| # taz.de -- Radsportler Kluge über Freude & Qualen: „Wie überlebe ich das b… | |
| > Roger Kluge über seinen existenziell wichtigen Etappensieg beim Giro | |
| > d’Italia und seine wahre Liebe. Die findet er nur auf einem Holzoval. | |
| Bild: Sein größter Tag: Roger Kluge gewinnt die 17. Etappe des Giro d'Italia … | |
| taz.am wochenende: Herr Kluge, Sie sind der dritte deutsche Etappensieger | |
| bei diesem Giro d’Italia. Bei Marcel Kittel und André Greipel hat man das | |
| erwarten dürfen, bei Ihnen eher nicht. Was bedeutet Ihnen dieser Sieg vom | |
| Mittwoch? | |
| Roger Kluge: Das ist mein größter Erfolg so weit. Ich stelle ihn sogar über | |
| Olympiasilber in Peking. | |
| Ehrlich? Ein Tagessieg bei einer großen Rundfahrt zählt mehr als die | |
| Olympiamedaille 2008 im Punktefahren? | |
| In den meisten Sportarten ist sicher Olympia das Wichtigste. In unserer | |
| Branche sind aber die großen Rundfahrten das Nonplusultra. Und ein | |
| Etappensieg dort ist das Größte. Zwar ist Olympia nur alle vier Jahre, aber | |
| so ein Tagessieg bei einer Rundfahrt zählt mehr, weil es hier um die | |
| Zukunft geht. | |
| Das heißt, trotz des angekündigten Aus Ihres Rennstalls IAM zum Saisonende | |
| können Sie mit dem Tagessieg optimistisch in die Zukunft blicken? | |
| Ja, die nächsten zwei, drei Jahre dürften erst einmal gesichert sein. | |
| Sie werden also wieder an großen Rundfahrten teilnehmen. Wie steht man so | |
| eine dreiwöchige Tortur durch? | |
| Man muss gut vorbereitet reingehen, fit sein, sturzfrei durchkommen. Beim | |
| Ruhetag muss man gut regenerieren. Das ist das Rezept. | |
| Was war bei den großen Rundfahrten bisher Ihr schlimmster Moment? | |
| Am schlimmsten sind Stürze. Wie bei meiner ersten Tour de France 2010, als | |
| ich im Gruppetto hinten gestürzt bin. Das war blöd. Ich konnte die Etappe | |
| noch beenden, hatte aber das Kahnbein gebrochen und musste operiert werden. | |
| Leider bin ich auch 2014 nicht ohne Sturz geblieben. | |
| Wie kommt man dann mit einer Sturzverletzung am Anfang durch die folgenden | |
| zweieinhalb Wochen? | |
| Jedes Team hat ja einen Arzt. Und der versucht das Beste dagegen zu tun. | |
| Ganz schlimm sind tiefe Wunden. Und solche an Stellen, an denen sich die | |
| Haut bewegt, an Hüfte oder Knie. Man schläft schlecht, erholt sich nicht | |
| gut. Und irgendwann kann es sein, dass man keine Kraft mehr hat. Wenn man | |
| aber trotz der Wunden essen und schlafen kann, dann übersteht man auch mit | |
| Verletzungen eine große Rundfahrt. | |
| Schmerzmittel sind erlaubt? | |
| Im Rahmen, ja. Manchmal hilft auch einfach Aspirin. | |
| Die größte Attraktion von Rundfahrten sind die Berge. Wie geht es Ihnen | |
| damit? | |
| Bei mir stellt sich immer die Frage: Wie überlebe ich das bloß? Ich bin ja | |
| einer der größten hier im Peloton, und ich glaube, auch der schwerste . . . | |
| . . . mit 1,91 Meter Körpergröße und 87 Kilogramm Gewicht. | |
| Ich spüre jedes Kilo, jeden Meter, den es hochgeht. Ich bin schon einer, | |
| der früh die 400-Watt-Schwelle erreicht und dieses Niveau sehr lange halten | |
| muss, um noch vorn dabei zu sein. Dafür rollt es runter dann etwa leichter. | |
| Aber da, wo die anderen noch recht locker über manchen Hügel kommen, müssen | |
| Sie schon ganz schön treten? | |
| Ja, selbst im Gruppetto hinter der Spitze ist das nicht unbedingt einfach | |
| für mich. Ich fahre an der Leistungsgrenze, während es für andere mit 300 | |
| Watt oder sogar noch darunter reicht. Die sind im Trainingsmodus, und ich | |
| bin bei 360 oder 380 Watt und ächze. Für mich ist das Gruppetto deswegen | |
| nicht wirklich erholsam. In diesem Jahr habe ich wegen der Vorbereitung auf | |
| das Omnium (Wettbewerb im Bahnradsport, der aus sechs verschiedenen | |
| Kurzzeit- und Ausdauerdisziplinen besteht; d. Red.) in Rio gar keine Berge | |
| trainiert. Das war nicht gut. Manchmal bekommt man dann ein Zwicken im | |
| Rücken, ein Zwicken in den Knien, weil es eine andere Art der Belastung | |
| ist. | |
| Wo schmerzt es in den Bergen am meisten? | |
| In den Schenkeln, da, wo die meiste Arbeit geleistet werden muss. Der eine | |
| oder andere erzählt von Rückenschmerzen, wegen der gebückteren Haltung. Es | |
| kann auch Sitzprobleme geben, gerade wenn man am Limit fährt und weiter auf | |
| die Sattelspitze rückt. Dann sitzt man nicht mehr entspannt drauf und | |
| scheuert sich schon mal den Hintern wund. | |
| Wie bewegen Sie sich als groß gewachsener Fahrer im Peloton? | |
| Ich sehe mehr als andere und kann vorausschauender fahren. Ich frage mich | |
| manchmal, was ich sehen würde, wenn ich 1,70 oder kleiner wäre. Gerade auf | |
| den schnellen flachen Abschnitten sehen die Kleineren wirklich nichts. Oder | |
| sie sind so klein, dass sie schon wieder unterm Sattel durchgucken können. | |
| Gibt es Fahrer, die mit Vorliebe Ihr Hinterrad suchen, weil es da viel | |
| Windschatten gibt? | |
| Das ist gut möglich. Aber ich drehe mich ja nicht um. | |
| Sie waren vor allem als Sprintvorbereiter für Heinrich Haussler eingesetzt. | |
| Wann beginnt so eine Sonderschicht? | |
| Das geht durchaus schon bei 30, 40, manchmal sogar 50 Kilometer vorm Ziel | |
| los. Man merkt, alle werden nervöser. Auch die Teams ohne Sprinter werden | |
| das. Denn alle wollen ihre Kapitäne aus dem Gröbsten heraus halten. | |
| Worauf muss man bei den Positionskämpfen am meisten achten? | |
| Erst mal muss man gut informiert sein über Tunnel, Engpässe und | |
| Verkehrsinseln. Das Problem ist, dass alle Fahrer an dieser Stelle vorn | |
| fahren wollen. Man sollte also nicht zu lange warten. Wenn man aber | |
| rechtzeitig weit vorne ist und hinten ist ein Sturz, dann hat man schon | |
| viel erreicht. | |
| Sind Sie lieber auf der Bahn oder auf der Straße unterwegs? | |
| Schwierige Frage. Jetzt bin ich froh, dass ich hier in Italien bin. Es gibt | |
| auch entspannte Momente, bei denen man sich die Landschaft anschauen kann. | |
| Aber ganz klar liegt meine Leidenschaft auf der Bahn. Da gibt es keinen | |
| Wind, keine Berge, keinen Regen, und man hat nur 20 Leute, die man besiegen | |
| muss, während es hier fast 200 sind. | |
| Jetzt hat es aber auch gegen die fast 200 geklappt beim Giro. Am Tag nach | |
| Ihrem Etappensieg sind Sie sogar gleich wieder in die Fluchtgruppe | |
| gefahren. War das Übermut? | |
| Ich hatte mir die Etappe schon vorher ausgesucht. Ich wollte bei drei | |
| Wochen Rundfahrt auch einmal in eine Fluchtgruppe. Die Etappe davor hatte | |
| ich mir ebenfalls vorgemerkt. Da kam dann der Etappenerfolg. Für eine | |
| Fluchtgruppe blieb also nur dieser Tag übrig. Das Finale war aber extrem | |
| schwer. Ich war leer. | |
| Herr Kluge, wie dopingverseucht ist der Radsport noch? | |
| In Deutschland sieht es ganz gut aus. Es wendet sich alles langsam zum | |
| Besseren. Jetzt kriegen wir den Tour-de-France-Start im nächsten Jahr in | |
| Düsseldorf, dann vielleicht eine Neuauflage der Deutschlandtour. Das sind | |
| alles sehr gute Zeichen. Wir haben auch erfolgreiche deutsche Fahrer im | |
| Profibereich. Wir brauchen nur die Sponsoren wieder, das Vertrauen der | |
| Firmen. | |
| Und wie ist die Lage international? Wird weniger Epo benutzt? | |
| Im Gruppetto, also bei den hinteren Fahrern, sowieso nicht. Das sind | |
| wahrscheinlich noch die Saubersten. Was vorne abgeht, weiß ich nicht. Wenn | |
| man keinen erwischt, ist alles gut. Wenn man dann in ein, zwei Monaten nach | |
| dem Ende des Giro aber wieder sieht, aha, da hat es doch einen gegeben, | |
| dann wird auch klar, dass manche Fahrer nichts daraus lernen. Wenn jetzt | |
| Leute mit Epo kommen, fragt man sich schon: Wie doof sind die eigentlich? | |
| Früher oder später kommt das eh raus. | |
| Wegen der Nachtests von Dopingproben? | |
| Ja. | |
| Seit geraumer Zeit gibt es auch das Thema Motordoping. Haben Sie schon den | |
| Einsatz von versteckten Motoren im Rennen beobachtet? | |
| Nee, nicht bei uns. In Videos, im Internet ja, aber nicht im Rennen. | |
| Ihr nächster Höhepunkt liegt in Rio. Was nehmen Sie sich vor? | |
| Eine Medaille im Omnium. In London war ich Vierter. In Peking habe ich | |
| Silber im Punktefahren geholt. Gold wäre die Krönung. | |
| Wie würde sich das Leben als Olympiasieger wohl ändern? | |
| Man kriegt ein paar Einladungen zu Events. Aber das Leben auf der Straße | |
| ändert sich nicht groß. Ich habe nach Rio sechs Tage Erholung, dann habe | |
| ich ein Rennen in Hamburg. Das ist ein bisschen schade. | |
| 28 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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