# taz.de -- Therapeut Jesper Juul zu Patchworkfamilien: "Es sind ja hauptsächl… | |
> Wenn Eltern auseinandergehen, ist das für viele Kinder traumatisierend, | |
> sagt Familientherapie-Ikone Jesper Juul. Und erklärt, wie | |
> Patchworkfamilien funktionieren können. | |
Bild: Wichtig: Der Blick auf Väter. Stiefväter müssen ihre Rolle erst noch f… | |
taz: Könnten Sie in zwei, drei Sätzen sagen, wie Patchworkfamilien gut | |
funktionieren können? | |
Jesper Juul: Im Grunde ist es genau dasselbe wie in jeder anderen Familie, | |
etwa sollte man dem Kind gleichwürdig begegnen, nur dass dann noch ein paar | |
Sachen dazukommen. Ich glaube, es ist zum Beispiel wichtig, dass man von | |
Anfang an sogenannte Familienkonferenzen macht, bei denen jeder reihum | |
sagen kann - ohne dass die anderen dies bewerten -, was ihm auf dem Herzen | |
liegt. Jede Patchworkfamilie ist ein soziales Experiment, da ist es gut, | |
einmal im Monat zu wissen, wo die Familie mit diesem Experiment steht. | |
Kann man sagen, dass Patchwork gut für Kinder ist, etwa weil es für das | |
Leben schult? | |
Ja, aber nur dann, wenn der Bonusvater oder die Bonusmutter ein guter | |
Erwachsenenfreund wird. Patchworkkinder sind ja heute oft Pendler, daraus | |
ergeben sich viele Schwierigkeiten. Wenn die leiblichen Eltern sich dann | |
nicht gut einigen, nicht reden oder ständig nur streiten, wo geht das Kind | |
dann hin mit seinen Sorgen? Dann ist es gut, wenn es eine Bonusmama oder | |
einen Bonuspapa gibt, der etwa mal alleine mit dem Kind zum Pizzaessen geht | |
und sich seine Probleme anhört. | |
Wie soll man es nicht machen? | |
Schlecht ist es, wenn Eltern nach der Trennung wegen Schuldgefühlen dem | |
Kind zu viele Freiheiten einräumen. Wenn dann nämlich ein Stiefvater | |
dazukommt und die Erzieherrolle übernimmt, dann entstehen die vielen | |
Probleme. Dann fangen die Erwachsenen an, sich wegen des Kindes zu | |
streiten. Kinder sind aber überzeugt, dass der Fehler bei ihnen liegt. | |
Zudem kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Kind und Stiefvater. | |
Sie sagen: Kinder zwischen 3 und 13 Jahren haben es in Patchworkfamilien am | |
schwersten. | |
Die ganz kleinen Kinder sind gefühlsmäßig nicht so berührt. Die trauern | |
nicht so viel. Tatsache ist, dass, wenn sich die Eltern trennen, die Kinder | |
meist bei der Mutter leben. Der Vater war vorher zu 80 Prozent der Fälle | |
aber gar nicht anwesend. Es konnte also auch keine Bindung zum Vater | |
entstehen. | |
Sollten Eltern also wegen der Kinder möglichst lange zusammenbleiben? | |
Das ist schwierig zu beurteilen. Als Psychotherapeuten haben wir viele | |
Erwachsene in unserer Praxis getroffen, die in so einer Familie gelebt | |
haben. Die einen sagten: "Das war ein Elternhaus ohne Liebe." Andere sagen: | |
"Mir hat das gut gepasst." Alles, was wir wissen, ist: Es geht den Kindern | |
optimal gut, wenn die Eltern anständig miteinander umgehen, dazu gehören | |
auch Emotionen wie Trauer und Wut, das schadet niemandem. | |
Bedeutet die Trennung der Eltern immer ein Trauma für Kinder, oder wie kann | |
man das annehmbar gestalten? | |
Eine Trennung bedeutet für alle Beteiligten Trauer. Aber es kommt bei den | |
Kindern nur zu einer Traumatisierung, wenn die Scheidung sehr dramatisch | |
verläuft, besonders wenn die Eltern die Kinder gegeneinander benutzen. Ich | |
glaube, dass Trennungen für viele Kinder viel traumatisierender sind, als | |
wir meinen. Aber es ist politisch nicht korrekt, das zu sagen, darum gibt | |
es auch keine Forschungsgelder. Allerdings wäre es wichtig, hier mehr | |
Klarheit zu haben, Kinder können nämlich auf Traumata genau wie Erwachsene | |
mit einem Posttraumatischen Stresssyndrom reagieren. Dann verlieren sie das | |
Kurzzeitgedächtnis und die Leistungen in der Schule sacken ab. | |
Patchworkfamilien gab es ja eigentlich schon immer, warum hat der Mensch | |
bis heute keine gute soziale Anpassung an diese Familienform entwickelt? | |
Früher hatten wir es mit einer anderen Art Stieffamilie zu tun. Da sind die | |
Mütter im Kindsbett gestorben und es war eine soziale Notwendigkeit für den | |
Mann, sich eine neue Frau zu suchen. Der Mann erwartete von ihr, dass sie | |
jetzt alles übernimmt, was mit Haushalt, Arbeit auf dem Feld und den | |
Kindern zu tun hat. Das war eine Überforderung. Den Mann konnte sie aber | |
nicht damit konfrontieren, sie konnte sich auch nicht einfach scheiden | |
lassen. Das hat aus den Stiefmüttern wütende, aggressive und bittere Frauen | |
gemacht, die ihre Wut häufig an den Kindern ausließen. Und das hat zu dem | |
schlechten Image der "bösen Stiefmutter" geführt, das wir auch aus Märchen | |
kennen. Heute gibt es ja hauptsächlich Stiefväter. Sie müssen ihre Rolle | |
erst noch finden. | |
8 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Jesper Juul | |
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