# taz.de -- Rätsel der Fanwerdung: Mitleid für Fußballanhänger | |
> Wie wird man eigentlich Fan von Kickers Offenbach oder dem TSV 1860 | |
> München? Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Aber Mitgefühl ist | |
> angebracht. | |
Bild: Schicksal: seinen Lieblingsverein kann man sich nicht aussuchen (aber mus… | |
Fußballfans sind ein gar drolliges Völkchen. Die meisten wissen um den | |
Irrsinn, Vereinen wie Eintracht Braunschweig, Waldhof Mannheim [1][oder gar | |
dem TSV 1860 München] anzuhängen. Manche bekommen es von den Eltern und | |
können sich so um die Frage drücken, warum sie ausgerechnet bei Kickers | |
Offenbach, Lok Leipzig oder Schalke 04 gelandet sind. | |
Eva Kienholz beschreibt in Band 31 einer Reihe mit dem großspurigen Namen | |
„Bibliothek des Deutschen Fußballs“ die Fanwerdung ihrer Freundin Lea, wie | |
diese also zum FC Schalke 04 gekommen ist, „wie ihr Vater bei jedem Tor von | |
Schalke der schwangeren Mutter ein Radio an den Bauch gehalten hat, um ja | |
sicherzugehen, dass Lea schon im Mutterleib mitfiebert“. | |
Die Schilderung ist natürlich problematisch, denn dieser Band 31 der von | |
dem unverbesserlichen Fanversteher Frank Willmann herausgegebenen Reihe | |
befasst sich mit Borussia Dortmund. Eva Kienholz hat ihn zusammen mit | |
Nikita Afanasjew geschrieben. Aus Fanperspektive, versteht sich. Denn die | |
„Bibliothek des Deutschen Fußballs“ ist gnadenlos subjektiv, sie ist die | |
Fankurve der Fußballliteratur. | |
Da ist es nur klar, dass Schalke-Fans nicht allzu gut wegkommen in einem | |
Buch von Dortmund-Fans. Und doch scheint da auch eine Art Mitgefühl durch, | |
wenn etwa die Rede auf „verhinderte Schalker“ kommt. Solche „ziehen immer | |
weiter, versuchen, ihrem Schicksal zu entfliehen, meiden all das Hässliche, | |
Asoziale und Zermürbende, sie laufen zum Licht.“ | |
## Vergebliche Flucht | |
Nur manchmal sei ihnen zu entlocken, dass sie gewisse Sympathien für | |
Schalke hegen, zu denen sie sich aber nicht so recht bekennen können. „Es | |
ist wie eine Art Stigma, dem zu entkommen sie ihr Leben lang versuchen, das | |
sie aber nicht komplett ablegen können.“ Wer für solche Menschen kein | |
Mitgefühl entwickeln kann, in dessen Brust schlägt wohl kein Fußballherz. | |
Den zwei Dortmunder Fanautoren ist schon auch klar, dass sie keine besseren | |
Menschen sind, nur weil sie irgendwann einmal zu Borussia Dortmund gekommen | |
sind. Der eine als heranwachsender Immigrant aus Russland, der in | |
Recklinghausen landete und die üblichen Fußballfarben Blau-Weiß und | |
Rot-Weiß so langweilig fand, dass er sich für Schwarz-Gelb entschied. Und | |
die andere, weil ihr Jahre später ebendieser dann schon als junger Mann den | |
BVB nahegebracht hat. So nah, dass sie tatsächlich mittlerweile allein in | |
Stehtischkaschemmen geht, nur um sich dort ein stinknormales | |
Bundesligaspiel anzuschauen, weil sie das Gefühl hat, dass sie das jetzt | |
irgendwie tun muss. Auch bei dieser Schilderung mag einen Mitleid | |
überkommen. | |
Das ist in anderen Bänden der Reihe auch nicht anders, etwa wenn Stephanie | |
Dilba über sich und den 1860 München schreibt oder Uli Hannemann über | |
Eintracht Braunschweig. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, niemandem ist es | |
aufgezwungen worden, und keiner vermag es abzuwerfen. Warum das wirklich so | |
ist und ob es vielleicht doch Ausnahmen gibt, wird die Welt vielleicht | |
wissen, wenn die „Bibliothek des Deutschen Fußballs“ einmal zum Abschluss | |
gekommen ist. Der jüngste Band der [2][bei Culturcon Medien in Berlin | |
erscheinenden Reihe] widmet sich übrigens Eintracht Frankfurt. Das Mitleid | |
der Leser:innen darf Autor Dominik Bardow jedenfalls gewiss sein. | |
2 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Wahrheit/!5690055 | |
[2] https://www.culturcon.de/shop-buecher-fussballfibel.html | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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