# taz.de -- Theater auf Religionssuche: Große Geborgenheit gesucht | |
> Das Stück „Glaubenskämpfer“ von Nuran David Calis am Schauspiel Köln | |
> bekam schon in der Probenzeit Hasskomentare im Netz ab. | |
Bild: Wie hast du‘s mit der Religion? | |
Es kreischt, wütet, zuckt auf der Leinwand. Der Kölner Dom, IS-Fahnen, | |
Muslime werfen sich auf Teppiche, Pegida-Anhänger stampfen, Schlagzeilen | |
donnern. Und dann: Bilderstopp. Vor uns sitzen vier Schauspieler auf | |
Stühlen, schweigen minutenlang. | |
Schöner kann man den Sinn eines Theaterabends wohl nicht zusammenfassen: | |
eine Oase von Ruhe und Denken in Zeiten medialer Durchhysterisierung. Nuran | |
David Calis will „Glaubenskämpfer“ (so der Stücktitel) im Schauspiel Köln | |
untersuchen und versteht darunter ausdrücklich: nicht nur Extremisten – | |
sondern sechs gläubige Muslime, Christen, Juden, die manchmal auch um den | |
eigenen Glauben kämpfen. | |
In seiner Theaterinszenierung, die eher an ein inszeniertes Gespräch | |
erinnert, stellen sich sechs gläubige Laiendarsteller den Fragen von vier | |
mehr oder weniger säkularen Schauspielern. Die Gläubigen stehen dabei in | |
der Mitte auf einem drehbarem Buch (Ursprung der drei Weltreligionen) mit | |
leeren weißen Seiten – beschreibbar von jedem Einzelnen. Darüber wölbt sich | |
ein Sternenhimmel aus bunten Glühlämpchen. Unendliches All oder künstliche | |
Theaterkulisse? | |
Anne Ehrlich hat, wie auch schon bei „Die Lücke“,Calis’theatralischer | |
Aufarbeitung des Nagelbombenattentats auf der benachbarten Keupstraße, ein | |
schlichtes, aber symbolisch bestechendes Bühnenbild gestaltet. Es geht hier | |
auch darum, wie eigentlich der Schalter im Kopf umgelegt wird, der entweder | |
Glühbirnen oder göttliche Unendlichkeit sieht. „Warum fühle ich das | |
nicht?“, fragt Schauspielerin Annika Schilling und läuft wie eine leicht | |
überforderte Moderatorin zwischen den Gläubigen hin und her, die von | |
Glücksgefühlen des Glaubens berichten. | |
## Die Laien wenden sich pikiert ab | |
Die Schwester des katholischen Benediktinerordens Johanna Domek erzählt | |
etwa vom „vollen Klang“ der Welt nach einer Kindheit, in der sie mit | |
Luftgewehren Spatzen erschoss. Der jüdische Protagonist Avraham Applestein | |
von der „großen Geborgenheit“ im Gebet, die Muslimin Ayfer Sentürk Demir | |
von „Zuflucht“ vor einem lieblosen Elternhaus, auf das sie heute wieder | |
stolz ist, weil es sie auf den Weg geführt hat. Als der Schauspieler Martin | |
Reinke mit seiner theoretisch komplex dargelegten, gnostischen Vorstellung | |
der Einheit von Gott mit allem ebenfalls das Buch in der Mitte betritt, | |
wenden sich die Laiendarsteller pikiert ab. | |
Auch der Zuschauer neigt zum inneren Ausstieg. Man erfährt manchmal zu viel | |
an diesem ambitionierten Abend, der oft wirkt wie eine Mischung aus | |
Privatdiskussion und religionswissenschaftlichem Proseminar. Ist Toleranz | |
immer schwächer als der Glaube? Welche Religion hat ein Neugeborenes? | |
Welche der 613 jüdischen Gebote kann man nicht einhalten? Wie konvertiert | |
man? Dass es zwischen zwei und 20 Jahren dauern kann, ein Jude zu werden, | |
löst bei den Muslimen inszenierte Tumulte aus. | |
Trotzdem muss man Nuran David Calis hoch anrechnen, unvoreingenommen und | |
tief in die Komplexität des Themas einzudringen. Wie kann der liebende | |
Gott, den alle drei Religionen beschwören, nur so schnell missbraucht | |
werden? Die Einspieler auf dem drehbaren Bühnenbuch zeigen bald | |
IS-Sympathisanten und muslimische Hassprediger wie Bernhard Falk; ein | |
IS-Rekrutierungsvideo führt die Welt als lustiges Ballerspiel vor. Auch die | |
rechten Aktivistinnen Melanie Dittmer und Ester Seitz berufen sich auf das | |
Christentum und plappern vom gegen sie gerichteten linken „Guerillakrieg“. | |
## Von Glück und Horror | |
Krieg, hält Applestein dagegen, sei etwas ganz anderes, und erzählt die | |
Geschichte seines in Auschwitz getöteten Großvaters. Das letzte | |
überlieferte Foto zeigt dessen Zwangsrasur bei der Ankunft im Lager – ein | |
Moment der Demütigung, der im Publikum den Atem stocken lässt. Nichts | |
könnte die besinnungslose Kriegs-Dampfplauderei der Pegida-Frauen stärker | |
entkräften. | |
Ein starker Moment ist auch, als der bekennende Muslim Dominic Seitz seinen | |
Weg vom Kiffer zum radikalen Salafisten zurück zum sozialpädagogisch | |
aktiven Vorbildaussteiger beschreibt. Als die während der Probenzeit auf | |
Facebook aufgelaufenen Hasskommentare gegen ihn einblendet werden, wünscht | |
man ihm Polizeischutz. Und so steht auf einmal das ganze Spektrum vom Glück | |
bis zum Horror des Glaubens im Raum. | |
Undenkbar heute, dass Muslime zu jüdischen Metzgern gehen, um Fleisch zu | |
kaufen, oder das Ramadan-Gebet im Dom sprechen, so wie es vor 50 Jahren | |
selbstverständlich war und es zum Schluss der Muslim Kutlu Yurtseven von | |
der Keupstraße nebenan erzählt. Was ist nur in den letzten 50 Jahren | |
passiert? Die Frage gibt der Regisseur pädagogisch streng als Hausaufgabe | |
auf den Heimweg. Dabei wären doch noch viel wichtiger Antworten darauf, wie | |
es je wieder so werden könnte. | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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