# taz.de -- Kurzfilme über Jerusalem: Rundumblick am Checkpoint | |
> Der Regisseur Dani Levy hat vier Virtual-Reality-Kurzfilme über Jerusalem | |
> gedreht. Sie sind in einer Berliner Ausstellung zu sehen. | |
Bild: Ein etwas anderes Filmerlebnis: der 360-Grad-Blick mit der Virtual-Realit… | |
Regelmäßige Ausschreitungen, konstante Provokationen und ein | |
Friedensprozess, der mehr illusorisch ist als real – gefühlt ist das der | |
Alltag in Jerusalem, der Stadt, die sowohl jüdische Menschen als auch | |
Palästinenser*innen ihre Hauptstadt nennen. | |
Auf dem Zionsplatz in Downtown Jerusalem fragt ein Stand-up-Comedian in die | |
Menge: „Glaubt ihr an Palästina?“ Viele der Zuschauer*innen verneinen. | |
Jubel dagegen bei den Fragen: „Wer liebt Israel? Glaubt ihr an Israel?“ | |
Politische Comedy gehört zwar seit jeher zur jüdischen Kultur. Doch sobald | |
regierungskritische Töne geäußert werden, ist nicht mehr allen zum Lachen | |
zu Mute. | |
Als Beobachter*in dieser Szenerie von Dani Levys VR-Kurzfilm „Glaube“ ist | |
man selbst Teil des Geschehens, wird sogar angesprochen und in die Szene | |
eingebunden. Gleichzeitig können die Reaktionen der Passant*innen studiert | |
werden, die fast spannender sind, als der Straßenkünstler selbst. Denn die | |
Episode ist inszeniert, ein Großteil der Zuschauer*innen weiß nicht, dass | |
gefilmt wird. Nur vier von ihnen sind Schauspieler*innen. | |
Im Jüdischen Museum machen es Virtual-Reality-Brillen und Drehstühle | |
möglich, in die Szenerie einzutauchen, als sei man dabei. Man kann sich | |
einmal um sich selbst drehen – die Augen sehen alles rundherum, auch das | |
geschäftige Treiben auf den Straßen. Es ist eine schwindelerregende | |
Angelegenheit: Nach einer Weile verliert man das Raumgefühl, und es wird | |
anstrengend, seinen Kopf ständig hin und her zu bewegen. Manchmal stellt | |
sich leichter Schwindel ein, besonders dann, wenn sich der Kameramann | |
bewegt. | |
## Mitten drin im Geschehen | |
Auch das Bild ist nicht dauerhaft scharf, die Technik „ist noch in den | |
Kinderschuhen“, sagt Regisseur Levy. Kameramann Filip Zumbrunn musste für | |
die 360-Grad-Sicht erfinderisch werden: Auf seinem Kopf trug er auf einem | |
Reithelm und einer Kuchenform befestigt die Kamera. Um auf Augenhöhe mit | |
den Darsteller*innen zu bleiben, lief er während des Filmens meist in der | |
Hocke herum. Aufgenommen wurde in einem Take, ohne Schnitt. | |
Am heimischen Laptop kann das 360-Grad-Feeling durch die die Bewegung der | |
Pfeiltasten oder der Maus nachempfunden werden. Auch wenn man so nicht | |
richtig mitten im Geschehen drin ist wie mit VR-Brille, so ist es das | |
angenehmere Seherlebnis. Im Kurzfilm „Liebe“ steht man auf einmal in | |
einem vollen Linienbus, ist unterwegs vom Westjordanland nach Ostjerusalem. | |
An einem Checkpoint kommt der Bus zum stehen, zwei Grenzbeamte, schwer | |
bewaffnet, steigen ein. Die Passagiere wirken wenig beeindruckt. | |
Bis auf zwei palästinensische Frauen, denn eine der beiden hat einen | |
abgelaufenen Pass dabei. Auch das ist ein Bild, das Levys Filme | |
hinterlassen: ein Jerusalem, in dem eine abstrus erscheinende Normalität | |
herrscht. Die Frau wird von einem der Beamten aufgefordert auszusteigen. | |
Als Beobachter*in setzt man sich mit in Bewegung und folgt ihnen in eine | |
Art Zelt an der Grenzmauer und kann sich auch die Umgebung genau anschauen. | |
Der Comedian auf dem Zionsplatz hält die Mauer für illegal. „Diese Mauer | |
beschützt uns!“, „Nur so haben wir Frieden“, sind erzürnte Reaktionen a… | |
dem Publikum. Der Spaß ist vorbei. „Du kommst mit uns mit“, spricht einer | |
der wütenden Männer den*die Zuschauer*in direkt an, als der Comedian in die | |
Ecke einer Straße gedrängt wird, „dann siehst du das echte Israel.“ Es ist | |
ein mulmiges Gefühl, mittendrin zu sein, aber nichts sagen oder tun zu | |
können. Teilweise kommen einem die Schauspieler*innen virtuell unangenehm | |
nah. | |
## Einblick in eine abstruse Realität | |
Der jahrzehntealte Konflikt in und um Jerusalem wird in jeder der vier | |
Kurzfilme von Levy, die der Regisseur begleitend zur „Welcome to | |
Jerusalem“-Ausstellung im Jüdischen Museum drehte, durch alltägliche | |
Situationen greifbar. Die Mauer, die die Stadt teilt, ist nicht nur zu | |
sehen, sondern auch zu spüren. In all der Ernsthaftigkeit, die in den | |
Szenen mitschwingt, findet sich aber auch immer etwas Witziges, Skurriles. | |
Am Ende jeder Episode macht sich Enttäuschung darüber breit, dass die | |
Geschichte nicht weitererzählt wird. Gleichzeitig steht die | |
360-Grad-Erfahrung im Vordergrund, bestimmte Episoden sind eher durch die | |
Virtual-Reality-Perspektive spannend als durch den Plot selbst. Manche | |
der Filme hätten diese Technikspielerei nicht gebraucht. | |
„Glaube“, „Hoffnung“, „Liebe“ und „Angst“ sind sicherlich nicht… | |
Titel der Filme geworden. Trotz ihrer Fiktion spiegeln sie doch auch die | |
Realität der Stadt wieder. In sie können Zuschauer*innen durch den | |
360-Grad-Blick zumindest temporär eintauchen. | |
27 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Mirjam Ratmann | |
## TAGS | |
Jerusalem | |
Virtual Reality | |
Kurzfilm | |
Checkpoint Charlie | |
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