| # taz.de -- Regisseur Dani Levy über Komödien: "Den Zuschauer im Kino attacki… | |
| > In Dani Levys neuem Film "Das Leben ist zu lang" will ein Regisseur die | |
| > Mohammed-Karikaturen zum Thema machen. Ein Gespräch über Hitler, Charlie | |
| > Kaufman und die Frage, wie weit Humor gehen darf. | |
| Bild: Liebt das Metafiktionale: Regisseur Dani Levy bei den Dreharbeiten. | |
| taz: Herr Levy,was macht eine gute Komödie aus? | |
| Dani Levy: Komödien haben die einmalige Chance, bestimmte Grenzen zu | |
| überschreiten und in tabuisierte, wunde Bereiche vorzupreschen, die man | |
| ansonsten vielleicht überhaupt nicht thematisieren könnte, weil sie zu | |
| belastet sind. Eine gute Komödie lässt aber auch Raum für ganz traurige und | |
| berührende Szenen. Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass eine Komödie | |
| von A bis Z lustig sein muss und dass bestimmte, auch anstrengende, | |
| Prozesse nicht mit einfließen dürfen. Im Gegenteil: Je ernster eine | |
| Geschichte ist, die dann in einer komödiantischen Form erzählt wird, umso | |
| stärker wird die Komödie. | |
| In "Das Leben ist zu lang" geht es auch um die Frage, was Humor darf. | |
| Ich habe kein Konzept, keinen Rahmen, von dem ich weiß: Da muss der Humor | |
| jetzt reinpassen, und was darüber hinausgeht, würde nicht mehr gehen. Humor | |
| ist ja auch eine sehr launische, sehr persönliche Angelegenheit, die sich | |
| im Laufe eines Lebens ändert. Mit zwanzig hat man einen anderen Humor als | |
| mit fünfzig oder mit achtzig. Der Humor wächst irgendwie mit einem mit. | |
| Deswegen ist Humor etwas, das ich ganz schwer einschätzen kann. Sowohl beim | |
| Schreiben als auch beim Drehen weiß ich meist gar nicht: Was ist jetzt | |
| eigentlich lustig und was kostet mich meinen Kopf? | |
| Ihr Protagonist Alfi Seliger möchte einen Film über die | |
| Mohammed-Karikaturen drehen. Wäre es momentan möglich, einen solchen Film | |
| zu machen? | |
| Ich glaube schon. Denn es handelt sich - wie Alfi das im Film auch einmal | |
| sagt - um ein unglaublich spannendes Thema, um auch einmal ein Stück weit | |
| die Freiheit, in der wir leben, auf den Prüfstand zu stellen. Ist es denn | |
| wirklich so, dass man über Mohammed keine Witze machen darf? Oder geht es | |
| vielmehr um die Frage, in welchem Kontext dies geschieht? Ich habe die | |
| Verärgerung der Muslime im Zusammenhang mit den Karikaturen durchaus | |
| verstanden und trotzdem ist es natürlich so, dass gerade im Judentum immer | |
| wieder Witze auf eigene Kosten, auf eigene kulturelle Kosten, gemacht | |
| werden. Es geht also auch um die Frage, ob man Humor in diesem Sinne als | |
| Bestandteil der eigenen Kultur empfindet oder nicht. | |
| In "Das Leben ist zu lang" gibt es zahlreiche metafiktionale Elemente. Etwa | |
| die Entdeckung Alfis, dass er eine Filmfigur ist. Für mich verbinden sich | |
| solche Metadiskurse zurzeit hauptsächlich mit dem Namen Charlie Kaufman. | |
| Ich bin ein großer Charlie-Kaufman-Fan. Für mich war "Being John Malkovich" | |
| ein ganz wichtiger Film, weil ich da gespürt habe, dass ein Film keine | |
| Autorität zu sein braucht. Er kann sich selbst infrage stellen, sich neu | |
| generieren. Den Zuschauern macht es unglaublich Spaß, wenn sich die Dinge | |
| plötzlich umdrehen, sich gegen sie wenden, wenn man das Gefühl hat, man | |
| fährt in die eine Richtung und plötzlich fährt man zurück, bis man nicht | |
| mehr weiß, wo eigentlich oben und unten ist. Charlie Kaufman macht genau | |
| das. Man weiß nicht mehr so richtig, auf welchem Boden man eigentlich | |
| steht: Welche Tür öffnet sich hier gerade? Was ist hinter dieser Tür? Und | |
| plötzlich trete ich in einen Raum, der eigentlich viel zu intim ist für den | |
| Zuschauer, wo ich das Gefühl habe, ich trete hinter die Bühne, obwohl ich | |
| eigentlich nur ein Stück auf der Bühne sehen will. Buster Keaton hat solche | |
| Dinge übrigens schon Anfang des letzten Jahrhunderts ausprobiert. Er ist | |
| beispielsweise aus Leinwänden herausgestürzt, was Woody Allen dann in "The | |
| Purple Rose of Cairo" aufgegriffen hat. Ich mag Filme, in die eine | |
| Reflexion des Mediums mit eingeflossen ist. | |
| Was sollte Kino leisten? | |
| Ich finde generell: Man muss den Zuschauer im Kino viel stärker | |
| attackieren, ihn aufwirbeln, ihm mehr zu kauen geben. Man braucht nicht | |
| immer weiches Toastbrot, sondern zwischendrin auch etwas, wo es gedanklich | |
| und emotional so richtig etwas zu beißen gibt. Am liebsten wäre es mir | |
| manchmal, einen Kinofilm zu machen, den man mit nur einer Kopie touren | |
| lässt und das Erlebnis auf der Leinwand mit einem Liveerlebnis im Kino | |
| koppelt, dass plötzlich Darsteller im Kino auftauchen, sodass man als | |
| Zuschauer gar nicht mehr weiß: Was ist jetzt zweidimensionales Kino und was | |
| dreidimensionales Leben? Kino ist so ein gesicherter Raum und manchmal | |
| fühlen sich die Leute ein bisschen zu sicher. Ich würde sie gerne mehr | |
| erschrecken. | |
| Haben Sie manchmal das Gefühl, in einem Ihrer Filme nicht weit genug | |
| gegangen zu sein? Die Befürchtung, dass man letztendlich doch harmlos ist, | |
| ist immer da. Die Angst des Künstlers ist immer die vor der | |
| Mittelmäßigkeit, dass man irgendwie einknicken könnte vor dem Konsens, um | |
| den Dissens nicht zu riskieren. Dass man dann doch die Ecke so lange | |
| abschleift, bis sie nicht mehr eckig ist, sondern nur noch rund. | |
| Ich muss an "Mein Führer" denken, wo ich den Eindruck hatte, dass der Film | |
| gewonnen hätte, hätte er sich mehr auf die fiktionalisierte Filmfigur | |
| Hitler konzentriert. | |
| Bei "Mein Führer" war es so, dass ich nie vorhatte, einen radikalen Film zu | |
| drehen. Ich wollte einen Film machen, der für mich und für die Leute, die | |
| ihn sehen, irgendeine Art von Einblick in die Geisteshaltung dieser Zeit | |
| gibt. Es ging mir darum, über die Komödie hinaus etwas in den Film | |
| hineinzupacken, das einem hilft zu verstehen, warum ein deutsches Volk zu | |
| solch einem Verbrechen fähig war. Also das, was jetzt auch im "Weißen Band" | |
| thematisiert worden ist: Mit welchen Methoden wurden Kinder des eigenen | |
| Willens beraubt? | |
| Quentin Tarantino geht in "Inglourious Basterds" noch einen wesentlichen | |
| Schritt weiter in Richtung Fiktionalisierung, indem er Hitler sterben | |
| lässt. Was halten Sie davon? | |
| Ich fand den Film zunächst einmal ganz toll. Er ist unglaublich gut | |
| gearbeitet und hat diese ganz spezielle, nicht betulich nach historischem | |
| Film riechende Patina eines Tarantino-Films, was ich extrem befreiend fand. | |
| Allerdings hatte ich mit der Idee, dass alle Nazis am Schluss in einem | |
| Kinosaal umgebracht werden, so meine Probleme. Ich kann mich, ehrlich | |
| gesagt, nicht davon lösen, dass Geschichte ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten | |
| und Wahrheiten hat, und ich weiß nicht, ob Tarantinos Herangehensweise | |
| tatsächlich so kathartisch gewesen ist, wie das teilweise von der Kritik | |
| behauptet wurde. | |
| INTERVIEW: ANDREAS RESCH | |
| 24 Aug 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Resch | |
| ## TAGS | |
| Film | |
| Jerusalem | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zweiter Kinostart der „Känguru-Chroniken“: Kampf der Gentrifizierung | |
| Hüpft ein Kommunist mit Beutel durch Berlin-Kreuzberg. Regisseur Dani Levy | |
| hat Marc-Uwe Klings „Känguru-Chroniken“ verfilmt. | |
| Kurzfilme über Jerusalem: Rundumblick am Checkpoint | |
| Der Regisseur Dani Levy hat vier Virtual-Reality-Kurzfilme über Jerusalem | |
| gedreht. Sie sind in einer Berliner Ausstellung zu sehen. |