# taz.de -- Serie „Tender Hearts“ bei Sky und WOW: Cunnilingus ohne Zunge | |
> Geht Sci-Fi immer nur mit Dystopie? Nein, das muss nicht sein. Bei | |
> „Tender Hearts“ gibt es gut zu lachen. Und viel Sex und Romantik mit | |
> Robotern. | |
Bild: Mila (Friederike Kempter) ist in den Roboter Bo (Madieu Ulbrich) verliebt | |
Man mag sie mit dem Begriff „Near Future“ versehen oder – angelehnt an | |
Science Fiction – als „Now-Fi“ bezeichnen. Sicher ist: Geschichten, die in | |
der unmittelbar bevorstehenden Zukunft spielen, sind derzeit schwer | |
angesagt. Fast immer werden dabei Ängste und Bedrohungsszenarien | |
aufgegriffen, die bereits heute in der Luft liegen; heraus kommen | |
entsprechend meist finstere Dystopien. „Tender Hearts“ beweist: Das geht | |
auch anders. | |
Die aus acht knapp halbstündigen Episoden bestehende Serie verortet sich | |
klar im Genre der romantischen Komödie, und so ist Protagonistin Mila | |
(Friederike Kempter) eine typische RomCom-Heldin um die 40. Beruflich ist | |
die Game-Programmiererin leidlich erfolgreich und kann angenehmerweise in | |
der Regel im Homeoffice arbeiten, was nicht zuletzt deswegen praktisch ist, | |
weil ihr Großstadt-Apartment ein ausgesprochen schickes ist, mit tollem | |
Blick und einem netten, kleinen Balkon, auf dem sie sich liebevoll um ein | |
paar Pflanzen kümmern kann. Nur in Sachen Liebe läuft es nicht: Über die | |
letzte längere Beziehung ist Mila noch längst nicht hinweg, und ihre | |
Verabredungen verlaufen meist so mies, dass ihre Bewertungen auf der | |
Dating-App ordentlich in den Keller gehen. | |
Kein Wunder also, dass sie empfänglich ist für die Werbung der Firma Tender | |
Hearts. Dort hat man humanoide Roboter entwickelt, die sich mindestens | |
optisch kaum von echten Menschen unterscheiden lassen und sich perfekt als | |
Lebensgefährten eignen. Mila entscheidet sich für das Model „Friendly Bo“ | |
(Madieu Ulbrich), Typ: gepflegter, gebildeter Softie, geliefert im | |
lebensgroßen Postpaket. Einmal aufgeladen, ist Mila nicht enttäuscht von | |
ihrer Anschaffung. | |
Hingucker Bo kann sogar essen und trinken (solange man regelmäßig den | |
Beutel leert). Seine zarte Kunststoffhaut mag ein wenig seltsam riechen, | |
doch dafür erfüllt er gewissenhaft jeden Wunsch, vom Wohnungsputz bis Sex. | |
Gerade in Sachen Cunnilingus entpuppt er sich, obwohl gar nicht mit einer | |
Zunge ausgestattet, als echter Meister! Doch das Menschwerden dieser | |
Maschine ist ein Lernprozess mit einigen Fallstricken – für beide Seiten. | |
## Düster fehlt | |
Sieht man aber einmal ab von den verschiedenen Geschlechtsorganmodellen, | |
die sich zwischen Bos Beinen montieren lassen, sind es eher Kleinigkeiten, | |
die in „Tender Hearts“ das Jahr 2039 als futuristische Version unserer | |
heutigen Gegenwart markieren sollen: Textnachrichten lassen sich vom | |
Badezimmerspiegel aus verschicken, auf U-Bahnfahrten trägt Mila eine | |
klobige VR-Brille, um Nachrichten zu gucken. Sehr viel ausgefallener kommt | |
diese Zukunft nicht daher, und das hat nicht nur Budget-Gründe. | |
Autorin Eva Lia Reinegger und Regisseurin Pola Beck interessieren sich | |
nicht wirklich für die Abgründe, die ihrer Geschichte innewohnen. | |
Kapitalismuskritik? Big Data-Skepsis? Selbstoptimierungs-Wahn? All diese | |
Themen, die diese Serie über künstliche Intelligenz und einen Konzern, der | |
sich ungehindert Zugang zu Privathaushalten verschafft, mitbringt, hätten | |
bei einer Produktion wie [1][„Black Mirror“] Stoff für eine ganze Staffel | |
voller Schreckensvisionen gereicht. In „Tender Hearts“ ist das höchstens | |
schmückendes Beiwerk. | |
Auch die existenziellen Fragen, die am Schnittpunkt zwischen Mensch und | |
Maschine lauern und aus denen Maria Schrader mit [2][„Ich bin dein Mensch“] | |
bei ähnlicher Prämisse eine leichtfüßig-philosophische Liebeskomödie | |
zauberte, werden hier nicht ausgelotet. | |
Stattdessen ist „Tender Hearts“ Beziehungskomödie durch und durch: wenig | |
tiefschürfend, aber meistens unterhaltsam. Das Ensemble ist dabei ein | |
großes Plus. Kempter trifft gewohnt gut den richtigen Humor-Ton, noch mehr | |
Spaß machen Heike Makatsch als ihre egozentrische Schwester, Vladimir | |
Korneev als ihr polyamourös-queerer bester Freund oder Marie-Lou Sellem, | |
die beim Anpreisen von kostspieligem Roboter-Zubehör Sätze sagen darf wie: | |
„Wir wollten den Penis ernst nehmen in seiner Ästhetik!“ Überhaupt: der | |
unverkrampfte Umgang mit weiblicher Lust an Sexualität ist unbedingt | |
erfreulich. In die alte RomCom-Falle, die Protagonistin fast ausschließlich | |
über ihr Verhältnis zu Männern zu definieren, tappt die Serie dann | |
allerdings trotzdem. | |
7 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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