# taz.de -- Stuttgarter Kolumnist Joe Bauer: Biedere Arschlöcher gibt es über… | |
> Ist Stuttgart die langweiligste Großstadt Deutschlands oder der Ort, an | |
> dem Politisches neu definiert wird? Wer sollte es wissen, wenn nicht Joe | |
> Bauer. | |
Bild: Stuttgart war sein Image früher scheißegal war. Man hatte Bosch, Daiml… | |
Ein Mann muss nicht nach Las Vegas, um sein Leben zu verspielen. Das ist | |
ein echter Joe-Bauer-Satz. So lange dran rumgefeilt, bis es so lakonisch | |
klingt, als sei es einfach so dahergesagt. Damit sind wir schon mal in der | |
Grundstimmung einer Joe-Bauer-Lesung. Nun zum Mann: Er trägt Schwarz. Die | |
Haare präfrisiert, dazu Cowboystiefel, eine Halskette und eine getönte | |
Brille. Er lässt seine Stimme knarzen, als habe er Jahrzehnte mit Whisky | |
dafür gearbeitet. | |
Aber er raucht nicht mal, ist kein Gonzo-Journalist wie Hunter S. Thompson | |
oder Jörg Fauser, schon gar kein Popliterat. Er ist nicht im Zentrum des | |
Geschehens, er ist ein melancholischer Beobachter; nicht drin in der | |
Gesellschaft, aber auch nicht ganz draußen; und eher emphatisch als | |
sarkastisch. Er ist Kolumnist, laut Eigendefinition „ein gelernter | |
schwäbischer Kleingeist“ – und damit eben gleichzeitig keiner. Im Grunde | |
ist er der Poeta laureatus Stuttgarts. | |
Mit so einem Geschwurbel sollte man ihm indes nicht kommen, sonst gibt es | |
einen Satz heiße Ohren. Aber wenn man wissen will, wie die Stadt in dieser | |
Sekunde tickt, muss man seine Kolumne lesen. Und wenn man die | |
Internationalität der Stadt spüren will, geht man in seinen „Flaneursalon�… | |
eine Art Revue aus Komik, Literatur und Rock ’n’ Roll, bei der er | |
regelmäßig andere Künstler um sich versammelt. | |
Sein Verleger pflegt zu sagen, Bauer sei „in Stuttgart weltberühmt“. So | |
weltberühmt, dass er sogar seinen eigenen Taxifahrer hat, den er zu jeder | |
Tag- und Nachtzeit anrufen kann. Zur Premierenlesung seines neuen | |
Geschichtenbands „Im Kessel brummt der Bürger King“ kamen 450 Leute ins | |
Theaterhaus. | |
## Die U-Bahn und Robert Johnson | |
Als er in Berlin im „Monarch“ liest, ist es nicht annähernd so voll, aber | |
hier ist er ja auch noch nicht weltberühmt. Hinter dem Fenster fährt grade | |
eine orangene U-Bahn ins Kottbusser Tor ein, da liest er den Satz: „Der | |
Bahnhof ist wie ein Lied von Robert Johnson.“ Dann erzählt er, dass sein | |
Vater Bahnhofsvorsteher war und er deshalb in einem Bahnhof mit Plumpsklo | |
geboren wurde. | |
In Mögglingen war das, „sechzig Kilometer von einem anderen Bahnhof | |
entfernt“. Und damit sind wir beim Stuttgarter Hauptbahnhof und der | |
Bürgerbewegung gegen „S 21“, mit der das Aufbegehren von Menschen mittleren | |
Alters in ordentlich geregelten Einkommensverhältnissen begann. Eines Tages | |
fand sich auch Bauer bei einer Montagsdemo als Sprecher gegen den geplanten | |
Tiefbahnhof wieder. Warum engagiert sich ein Beobachter? | |
„Ihnen waren die Redner ausgegangen“, sagt er bei einem Treffen in einem | |
Berliner Café. Es soll möglichst lapidar klingen. Später fügt er hinzu, | |
dass das doch „besser sei, als auf dem Sofa zu sitzen und Chipse zu | |
fressen“. Noch später sagt er, es gebe Momente, wo man sich entscheiden | |
müsse. Und eine Pflicht zu handeln, auch wenn es nicht angenehm sei. | |
Manche halten Joe Bauer für einen ganz Feinfühligen, andere für einen durch | |
die Post-68er-Kultur weiterentwickelten schwäbischen Bruddler. Jedenfalls | |
ist er festangestellter Redakteur bei den Stuttgarter Nachrichten – das ist | |
ein beinhartes Pro-Stuttgart-21-Medium – und jeder Art von | |
gesellschaftlichem Aufbruch oder Subversion überhaupt nicht verdächtig. | |
## „Aber wir haben doch Joe Bauer“ | |
Irgendwie entwickelte es sich, dass er heute arbeiten und schreiben kann, | |
wie er es für richtig hält. Und obwohl die Zeitung das eher nicht | |
strategisch geplant hat, strahlt seine Reputation nun auf sie ab. Wann | |
immer es in öffentlichen Diskussionen für den StN-Vertreter kritisch wird, | |
heißt es: „Aber wir haben doch Joe Bauer.“ Das hilft fast immer. | |
Aber jetzt springen wir noch mal ins Café zurück, wo er als führender | |
Beobachter der schwäbischen Landeshauptstadt die alten und die neuen | |
Klischees beurteilen soll. Ist Stuttgart in einer Transformation von der | |
langweiligsten Großstadt Deutschlands voller sparbesessener | |
Kehrwochenzausel zu einem Ort, an dem die bürgerliche Moderne neu definiert | |
wird? Das ist ja die Frage, die sich nach der schwäbischen Revolution am | |
Stuttgarter Bahnhof stellt. | |
Bauer reibt sich dabei mit dem Daumen über die Oberlippe. Macht er gern. | |
Dann brummt er: „Biedere Arschlöcher gibt es überall.“ Da kann man als | |
Kreuzberger unmöglich widersprechen. Dann sagt er, einer seiner | |
überregionalen Lieblingseinstiegssätze in S-21-Berichten sei gewesen: | |
„Ausgerechnet die biederen Schwaben …“ Da schwinge immer auch mit: „Die | |
Deppen, die 3.500 Jahre das Maul nicht aufgekriegt haben.“ Wenn jemand dann | |
noch „Ländle“ sagt, ist es vollends vorbei für ihn. | |
## Opposition braucht Bürger | |
Dann erzählt er die Erfolgsvariante der Geschichte, das ist die einer | |
Bürgerschaft, die sich im Streit über den Bahnhof politische Möglichkeiten | |
zurückerobert hat. Und die eines urbanen Großraums, in dem schon vorher 2,5 | |
Millionen Menschen relativ wohlhabend und ordentlich zusammenlebten, weit | |
über ein Drittel davon mit sogenanntem Migrationshintergrund. | |
Will sagen: Den Schwaben, der aus genetisch-historischen Gründen auf | |
Kehrwoche, Maultaschen, Sparen und Trinken von schlechtem Trollinger | |
fixiert ist, gibt es nicht. Außer in folkloristisch-populären Verkürzungen | |
wie Felix Hungerbühlers „Tatort“-Figur „Bienzle“. Im Übrigen: Die | |
Redewendung „Ja, du liabs Herrgöttle von Biberach“ gebrauche seit | |
Jahrzehnten keiner mehr. | |
Bauers These ist, dass Stuttgart sein Image früher scheißegal war. Man | |
hatte Bosch, Daimler, Porsche. Der Laden lief. Was brauchte man Image? Eine | |
Parallelwelt gab es immer. Eine Gegenkultur zur Kehrwoche auch. Und zur | |
Opposition gehörten schon immer Bürger, gerade auch hochgebildete. Er würde | |
jetzt nicht wie der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn sagen, dass die | |
Stuttgarter „Weltbürger im kantischen Sinne“ seien. Aber „der liberale | |
Geist des Widerstands war immer da“. Und zu denen, die das rebellische | |
Potenzial der Stadt repräsentierten, gehörte Joe Bauer. | |
Und nun, wo der grüne Ministerpräsident Kretschmann das Land regiert und | |
der Grüne Kuhn am 7. Januar die Stadt übernimmt, und wo die früheren | |
Unterdrückten überhaupt ziemlich hegemonial werden, da wird auch Bauer ins | |
Establishment gedrückt? | |
## „Provinzialität hat die CDU nicht exklusiv“ | |
Versteht er nicht, die Frage. „Wo bin ich denn, um Gottes Willen, | |
Establishment?“ Tja. Gegen wen kann er denn noch rebellieren in Stuttgart? | |
„Provinzialität hat die CDU nicht exklusiv“, knarzt er. Und falls man es | |
nicht verstanden hat: „Ich mach da keinen Unterschied zwischen CDU und | |
Grünen.“ | |
Einmal luden die Grünen ihn als Festredner ein. „Die laden mich nicht mehr | |
ein“, sagt er und klingt zufrieden. Die Rede ist im neuen Buch. „Die Grünen | |
ändern nichts“, sagt er bei seiner Lesung, „sie begleiten haarsträubende | |
Veränderungen kritisch.“ Kritisch – mit gesprochenen Anführungszeichen. | |
Ministerpräsident Kretschmann verändere die Welt nicht, er male sie grün | |
an. Das bringt es für Kritiker von links auf den Punkt. | |
Sicher sei die Abwahl der CDU „historisch“ gewesen, „ich konnte mir das n… | |
vorstellen.“ Aber das habe nichts mit Modernität zu tun, sondern sei | |
hauptsächlich der Ausdruck dafür, dass die konservativen Werte nach den | |
Erfahrungen des Mappus-Interregnums nun den Grünen zugeschrieben würden und | |
das Rabaukenhafte der CDU. | |
Dass sich mit dem OB Kuhn Stuttgart großartig verändern wird, glaubt er | |
nicht. Den Ton ja, die Atmosphäre vielleicht, aber nicht die | |
Machtverhältnisse. Bei seiner Lesung greift er auf einen Satz von Jörg | |
Fauser zurück: „Als alles vorbei war, ging alles weiter.“ | |
## Bewegung? Naja | |
Gibt es denn nun aus seiner Sicht Bewegung in Stuttgart? „Kommt immer drauf | |
an, in welche Richtung“, brummt er. Unklar, ob das Ausweichrhetorik ist | |
oder eine brillante Analyse. | |
Ganz am Ende steht Joe Bauer auf der Wiener Straße und fuchtelt nach einem | |
Taxi, denn in Berlin hat er kein eigenes. Als eines angehalten hat, ruft er | |
noch, man solle ihn bloß nicht als Überzeugungstäter oder so etwas | |
hinstellen. Woher denn? Der Punkt ist ein anderer: Joe Bauer schreibt nicht | |
bloß über Zuhälter; er kennt sie auch. Das ist jetzt nicht nur eine | |
Metapher, das ist heutzutage eine Kostbarkeit. | |
## Joe Bauer: „Im Kessel brummt der Bürger King“. Edition Tiamat, Berlin | |
2012, 192 Seiten, 14 Euro. | |
6 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Stuttgart | |
S21 | |
CDU | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kretschmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ex-Innenminister in Baden-Württemberg: Thomas Schäuble ist tot | |
Der ehemalige Innenminister von Baden-Württemberg und Bruder des | |
Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, Thomas Schäuble, ist tot. Er starb | |
nach einem Herzinfarkt. | |
Reaktionen auf Wolfgang Thierse: Schwaben-Posse kriegt einen Bart | |
Nach seiner Schelte an Integrationsverweigerern unterbreitet Wolfgang | |
Thierse (SPD) ein Friedensangebot. | |
Klimaschutz in Baden-Württemberg: Polizeiautos ohne Kohlendioxid | |
Autos, Gebäude, Ökostrom: Baden-Württemberg will seine gesamte Verwaltung | |
klimaneutral gestalten. Im Jahr 2040 soll sie die Umwelt nicht mehr | |
belasten. | |
Parkschützer über Stuttgart 21: „Das ist das Ende des Projekts“ | |
Parkschützer von Herrmann glaubt wieder an einen Erfolg der | |
Tiefbahnhofsgegner – weil die Finanzierung nicht mehr gesichert ist. |