| # taz.de -- Syriens Fußball vor Neuordnung: Der große Umbruch in einem politi… | |
| > Nach dem Sturz des alten Machthabers al-Assad sortiert sich auch der | |
| > syrische Fußball neu. Die Nationalmannschaft hofft nun endlich auf | |
| > Heimspiele. | |
| Bild: Unter Beobachtung: das syrische Pokalfinale im Jahr 2017 zwischen Al-Wahd… | |
| Während des Bürgerkriegs in Syrien gewann der [1][Fußballverein Tishreen | |
| aus der Hafenstadt Latakia] dreimal die Meisterschaft. Viele Fans des Klubs | |
| sind Alawiten, gehören also derselben Minderheit an wie die langjährige | |
| Herrscherfamilie al-Assad. Lange war Fawaz al-Assad der Ehrenpräsident von | |
| Tishreen gewesen. Der Cousin des Diktators Baschar fuhr gern mit einem | |
| Cabrio ins Stadion ein, begleitet von Soldaten und Gewehrschüssen. | |
| Von einer Nähe zur alten syrischen Machtelite ist nun bei Tishreen nichts | |
| mehr zu sehen. Anfang der Woche, nach dem Sturz des Regimes, | |
| veröffentlichte der Klub Fotos von zwei ehemaligen Spielern. Sie zeigen, | |
| wie Ziad Adschouz und al-Mouttaleb Zartit in Schutzwesten hinter den | |
| Meisterschalen posieren. Beide hatten den Fußball vor langer Zeit | |
| aufgegeben, um mit den islamistischen Rebellen gegen die Diktatur zu | |
| kämpfen. | |
| „Die Gefühle von Freude und Aufbruch sind auch im Sport zu spüren“, sagt | |
| der aus Syrien stammende Fußballexperte Nadim Rai, der in Deutschland lebt. | |
| „Die Strukturen werden sich grundlegend ändern. Aber es wird Jahre dauern, | |
| um die Instrumentalisierung im Fußball aufzuarbeiten.“ | |
| ## Rückkehr nach Syrien | |
| Nadim Rai hat zuletzt wenig geschlafen. Er hat mit Freunden in Syrien | |
| telefoniert, darunter Fußballfans, die jubelnd durch die Straßen zogen. Rai | |
| hat stundenlang in sozialen Medien recherchiert. Dabei ist er auf ein Foto | |
| von Salim Khadra gestoßen, einen seiner Lieblingsspieler aus Jugendzeiten. | |
| Khadra war die Türkei geflohen und erwägt nun wohl eine Rückkehr nach | |
| Syrien. | |
| „Der Fußball kann in Syrien zu einem Symbol der Einheit werden“, glaubt | |
| Rai. „Aber dafür muss der Verband Vertrauen zurückgewinnen. Die Menschen | |
| werden genau beobachten, wer demnächst für die Nationalmannschaft spielt | |
| und wer nicht.“ Über viele Jahre war das Nationalteam ein Sinnbild für die | |
| Spaltung der syrischen Gesellschaft. | |
| Besonders deutlich wurde das bei der WM 2012, ein Jahr nach Beginn des | |
| Bürgerkriegs. Im Finale in Kuwait besiegte Syrien den Irak 1:0. Im Stadion | |
| standen sich zwei feindselige Fankurven derselben Mannschaft gegenüber. Die | |
| einen schwenkten die Fahnen der syrischen Rebellen, die anderen standen | |
| hinter al-Assad. | |
| Unmittelbar nach jenem Endspiel zog der syrische Spieler Omar al-Somah das | |
| rote Nationaltrikot aus und streifte sich ein weißes T-Shirt der | |
| Rebellen über. Er spielte fünf Jahre nicht mehr für Syrien, kehrte dann | |
| aber 2017 für die entscheidenden Qualifikationsspiele für die WM 2018 | |
| zurück. Al-Somah, der zu jener Zeit in Saudi-Arabien aktiv war, reiste | |
| sogar nach Damaskus zu einem Empfang von Baschar al-Assad. | |
| Wurde Omar al-Somah von der Regierung unter Druck gesetzt? „Die Grenzen | |
| zwischen Staatsdienern, Mitläufern und Rebellen waren manchmal fließend“, | |
| sagt Rai. So soll [2][Omar al-Somah] vor der Rückkehr ins Nationalteam | |
| seinen Einfluss genutzt haben, um seinen ehemaligen Mitspieler Mohammad | |
| Kneis aus dem Gefängnis freizubekommen. Nun, nach dem Sturz des Regimes, | |
| schrieb al-Somah in sozialen Medien: „Glückwunsch an die Syrer und | |
| herzliches Beileid an die Gefallenen unter dem Regime. Es lebe das freie | |
| Syrien!“ | |
| ## Folter im Gefängnis | |
| Die Lage ist unklar, doch nach Schätzungen mehrerer Exilanten sollen mehr | |
| als 40 Spieler aus den ersten beiden syrischen Ligen während des Kriegs | |
| getötet worden sein. Dem ehemaligen Nationalspieler Jihad Qassab etwa wurde | |
| die Konstruktion von Autobomben vorgeworfen – was er bestritt. Qassab ist | |
| 2016 nach schwerer Folter im Militärgefängnis Saidnaya gestorben. | |
| Biografien wie diese werden nun intensiv diskutiert. Fans erinnern zum | |
| Beispiel an Abdul Baset al-Sarout. Als erster bekannter Fußballer stellte | |
| er sich schon 2011 gegen al-Assad und trat der „Freien Syrischen Armee“ | |
| (FSA) bei. Diese FSA gründete in der Türkei ihren eigenen Fußballverband. | |
| Abdul Baset al-Sarout, der al-Qaida nahegestanden haben soll, kam 2019 bei | |
| Gefechten ums Leben. | |
| Geflüchtete Spieler, Funktionäre und Sportjournalisten knüpften | |
| insbesondere in der Türkei ein syrisches Exilnetzwerk. Von dort trugen sie | |
| Informationen aus Syrien zusammen: über die Teilnahmepflicht von Sportlern | |
| an politischer Propaganda oder über die Verhaftung von Fußballern. | |
| Ein Beispiel: [3][Der langjährige syrische Nationaltorwart Mosab Balhous] | |
| wurde 2011 von Regierungstruppen verhaftet, weil er Rebellen Zuflucht | |
| geboten haben soll. Fast ein Jahr fehlte von ihm jede Spur, viele Fans | |
| hielten ihn für tot. 2012 kehrte er überraschend ins Nationalteam zurück. | |
| Trotz dieser politischen Verflechtungen ließ die Fifa den syrischen | |
| Fußballverband gewähren. Während des Kriegs ließ al-Assad den Ligabetrieb | |
| in den vermeintlich sicheren Städten Damaskus und Latakia fortsetzen, um | |
| etwas Normalität vorzutäuschen. Zeitgleich wurden Stadien in Aleppo und | |
| Homs als Militärbasen, Gefängnisse und Flüchtlingslager genutzt. Aus dem | |
| Abbasiden-Stadion in Damaskus wurden sogar etliche Raketen abgefeuert. | |
| Baschar al-Assad zeigte sich selten auf den Ehrentribünen, und trotzdem | |
| stützte der Fußball seine Agenda. Erst vor einem Monat trat das syrische | |
| Nationalteam in Wolgograd in einem Freundschaftsspiel gegen Russland an, in | |
| jenem Land also, wo al-Assad inzwischen von seinem Verbündeten Putin Asyl | |
| erhielt. | |
| Es ist gut möglich, dass die führenden Funktionäre des syrischen Verbands | |
| demnächst ihren Job verlieren, glaubt Fußballexperte Nadim Rai. Ähnlich wie | |
| in der Politik scheint die Machtübergabe auch im Fußball relativ geordnet | |
| zu verlaufen. | |
| Viele Fans haben weniger Geduld und fordern den Ausschluss von Spielern, | |
| die sich für al-Assad positioniert haben. Im Fokus: Nationaltorwart Ibrahim | |
| Alma. Bei einem Trainingslager der syrischen Auswahl 2018 in Österreich | |
| soll Alma einen Ordner aufgefordert haben, einen Fan mit einem | |
| Rebellenbanner aus dem Stadion zu verweisen. Zweimal sollen Vereine in | |
| Saudi-Arabien die Verpflichtung Almas abgelehnt haben, weil er sich immer | |
| wieder mit Vertretern des syrischen Regimes zeigte. | |
| Das syrische Nationalteam hat sein letztes Spiel vor heimischem Publikum | |
| 2010 in Damaskus gegen den Irak bestritten. Seither muss sie für | |
| „Heimspiele“ ins Exil reisen, nach Katar oder in die Vereinigten Arabischen | |
| Emirate. Gerade hat der Asiatische Fußballverband die Spieltermine fürs | |
| Frühjahr bekanntgegeben. Der Verband veröffentlichte dazu die syrische | |
| Flagge des alten Regimes. Fans empörten sich darüber, denn inzwischen hat | |
| auch der syrische Verband ein neues Logo. Und es ist wohl nur eine Frage | |
| der Zeit, bis die Heimspiele auch wieder in Syrien stattfinden. | |
| 13 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Tishreen_SC | |
| [2] https://www.srf.ch/news/international/maerchen-mit-schattenseiten-syrische-… | |
| [3] https://www.middleeasteye.net/opinion/syrias-world-cup-story-brutal-politic… | |
| ## AUTOREN | |
| Ronny Blaschke | |
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