Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Selma Alaçam über interkulturelle Kunst: „Erziehung wirkt wie e…
> Die deutsch-türkische Künstlerin Selma Alaçam macht aus besprühten
> Kelim-Teppichen Emanzipationskunst – und arbeitet nebenbei weibliche
> Identitätskonflikte auf.
Bild: Selma Alaçam wirft sich osmanische Muster auf den Körper: „Körperpro…
taz: Frau Alaçam, Sie verfremden oft Kelim-Teppiche. Was bedeuten sie
Ihnen?
Selma Alaçam: Kelims sind Dekorationsobjekte, die einer vorislamischen
Tradition entstammen und bis heute in der Türkei hergestellt werden. Und da
ich in meiner Kunst zwei Welten zusammenbringen möchte – die türkische
meines Vaters und die deutsche meiner Mutter – arbeite ich gern mit
Objekten und Fotos aus beiden Kulturen. Ich versuche sie zu transformieren
und eine dritte Welt zu erschaffen. Einen Ort, an dem ich mich wohlfühle.
Was bedeuten die abstrakten Muster der Kelims?
Es sind – oft von der Mutter an die Tochter weitergegebene – traditionelle
Muster, von denen jedes für eine Emotion der Weberin steht. Oft stecken
Sehnsüchte darin, der Wunsch zu heiraten oder die Angst, den falschen Mann
zugesprochen zu bekommen. Aber ganz entschlüsseln kann man sie nicht. Ein
kleines Geheimnis bleibt.
Sie haben die Teppiche mit schwarzen Lack übersprüht. Darf man das?
Als ich die Arbeiten hergestellt habe, hieß es schon gelegentlich: „Wie
kannst du so etwas Schönes zerstören?“ Aber mir ging es darum, den
kunsthandwerklichen Kelim in ein Kunstwerk zu verwandeln, indem ich mich in
die junge, fremdbestimmte Weberin hineinversetze.
Geht es auch um Emanzipation?
Ja, natürlich! In meiner Kunst arbeite ich insbesondere weibliche
Erfahrungen auf – meine eigenen und solche, die mir zugetragen wurden.
Welche eigenen Erfahrungen? Sollten Sie auch verheiratet werden?
Nein, aber es gab in meiner Jugend schon so ein Gespräch. Es war nichts
Ernstes, aber als ich in die Pubertät kam, fühlte sich mein Vater
verpflichtet, mich zu fragen, ob er mich bei der Männersuche unterstützen
darf. Und dieser Gedanke steckt natürlich auch in meinen Arbeiten: dass es
bis heute junge Frauen gibt, die ihren Partner nicht selbst bestimmen
können.
Sie sind anders sozialisiert. Wie verlief Ihr deutsch-türkisches
Familienleben in Mannheim?
Es war nicht einfach, denn ich habe mich teilweise heimatlos gefühlt: In
Deutschland war ich diejenige, die streng erzogen wurde und mehr Regeln
beachteten musste als meine deutschen Freundinnen. Und in der Türkei war
ich die „Deutschländerin“. Zudem entstamme ich einer eher konservativen
muslimischen Familie, in der es üblich ist, dass sich die Frauen
hauptsächlich um die häuslichen Belange kümmern. Nach meinen Bedürfnissen
wurde selten gefragt, und ich habe lange versucht, dem zu entsprechen, was
von mir erwartet wurde.
Sie waren oft in der Türkei?
In den Sommerferien. In den letzten Jahren aber nicht mehr. Es wurde mir zu
mühsam, in eine Rolle gezwungen zu werden und meine Identität zu
verleugnen.
Was haben diese Erfahrungen mit den Popsongs zu tun, die Sie auf die Kelims
sprühten?
Es sind Liedzeilen von Fiona Apple, Depeche Mode, Johnny Cash und José
Gonzales, die ich in der Pubertät gehört habe. Sie handeln von Liebe,
Sehnsucht, Identität – Themen, die auch die gleichaltrige Weberin des
Kelims bewegt haben müssen. Dieser Link hat mich interessiert, denn das
Leben zwischen den Kulturen war lange ein Identitätskonflikt für mich.
Sie zeigen auch ein Hochzeitsvideo Ihrer Eltern, auf dem sich Ihr Vater dem
Kuss der Mutter verweigert. Wieso?
Im Grunde wusste meine Mutter, die für die Heirat zum Islam konvertiert
ist, dass ein Muslim nicht vor der Kamera geküsst werden will. Aber sie
dachte wohl, sie könnte ihn in diesem romantischen Moment rumkriegen.
Lachen Ihre Eltern heute über dieses Video?
Meine Eltern kommen regelmäßig zu den Vernissagen und können inzwischen
beide darüber lachen. Mein Vater war anfangs skeptisch, als er mitbekam,
dass ich auch mit intimem Material arbeite. Aber inzwischen hat er
dazugelernt. Er hat sich als türkischer Mann in Deutschland ja auch
emanzipiert.
Und wie finden Ihre Eltern das Video „Körperprojektionen“, wo Sie nackt von
osmanischen Mustern überdeckt werden?
Meine Mutter liebt diese Arbeiten und findet sie sehr ästhetisch. Mein
Vater neigt dazu, daran vorbeizugehen und sie auszublenden.
Wofür stehen die osmanischen Fliesenmuster?
Ich wollte zeigen, dass jede Form der Erziehung – ob es eine traditionell
muslimische oder eine deutsche ist – Dinge in die Haut, den Körper, den
Verstand, die Seele einschreibt. Sogar wenn wir sie ablehnen, prägen sie
uns wie eine Tätowierung. Und zwar schützend und überwuchernd zugleich; das
ist ambivalent.
In einem anderen Video stempeln Sie sich den deutschen Bundesadler ins
Gesicht.
Das „Abstempeln“ – zum Beispiel als Deutsche oder Türkin – geschieht ja
normalerweise von außen. In diesem Video habe ich mich selbst ermächtigt,
indem ich meine Identität scheinbar selbst wähle und sage: Ich bin Deutsche
– und zack ins Gesicht damit. Aber durch die Überlagerung der
Stempelabdrücke verschwindet das Gesicht, sodass der Vorgang ad absurdum
geführt wird.
Wie sehen Sie sich heute: als Deutsche oder als Türkin?
Diese Kategorien spielen keine Rolle mehr. Es gab sicherlich Phasen, in
denen ich mich gegen das Türkischsein gewehrt habe, weil ich es als junge
Frau anstrengend fand zu verstehen, welche Mechanismen da greifen. Heute
belastet mich das nicht mehr. Ich finde es eher gut, dass ich so die
Möglichkeit hatte, meinen Horizont zu erweitern und in eine Selbstreflexion
zu kommen.
3 Sep 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Türkische Kunstszene nach Putschversuch: Tanz auf Bakunins Barrikaden
Im Ausnahmezustand wird plötzlich zum Vorteil, was jahrelang beklagt wurde:
das Fehlen einer staatlichen Kulturpolitik.
Malerin Svenja Maaß im Porträt: „Aha, ein Pfeilgiftfrosch“
Die Hamburger Künstlerin Svenja Maaß liebt kleine und große Formate. Warum
sie fellige Tiere als Motiv – und die Belebtheit von gemalten Gurken liebt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.