# taz.de -- Roberta Bailey über Punkfotografie: „Meine Fotos sind aktionsori… | |
> Roberta Bailey ist eine frühe Chronistin des Punk. Die New Yorkerin über | |
> ihre Zeit an der Tür des Clubs CBGB’s und die US-Tournee der Sex Pistols. | |
Bild: Die Sex Pistols im Cain's Ballroom, Tulsa, 12. Januar 1978 | |
taz: Frau Bailey, in „Please Kill Me“ der Oral History des New-York-Punk, | |
sind Sie eine frühe Zeugin. Sie berichten davon, wie Sie Mitte der | |
Siebziger mit dem Musiker Richard Hell unter einem Dach wohnen. | |
Roberta Bailey: Wir haben zusammen gewohnt und waren auch eine Weile | |
liiert. Ich bekam mit, wie er bei Television rausflog, mit den | |
Heartbreakers spielte und dann ein Soloalbum aufnahm, für das ich die Fotos | |
gemacht habe. | |
Wann sind Sie nach New York gekommen? | |
1974, da war ich 24 Jahre alt. Es war die Zeit, als die New York Dolls die | |
hippste Band der Stadt waren, sie inspirierten viele andere. Es war die | |
Spätphase von Glitterrock und der Anfang von etwas Neuem. Manche, wie Patti | |
Smith, trugen schon kurze Haare. Ich habe damals nicht realisiert, wie hart | |
die Leute an sich arbeiteten, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Es war cool | |
und gleichzeitig zum Anfassen. Eine Freundin organisierte eine | |
Aftershowparty für einen Auftritt der Dolls, so rutschte ich da rein. | |
Die Dolls hatte keine kurzen Haare, sondern flirteten mit Dragqueen-Chick, | |
oder? | |
Ihr flamboyantes Image kam eher auf den Albumcovern zum Tragen, aber sie | |
trugen gerne die Klamotten ihrer Freundinnen. Es gab tatsächlich Dragqueens | |
wie Wayne County, der zu Jayne County wurde, und die heute vergessene Band | |
Harlots of 42nd Street. Ich befreundete mich wiederum mit Television, die | |
allsonntäglich im CBGB’s spielten. Eine Kamera hatte ich noch nicht. Durch | |
den Manager von Television bekam ich einen Job im CBGB’s, saß fortan an der | |
Tür und kassierte Eintrittsgeld. | |
Wie lief das ab? | |
Das war ein undankbarer Job, alle versuchten umsonst reinzukommen. Ich | |
musste mit Nachdruck argumentieren, dass die zwei Dollar Eintritt komplett | |
den Bands zugutekommen: Das müsse man verschmerzen, für Bier seien auch | |
alle bereit, Geld auszugeben. | |
Die britische Schriftstellerin Zadie Smith hat Sie in einem Text als „Door | |
Bitch“ verewigt, waren Sie streng? | |
Ja, das schon. Meist kamen nicht mehr als 60 Zuschauer. Ein paar habe ich | |
umsonst reingelassen, die Talking Heads aber nie, die kannte ich noch | |
nicht! Manchmal riefen Leute an und wollten wissen, was denn gerade lief, | |
also hielt ich den Telefonhörer in den Club, etwa wenn die Ramones zu | |
spielen angefangen hatten. | |
Die Ramones sind ein gutes Stichwort: Sie haben 1976 das inzwischen | |
legendäre Foto auf dem Frontcover des Debütalbums gemacht. Wann haben Sie | |
angefangen zu fotografieren? | |
1975 habe ich mir eine Kamera besorgt, vielleicht zwei Monate vor dieser | |
Fotosession, ich weiß noch, dass es mein 28. Film in der Kamera war. | |
Ursprünglich waren die Fotos als Coverstory für die dritte Ausgabe des | |
Magazins Punk gedacht. Sire, die Plattenfirma der Ramones, hatte für die | |
Album-Promotion einen professionellen Fotografen engagiert, aber die Band | |
lehnte dessen Fotos ab, Sïre geriet in Panik, so kam ich ins Spiel. | |
Das Foto ist in-your-face. Man sieht die vier Musiker vor einer | |
Ziegelmauer. Durch das Schwarzweiß mutet es an wie eine Illustration für | |
einen Dickens-Roman. Was haben Sie da gedacht? | |
Ich möchte Sie jetzt nicht enttäuschen, aber die Mauer stand einfach da. | |
Wir hingen im Ramones-Loft in der East-2nd-Street ab, wo sie mit ihrem | |
Lichtmischer Arturo Vega wohnten. Die Fotos in der Wohnung waren | |
langweilig, also gingen wir nach draußen und kamen an einem Spielplatz | |
vorbei, der von dieser Mauer begrenzt wurde. Ich reihte sie daran auf und | |
zack. | |
Und dann? | |
Dee Dee Ramone ist noch in Hundescheiße gestiegen, davon habe ich | |
fotografische Beweise, die zeige ich bei der Ausstellung. | |
Aber das Bild ist schon die fotografische Entsprechung des Ramones-Sounds, | |
die kinetische Energie, der Speed. | |
Ja, das war reinste Konzeptkunst. Als ich sie 1975 bei einem Showcase in | |
einem Übungsraum erstmals sah, haben sie mich durch ihre Frechheit | |
umgeblasen: Sie sahen gut aus, kauten Kaugummi, es war irre schnell und | |
laut und das reinste Chaos. Dee Dee konnte nicht Bass spielen und singen, | |
Joey konnte nicht trommeln und singen. Erst dann wurde Dee Dee Bassist, | |
Joey zum Sänger. Johnny an der Gitarre und Tommy kam als Drummer hinzu. | |
Dazu noch diese bekloppten Comic-Texte: „Beat on the Brat / With a Baseball | |
Bat.“ | |
War das eine Reaktion auf das heruntergekommene New York jener Jahre? | |
Verglichen mit heute sah die Stadt trostlos aus. Als gefährlich habe ich | |
das damals nie empfunden, New York flößte mir keine Angst ein. Ich habe nie | |
in einem Fotostudio gearbeitet, meine Fotos sind meist auf der Straße | |
entstanden, sie sind aktionsorientiert, auch bei Konzerten, denn dadurch | |
kommt Dynamik ins Spiel. Selbst wenn ich Porträtfotos mache, gerät | |
unwillkürlich die Schlauheit der Straße mit ins Bild. | |
Ihr Kollege Dave Godlis hat davon gesprochen, dass er New York in Fotos | |
darstellt, wie Brassaï Paris eingerahmt hat. Wie finden Sie diesen | |
Approach? | |
Bei mir kam die Ästhetik von ganz alleine, weil ich mit meinen Fotos | |
umherschweife. Vielleicht bin darum eher so was wie eine Fotoreporterin, | |
unterwegs zum nächsten Ding. In meinen Fotos entsteht dennoch so etwas wie | |
Intimität. | |
Zum Beispiel bei Ihren Fotos von Blondie. | |
In diesem Fall kam die Vertrautheit dadurch zustande, dass ich 1978/79 eine | |
Weile Assistentin von Debbie Harry war und sie auf allen Tourneen begleitet | |
habe. Die MusikerInnen haben irgendwann vergessen, dass ich überhaupt mit | |
von der Partie war. Ich habe sie beim Zähneputzen fotografiert, als Debbie | |
in den Spiegel schaute. | |
1978 haben Sie die Sex Pistols bei ihrer ersten und letzten US-Tour | |
fotografiert. Die Pistols ließen bizarrerweise New York aus und fingen im | |
Süden an. Wie war das? | |
Durchgeknallt. Die Tour begann mit einem Auftritt in San Antonio/Texas, der | |
Club hieß Randy's Rodeo. Es kamen hauptsächlich Rednecks und schmissen mit | |
vollen Bierdosen um sich. Sid Vicious hat einem Zuschauer seinen Bass | |
drübergezimmert. Dann folgten Konzerte in Tulsa/Oklahoma, Baton | |
Rouge/Louisiana und Dallas/Texas. Von den Medien wurden die Pistols dadurch | |
eher als Novelty-Act wahrgenommen, die Leute kamen aus Sensationslust. Die | |
Sex Pistols waren gut in Form, ich fand sie eine fantastische Band, die | |
sich von den intriganten Spielchen ihres Managers Malcolm McLaren | |
emanzipiert hatte. Sid war zwar ein lausiger Bassist, aber ein toller | |
Showman. | |
Auch The Clash haben Sie fotografiert, sobald sie nach New York kamen. | |
Stimmt, The Clash habe ich bei ihrem ersten New Yorker Auftritt 1979 | |
getroffen, das war eines der letzten Konzerte, die ich als Fotografin | |
aufgenommen habe, weil es damals anfing mit Brutalpogo vor der Bühne. Mehr | |
Spaß hat mir gemacht, als ich mit Joe Strummer einen Tag lang durch die | |
Lower East Side gestreunt bin. | |
The Clash hatten sich zu jener Zeit bereits von ihren Punkwurzeln gelöst | |
und Anschluss an die frühe HipHop-Szene gesucht, was haben Sie davon | |
mitbekommen? | |
Zu meinem Bedauern hat mich das nicht so interessiert, obwohl Blondie 1979 | |
mit dem Song „Rapture“ den ersten Crossover-Erfolg hatte. Von meiner | |
kleinen Welt aus waren Harlem und die Bronx unendlich weit entfernt. Rap | |
war etwas anderes, was sich zeitgleich mit Punk entwickelte. Richtig | |
mitbekommen habe ich das erst Anfang Achtziger, da arbeitete ich in der | |
Peppermint Lounge. Damals hat sich die Downtownszene mit Rappern wie Afrika | |
Bambaataa gemischt. Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, HipHop ist | |
wirkmächtiger als Punk. | |
Was ist Ihre wichtigste Punk-Botschaft an die Nachgeborenen? | |
Do it yourself. Und wartet nicht, bis ihr das Studium abgeschlossen habt. | |
Ich habe ohne jede Vorkenntnis angefangen zu fotografieren und bin immer | |
noch dabei. Als die Ramones 1976 in London aufgetreten sind, haben sie den | |
Leuten gesagt, wenn wir es schaffen, könnt ihr es auch. Letztes Jahr hatte | |
ich eine Ausstellung in Buenos Aires, und es war schön zu erleben, dass die | |
Ramones dort bedeutsamer sind als die Beatles. | |
18 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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