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# taz.de -- Tagung des Tikvah-Instituts: Mehr Strafrecht gegen Antisemitismus?
> Beim Kampf gegen Antisemitismus darf es keine Strafbarkeitslücken geben.
> Unter dieser Prämisse prüfte eine Tagung das Strafrecht und machte
> Reformvorschläge.
Bild: Der „ungeimpft-Stern“: Protest gegen die Einschränkungen durch die P…
Freiburg taz | Der Bundestag hat sich in seiner Resolution zum Schutz
jüdischen Lebens in Deutschland jüngst dazu bekannt, „Gesetzeslücken zu
schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“. Was das
konkret heißen könnte, war Thema der Tagung „Antisemitismusbekämpfung mit
dem Strafrecht“ in Berlin. Veranstalter war neben der CDU-nahen
Konrad-Adenauer-Stiftung das Tikvah-Institut zur Eindämmung des
Antisemitismus, gegründet 2020 vom Ex-Abgeordneten Volker Beck (Grüne), der
auch Geschäftsführer ist.
Im Fokus der Tagung stand vor allem der aktuelle israelbezogene
Antisemitismus, der die [1][Fallzahlen antisemitischer Straftaten in
Deutschland explodieren ließ]. Schon im November 2023 hatte die CDU/CSU im
Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Leugnen des
Existenzrechts Israels und Aufrufe zur Beseitigung des Staates Israel als
Volksverhetzung bestrafen wollte. Bei einer Anhörung im Januar gab es aber
massive Bedenken von Sachverständigen. Denn laut Artikel 5 Grundgesetz kann
die Meinungsfreiheit nur durch „allgemeine Gesetze“ eingeschränkt werden.
Das heißt: Es dürfen keine einzelnen Meinungsäußerungen verboten werden.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland schlägt nun vor, ein neues Delikt
„Aufruf zur Vernichtung von Staaten“ zu schaffen und in einem neuen
Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen. Ein Entwurf des
Tikvah-Instituts sieht vor, dass auf diese Weise alle UN-Staaten geschützt
werden sollen. Dieser Vorschlag dürfte bessere Chancen auf Verwirklichung
haben.
Im Volksverhetzungs-Paragrafen 130 ist inzwischen eine Vielzahl von
Delikten versammelt, so die Aufstachelung zum Hass gegen Gruppen der
Bevölkerung, die Leugnung des Holocaust sowie die Verherrlichung und
Billigung der NS-Gewaltherrschaft.
## Nach Corona mehr Antisemitismus
Wenn in Paragraf 130 von einem „Teil der Bevölkerung“ die Rede ist, bezieht
sich dies nach herrschender Auffassung auf die inländische Bevölkerung.
Auch wegen dieses Inlandsbezugs wurden keine Ermittlungsverfahren im
Zusammenhang mit antisemitischen Darstellungen auf der documenta 15 in
Kassel eingeleitet.
Zudem kann die Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“
nicht als Volksverhetzung verfolgt werden, da sie – wenn überhaupt – die
Vernichtung des Staats Israels impliziert, aber jedenfalls keine Aussagen
über Juden in Deutschland trifft. Auf der Berliner Tagung wurde deshalb
gefordert, auf den Inlandsbezug bei einer Reform von Paragraf 130 zu
verzichten.
In der Praxis haben sich Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Parole
„From the River to the sea“ häufig damit beholfen, dass diese Parole als
Kennzeichen der terroristischen Vereinigung Hamas eingestuft wurde. Auf
eine Strafbarkeit als Volksverhetzung kommt es also nicht mehr so sehr an.
Neben dem Nahostkonflikt hat auch die Corona-Pandemie zu einer Zunahme von
Antisemitismus-Verfahren geführt. So trugen viele Impfpflicht-Gegner gelbe
Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“, die an die gelben Judensterne der
NS-Diktatur erinnerten. Für Laura Schwarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin
der Berliner Humboldt-Universität, liegt hier eindeutig eine
Volksverhetzung vor; hier werde der Holocaust verharmlost.
## Strafrecht als Normbestätigung
Die näherliegende Gegenposition vertritt zum Beispiel Rechtsprofessorin
Elisa Hoven, die aber in Berlin nicht anwesend war. Danach handelt es sich
bei den „ungeimpft-Sternen“ um eine „Überdramatisierung des eigenen Leid…
die nicht strafbar ist, weil sie den Holocaust als besonders großes Unrecht
gerade nicht infrage stellt.
Der Berliner Staatsanwalt Tim Kaufmann, der auf antisemitische Straftaten
spezialisiert ist, hält die Verharmlosungsfälle für praktisch sehr
relevant. „Es ist kein Problem zu klein, um es nicht mit dem Holocaust zu
vergleichen.“
Was aber bringt das Strafrecht nun im Kampf gegen den Antisemitismus? „Es
ist ein besonders starkes Symbol“, betonte Rechtsprofessor Michael
Kubiciel, und meinte das positiv, „das Strafrecht dient vor allem der
Normbestätigung.“
Für Volker Beck hat das Strafrecht aber auch handfesteren Nutzen: „An die
Festlegung, was strafbar ist, können Behörden auch andere Entscheidungen im
Kampf gegen den Antisemitismus anknüpfen – etwa wem sie Räume oder
Zuschüsse verweigern dürfen. Beck kann sich daher vorstellen, auch
Boykottaufrufe gegen Staaten zu Straftaten zu machen. So könnten
Raumverbote für Israel-Boykott-Initiativen rechtfertigt werden. Das
Bundesverwaltungsgericht hatte darin in einem Grundsatzurteil 2022 noch
eine Verletzung der Meinungsfreiheit gesehen.
12 Dec 2024
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizei-antisemitismus-faeser…
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Antisemitismus
Justiz
Strafrecht
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