# taz.de -- Regionale Mini-Documenta: Nichts ist, wie es scheint | |
> Der Bremer Kunstfrühling präsentiert viele Künstler aus dem hassgeliebten | |
> Hamburg. Und mit ihnen das stetige Changieren zwischen Realität und | |
> Illusion. | |
Bild: Charme des Morbiden: Alexander Rischers Fotos in Bremens altem Güterbahn… | |
BREMEN taz | Bröckelnde und schrundige Zeichen des Alterns, klaffende | |
Wunden ehemaliger Nutzung, einstürzende Mauern, rotbrauner Stahl, Schienen | |
ins Nirgendwo: Dem Charme der Brache erliegen Künstler gern, denn dort | |
riecht es nach Außenseitertum, und das ist ein wirkungsvoller Kontrast zur | |
gefühlten Vitalität des eigenen Schaffens. | |
Geradezu ideal sind dafür die riesigen Ausmaße der Gleishalle des | |
ehemaligen Bremer Güterbahnhofs. 14.000 Quadratmeter ist er groß, und was | |
als kuscheliges Treffen Bremer Künstler begann, hat sich der Metropolregion | |
Bremen-Oldenburg geöffnet und zum formidablen Kunstfestival entwickelt. | |
Diesmal hat der alle drei Jahre stattfindende [1][Kunstfrühling] des | |
[2][Bremer Verbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler] die | |
hassgeliebten Nachbarn aus Hamburg als Partner geladen. Claus Mewes, | |
Ex-Chef des Hamburger Kunsthauses, rief dann auch in der „Szene Hamburg“ | |
zum Aufbruch. „Ab nach Bremen“, forderte er. Einen bunteren Überblick über | |
das aktuelle professionelle Kunstschaffen an Elbe und Weser werde es so | |
schnell nicht wieder geben. | |
Für diesen Imagegewinn hat Bremen die Schatulle weit geöffnet: Etwa 250.000 | |
Euro kostet die Leistungsschau. Die Hälfte davon tragen Sponsoren, die | |
andere die Bremer Kulturbehörde. Hamburg legt 5.000 Euro dazu. | |
Noch bis zum 25. Mai wird die regionale Mini-Documenta gefeiert, Dauer: | |
zehn statt der Kasseler 100 Tage sowie eine Messe, die „Art | |
Nordniedersachsen“ betitelt werden könnte. Einerseits ist das eine | |
Einladung zum Flanieren, anderseits zum Informieren und Kennenlernen. | |
Museen, Kunstvereine, Galerien, Produzentengemeinschaften und Atelierhäuser | |
werben für Künstler, Ausstellungen, Ideen. | |
## Nicht einfach käuflich | |
Im Gegensatz zu kommerziellen Veranstaltungen kann man beim Kunstfrühling | |
Präsentationsfläche aber nicht kaufen: Die Hamburger Kunstkritikerin und | |
Kuratorin Belinda Grace Gardner hat die Institutionen ausgewählt – je 40 | |
aus Hamburg und dem Großraum Bremen. Trotzdem ist auch Geschmäcklerisches | |
zu sehen, das kaum mehr ist als Wohnraumdesign oder die Nachahmung | |
bekannter Positionen. | |
In den hinteren Hallenbereich lockt die Ausstellung „Notausgang am | |
Horizont“. Dort hat der Berliner Kurator Ludwig Seyfarth seine | |
Best-of-Schau realisiert, in der 38 der eingeladenen 67 Künstler aus | |
Hamburg kommen. In der Metropolregion Bremen-Oldenburg sei er nicht so | |
fündig geworden, sagt er. Die Hamburger Szene sei aber „sehr lebendig“. | |
Die repräsentiert vor allem eines: Vielfalt. Mit frisch gebastelten | |
Installationen und Performances wird die Halle bespielt, an | |
Computerbildschirmen, mit Kameras und realen Pinseln geschaffene Bildwelten | |
buhlen um Aufmerksamkeit. | |
## "Sehr unterschätzt" | |
Die Bremer Szene beschreibt Seyfarth als „sympathisch unaufgeregt und sehr | |
unterschätzt“. Da Kunst für ihn vor allem visuell funktionieren müsse, sei | |
er beeindruckt vom Einfluss der Bremer Ex-HfK-Professorin Karin Kneffel. | |
Wie ihre Schülerinnen die handwerklichen Möglichkeiten der Malerei nutzten, | |
das könnte ein Markenzeichen der Bremer Kunst sein, sagt er und verweist | |
auf Sibylle Springer. Geheimnisvoll verhüllt sie ihre Bildmotive hinter | |
impressionistisch wirkendem Nieselregen aus Farbpunkten. | |
Auch die Bremerinnen Karen Koltermann und Patricia Lambertus schätzt er | |
sehr. Die eine malt in Fotos abgewrackter Schiffe surreale Eis- und | |
Wüstenlandschaften hinein. Die andere beklebt eine 30 Meter lange | |
Stellwand. Von Ferne vermittelt sich der illusionsmalerische Panoramablick, | |
beim Nähertreten bleibt nur eine durchlöcherte Collage aus Kriegsbildern | |
und Tapetenresten. | |
Solcherlei Täuschung entspricht Seyfarths beiläufig ausgelegtem roten | |
Faden: Nichts ist, was es zunächst scheint. Was Mei-Shiu Winde-Liu zum | |
Beispiel von der Decke hängen lässt, sind keine wassergefüllten | |
Plastiktüten, sondern aus Harz gegossene Illusionen mit Wasser gefüllter | |
Plastiktüten. Und Dominik Becks Muster auf der Drehscheibe ist, wenn man es | |
durch eine Kamerablende fixiert, ein Hakenkreuz. | |
„3 Hamburger Frauen“ wiederum malen Teppichmuster auf Leinwand und legen | |
sie aus. Alexander Rischer porträtiert verwitterte, mittelalterliche | |
Objekte, die auf Riten verweisen, die keiner mehr kennt. Und während die | |
Veranstalter froh sind, das Hallendach dicht bekommen zu haben, stellt | |
Heiko Wommelsdorf unbeirrt schwarze Plastikeimer auf den Boden und lässt | |
Wasser hineintropfen, sodass im Katalog von einer Klang-Raum-Skulptur die | |
Rede ist, die Minimal Music komponiere. | |
Den Mittelpunkt der Schau bildet Michael Dörners in die Luft gehängtes, rot | |
bepinseltes Geviert zum Hineinklettern. „Wer hat Angst?“ lautet der Titel. | |
Wer keine hat, gelangt in Uropas Vitrine mit Schalen, Kelchen, einem | |
ausgestopften Fuchs. | |
Zu all den Werken ist es natürlich möglich, sich Gedanken zu machen, in | |
denen der Ausstellungstitel – „Notausgang, Horizont“ – vorkommt. Muss a… | |
nicht. Der Kunstfrühling ist ein in fast alle Richtungen sprießender | |
Genuss. | |
## Bremer Kunstfrühling: bis 25. 5., Gleishalle am Güterbahnhof, Beim | |
Handelsmuseum 9 | |
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20 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kunstfruehling.de/de/start/ | |
[2] http://www.bbk-bremen.de/ | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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