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# taz.de -- Theaterpremiere in Hamburg: Smarte Oberfläche
> Roland Schimmelpfennigs Stück „Spam“ erzählt vom Abbau der Rohstoffe, d…
> in unseren Handys landen. Den besten Auftritt hat Bühnenbildner Wilfried
> Minks.
Bild: Versprüht melancholischen Charme als Kapitänin: Katja Danowski
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass in jedem Mobiltelefon ein
Rohstoff steckt, den man das Gold des Kongo nennt. Coltan wird in
Zentralafrika abgebaut, unter ausbeuterischen Bedingungen, aber wer denkt
beim Kauf seines Smartphones schon darüber nach? Oder nutzt ein Fairphone?
Das Metall steckt in kleinen Mengen in jedem Gerät, das Geschäft damit ist
groß, die Rat- und Hilflosigkeit im Umgang damit auch. Man kann betroffen
sein oder anklägerisch – oder wie der Dramatiker Roland Schimmelpfennig den
Abhängigkeiten und Verwicklungen in ihrem blinden Lauf folgen.
In seinem neuen Theaterstück „Spam – Fünfzig Tage“, von ihm selbst am
Schauspielhaus Hamburg am vergangenen Freitag uraufgeführt, ist von einer
solchen Erzmine die Rede, in der sich eine Tragödie wie aus der dritten
Welt entspinnt. Der Stollen bricht bei Regen ein, ein Arbeiter wird
verschüttet. Fortan wird nicht mehr nach Erz gegraben, sondern nach dem
Toten. Gefunden wird nicht nur eine Leiche, sondern ein ganzer Keller
voller Leichen, die ans Tageslicht befördert werden: 400 Tote, die der
Minenchef aus der Grube buddelt, bis er selbst am heruntergezählten
fünfzigsten Tag stirbt.
Vorhersehbar ist sein Ende jedoch nicht. Denn das Sozialdrama ist noch in
die Irrealis eines Märchens verpackt, das von einem Mann berichtet – einem
Riesen, durch dessen Herz ein Zug fährt, mit vielen Reisenden darin und
ihren Handys am Ohr. Nicht nur in literarischen Tiefendimensionen weidet
der Text, sondern auch in fragmentarisierten Kommunikationsmustern,
Gesprächsfetzen werden wie unter Wiederholungszwang eingestreut.
Auf der Bühne mobilisiert Schimmelpfennig abwechselnd archaischen Schmutz
und den Glanz digitaler Oberflächen. Die Schauspieler, fahl-gelb beleuchtet
wie von Grubenlampen, schmieren sich mit Lehm ein, wenn sie von
einbrechenden Schächten berichten. Dann werden Zahlencodes auf rotierende
Glaswände projiziert, zwischen denen die Schauspieler kurz wie im Labyrinth
herumirren. Ein irrlichternd schöner Moment im satten I-Pad-Realismus, der
hier vertraut und sehr frisch rüberkommt. Akustisch lullen einen
Dolby-Surround-Effekte ein, Klingeltöne werden aus unterschiedlichen
Bühnenecken eingespielt. Oder es dröhnt Sambamusik wie aus einem
Hinterzimmer, die dann leiser wird, als wäre eine Tür geschlossen worden.
Für einen Moment hat sich zumindest akustisch der Spalt zu einer anderen
Welt geöffnet.
## Das Telefon als Bombe
Näher ran kommt Schimmelpfennig allerdings nicht an die westliche
Verantwortung für den menschenunwürdigen Bodenschatzabbau. Auch nicht an
die hausgemachten Kommunikationsprobleme der omnipräsenten Handys. Auf der
Traumebene des Textes deutet sich an, dass das Telefon zur Bombe umgebaut
den Zug zum Entgleisen bringt – die Technik fliegt einer Gesellschaft um
die Ohren. Auf der Bühne wird das allerdings plan wegerzählt.
Als Autor ist Schimmelpfennig eigentlich sehr versiert darin, scheinbar
zufällige Ereignisse in poetische Gesetzmäßigkeiten zu verwandeln. In
Stücken wie „Der goldene Drache“ oder „Die vier Himmelsrichtungen“ hat…
beispielhaft einen Weg gefunden, von Gewalterfahrung und Schrecken zu
erzählen, die man nicht selbst erlebt hat, ohne sie der Kunstgewerblichkeit
preiszugeben. „Spam“ ist schwächer, es geht um viel zu vieles, die gute
Absicht ist immer erkennbar, aber die Inszenierung wird dem Thema nicht
gerecht.
An den Schauspielern liegt es nicht – die mühen sich, ihre Kunstfiguren mit
Fleisch und Blut zu füllen. Katja Danowski versprüht melancholischen Charme
als Kapitänin im glamourösen Mae-West-Look, oder Elizabeth Blonzen zeigt
als orakelnde Köchin immer ein stummes Entsetzen, das von ihr nie
übertrieben wird.
Den besten Auftritt hat allerdings Bühnenbildner Wilfried Minks,
mittlerweile 84 Jahre alt, der beim Schlussapplaus am Stock auf die Bühne
geführt wird. Sein Bühnenbild zu „Spam“ ist ein collagehafter Kunstraum.
Den Bühnenhintergrund schmückt dabei ein auf den Kopf gedrehtes Bild des
Turmbaus zu Babel, der sich zu einem archaischen Krater umkehrt und sich
mit digitalen Projektionen mischt. Das sieht einfach verdammt gut aus,
dafür lohnt sich dieser Abend. Öffnet Assoziationen einer Welt, in der
Glanz und Elend korrespondieren, während der Kernkonflikt leider weit weg
bleibt.
27 May 2014
## AUTOREN
Simone Kaempf
## TAGS
Coltan
Theater
Apple
iPad
Arbeitsbedingungen
Nachhaltigkeit
Theater
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