am Tier ist dabei sicher wichtig, doch | |
Andreas Meyer-Lindenberg und seine Kollegen wollen besonders die Forschung | |
mit und am Menschen voranbringen. Ende September eröffneten sie dazu das | |
Zentrum für innovative Psychiatrie- und Psychotherapieforschung (ZIPP). | |
Hier sollen zum Beispiel neue Medikamente in klinischen Studien getestet | |
werden. Doch nicht nur das: „Besonders wichtig ist es, Medikamente und | |
psychotherapeutische Verfahren zu kombinieren“, so Professor | |
Meyer-Lindenberg. „Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die für sich | |
allein gar nicht so wirksam sind. Gemeinsam mit einer psychotherapeutischen | |
Intervention verstärken sie die Effekte der Therapie aber deutlich.“ | |
Das ZIPP ist für eine solche Forschung schon durch seine Lage bestens | |
vorbereitet. Es befindet sich im Keller des Therapiegebäudes am ZI, also in | |
unmittelbarer Nähe der Patienten. Zudem ist es ausgestattet mit modernen | |
Geräten. So können die Wissenschaftler gleichzeitig winzige Mengen | |
radioaktiv markierter Substanzen im Gehirn verfolgen und die Hirnfunktion | |
messen. Mit einem Magnetresonanztomografen beobachten sie in Echtzeit, | |
welche Nervenzellen gerade aktiv sind – ganz ohne Elektroden am Kopf. | |
## Virtuelle Realitäten | |
Spannend für die Weiterentwicklung der Psychotherapie ist das Labor für | |
Virtuelle Realität (VR). „Wenn jemand Höhenangst hat, begibt man sich in | |
der Therapie normalerweise in genau so eine Situation“, erklärt | |
Meyer-Lindenberg die sogenannte Expositionstherapie. „Aber ich kann ja | |
nicht jedes Mal mit meinem Patienten auf einen hohen Turm steigen.“ | |
Stattdessen könne man nun im VR Labor die Erlebnisse so realistisch | |
darstellen, dass der Patient seine Angst allmählich verlernt. „Es ist schon | |
eindrucksvoll, wie überzeugend die Simulationen sind.“ | |
Es gibt mittlerweile mehrere Studien, die positive Effekte von VR für | |
verschiedene psychische Erkrankungen nachweisen. Von Phobien über PTBS und | |
Depressionen bis hin zu chronischen Schmerzen und intensivem Stress ist | |
alles denkbar. Tatsächlich wird VR bereits dazu genutzt, um Patienten von | |
ihren Schmerzen abzulenken, beispielsweise beim Wechseln der Bandagen von | |
Menschen mit schweren Verbrennungen oder der Physiotherapie vernarbten | |
Gewebes. | |
Auf Tierversuche wird die Forschung in absehbarer Zeit nicht verzichten | |
können. Doch ist es wichtig, sich immer zu fragen, was man mit einem | |
bestimmten Experiment untersuchen kann, und was nicht. Dafür ist ein | |
offener Dialog der Wissenschaftler untereinander und mit der Öffentlichkeit | |
unumgänglich. Die Methoden entwickeln sich immer weiter, Techniken von | |
Zellkulturen bis zu Computersimulationen verbessern die Forschung. In einer | |
guten Mischung aller Möglichkeiten liegt die Chance, wichtige Fragen zu | |
klären – für Tier und Mensch. | |
7 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefanie Uhrig | |
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