# taz.de -- Studie über nachwachsende Rohstoffe: Problemfall Bioplastik | |
> Bio-Kunststoff und Bio-Treibstoffe bekommen in Europa Subventionen in | |
> Millionenhöhe. Dabei schaden sie Atmosphäre und Artenschutz. | |
Bild: Sieht öko aus, ist es aber nicht so richtig: Bioplastik, hier in Form vo… | |
BERLIN taz | Artur Auernhammer lobte seine eigene Branche über den grünen | |
Klee: „Bioenergie verbindet in besonderer Weise Klimaschutz, | |
Nachhaltigkeit, Biodiversität und regionale Wertschöpfung“, sagte der | |
Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Bioenergie (BBE), [1][als die EU in | |
der vergangenen Woche ihre Strategie zur Artenvielfalt vorstellte]. Für | |
Auernhammer, gleichzeitig CSU-Bundestagsabgeordneter, ist „Bioenergie also | |
der geborene Partner im europäischen „Green Deal““. | |
Eine aktuelle Untersuchung der Brüsseler Rechercheorganisation „Corporate | |
Europe Observatory“ (CEO) kommt zu einem ganz anderen Ergebnis: Die | |
Produktion von Kunststoffen und Treibstoffen aus nachwachenden Rohstoffen | |
läuft demnach den EU-Zielen zu Klima- und Artenschutz entgegen. Trotzdem | |
wird sie mit hunderten von Millionen Euro in Forschungsgeldern | |
subventioniert. | |
„Fossile Treibstoffe durch Pflanzen in Industrieprozessen zu ersetzen ist | |
noch schlechter für das Klima und die Biodiversität als unsere momentane | |
Situation“, heißt es in der Studie „Research and Destroy“. Am Modell der | |
industriellen Bio-Industrie sei „nichts nachhaltiger als an der momentanen | |
Landwirtschaft, Waldpolitik, Fischerei und Abfallwirtschaft“, heißt es in | |
der Untersuchung, die am Montag veröffentlicht wird und der taz vorab | |
vorliegt. Experten aus Umweltverbänden, Wissenschaft und Behörden teilen | |
diese Kritik. | |
Die Studie untersucht die Arbeit der Brüsseler Organisation BBI (Bio Based | |
Industries Joint Undertaking). Sie ist eine öffentlich-private | |
Partnerschaft (PPP), in der Unternehmen der Agrar-, Chemie- und | |
Energieindustrie über die letzten sieben Jahre mit 2,7 Milliarden Euro aus | |
privaten und 975 Millionen aus öffentlichen Geldern Projekte vorantreiben | |
und für ihre Branche Lobbyarbeit machen. | |
Das Geld fließt etwa in Raffinerien für biobasierte Chemikalien, [2][die | |
Produktion abbaubarer Kunststoffe] oder die Forschung für Pestizide auf | |
Bio-Basis oder für Fleischersatz, erklärt die BBI. In den aktuellen | |
Debatten um den neuen EU-Haushalt und den europäischen „Green Deal“ soll | |
die Industrie ähnliche Unterstützung bekommen. | |
## Kaum positiver Effekt auf Biodiversität | |
Diese Subventionen aus Steuermitteln sieht das Gutachten sehr kritisch. Die | |
Hilfen ignorierten die „zerstörerischen Folgen für Europas | |
Kohlenstoffspeicher, Böden und Wälder“, heißt es. Eine Ausdehnung der | |
Biomasse-Nutzung ohne Einschränkung beim Verbrauch von Fossilen „kombiniert | |
das Schlechteste aus beiden Welten: Kohlenstoffspeicher zu eliminieren und | |
noch mehr CO2 auszustoßen“, schreiben die Autoren. | |
Nach ihren Recherchen sieht die Bio-Industrie dieses Problem auch selbst. | |
Nur 10 Prozent der Projekte mit BBI-Geldern, schreiben sie, „sagten voraus, | |
dass ihre Projekte einen positiven Einfluss auf die Biodiversität hätten“. | |
Nur 27 Prozent sähen dadurch eine bessere Nutzung von erneuerbaren | |
Ressourcen. | |
Mehr als 70 Prozent der Mittel fließen nach den Recherchen von CEO in die | |
umstrittene Herstellung von Bio-Plastik und in Treibstoffe. Dazu finanziere | |
BBI mit Steuergeld seine eigene Lobbyarbeit und unterstütze den Import von | |
Rohstoffen, die in anderen Ländern ohne Rücksicht auf soziale oder | |
ökologische Standards produziert werden. Es fehle an Transparenz und die | |
Industrie leiste nicht ihren Teil der versprochenen Finanzierung des BBI, | |
so die Vorwürfe. | |
Vom BBI war auf Anfrage keine Stellungnahme zu erhalten. Elmar Baumann vom | |
Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB), der nicht am BBI | |
beteiligt ist, sagt allerdings: „Die Vorwürfe sind genauso alt wie | |
unbegründet.“ Die Treibhausgasbilanzen zeigten, dass „alle hiesigen | |
Biokraftstoffe drastisch besser sind als fossile Kraftstoffe“. | |
Nachhaltige Biokraftstoffe seien „die einzige in derzeit in nennenswerter | |
Menge vorhandene Alternative, sie emittieren bis zu 90 Prozent weniger | |
Treibhausgase als fossile Kraftstoffe. Nur mit Biokraftstoffen können | |
Bundesregierung und EU ihre Klimaschutzziele erreichen.“ | |
Laut Baumann nutzen heimische Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse nur einen | |
Teil der Pflanze für Biodiesel oder Bioethanol. Gleichzeitig liefere die | |
Industrie gentechnikfreie Eiweißfutter für die Milchbauern und Glycerin für | |
die Pharmaindustrie. | |
## Auch Umweltbundesamt sieht Probleme | |
Mit dem Misstrauen gegenüber der Branche und ihrer staatlichen | |
Unterstützung steht CEO allerdings nicht allein. Auch das deutsche | |
Umweltbundesamt „teilt die kritische Haltung gegenüber einer Förderung der | |
Bio-Industrie“, sagt Expertin Ines Oehme. Nachwachsende Rohstoffe sollten | |
vorrangig für die Ernährung genutzt werden. Zwar sei ihre Klimabilanz unter | |
Umständen besser als bei fossilen Stoffen, aber deutlich schlechter beim | |
Flächenverbrauch, der Überdüngung und der Versauerung von Böden. | |
Eine mögliche CO2-Einsparung könne nicht das einzige Kriterium für die | |
Beurteilung sein: „Anders als beim CO2-Ausstoß gibt es für verlorene | |
Biodiversität keine einfachen Maßstäbe zur Bewertung“. Eine hohe | |
öffentliche Förderung sei auch deshalb kritisch, weil „Bio-Kunststoffe | |
bisher nur etwa ein Prozent aller Kunststoffe ausmachen“, so Oehme. | |
Schon vor zwei Jahren hatte das UBA gewarnt, die neue EU-Richtlinie zu | |
erneuerbaren Energien (RED II) könne „minimalen oder sogar negativen Nutzen | |
für den Klimaschutz“ bedeuten. Wenn die Verbrennung von Holz gegenüber | |
Fossilen als CO2-Einsparung gerechnet werde, müsste man diese Emissionen | |
„eigentlich in anderen Bereichen kompensieren“, bis sie nach Jahrzehnten | |
durch neu wachsende Bäume wieder ausgeglichen seien. Eine solche | |
„CO2-Schuld“ werde aber in der Richtlinie „schlicht aus den Berechnungen | |
ausgeschlossen.“ | |
In den letzten Jahren sind die Warnungen lauter geworden, dass ein breit | |
angelegter Umstieg von fossilen auf biobasierte Rohstoffe ein Holzweg sein | |
könnte. Eine Studie des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung fand | |
2019, weltweite berge eine Ausdehnung der Biomasse-Plantagen „enorme | |
Risiken“ für Nährstoffkreisläufe, Artenvielfalt und Wasserhaushalt. | |
Biomasse könne „nur in begrenztem Umfang“ beim Klimaschutz helfen. | |
25 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Regeln-fuer-Naturschutz-in-Europa/!5687254 | |
[2] /Plastik-zum-Kompostieren/!5650996 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Biodiversität | |
Subventionen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hormone | |
grüne Mobilität | |
Artenvielfalt | |
Biodiversität | |
Rohstoffe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erneuerbare Energien im Verkehr: Sprit aus Raps soll Klima retten | |
Die Bundesregierung will mehr erneuerbaren Energien im Verkehr. | |
Kritiker:innen werfen ihr vor, den Ausstieg aus dem Verbrennermotor zu | |
verzögern. | |
Verbände fordern Regeln für Schadstoffe: Hormongift in Plastik | |
Umwelt- und Verbraucherorganisationen wollen endokrine Disruptoren | |
regulieren. Die hormonwirksamen Substanzen können krank machen. | |
Rohstoffe und Klimawandel: Benzin muss kontingentiert werden | |
Um das Klima zu retten, brauchen wir gleiches Benzin für alle: Jeder | |
bekommt eine bestimmte Menge zugeteilt – die er dann auch wieder verkaufen | |
kann. | |
Vom Aussterben bedrohte Tiere: Artensterben beschleunigt sich | |
515 Arten von Säugetieren, Vögeln und Reptilien stehen kurz vor dem | |
Aussterben, warnen Forschende. Die Entwicklung beschleunige sich selbst. | |
Naturschutz weltweit: „Jahr der Biodiversität“ erst 2021 | |
2020 hätte das Thema Biodiversität eigentlich Aufwind bekommen sollen. Doch | |
nun wurde eine Konferenz verlegt und der UN-Gipfel wackelt. | |
„Earth Overshoot Day 2017“: Rohstoffe ab jetzt auf Pump | |
Für den Rest des Jahres sind alle regenerierbaren Rohstoffe aufgebraucht. | |
Damit erreicht die Menschheit den „Earth Overshoot Day“ noch früher als | |
2016. | |
„Grüne Intelligenz" auf der Hannover Messe: Holzcomputer und Bioplastik | |
Die weltgrößte Industrieschau setzt auf grüne Technologien. Unter dem | |
Leitthema „Green Intelligence“ werden ressourcenarme Häuser gezeigt – und | |
auch ein roter Lippenstiftfarbstoff. |