# taz.de -- Radrennen der Amateure: Anspruchsvolle Hügel | |
> Vielleicht ließe sich die Landschaft zwischen dem Lago di Varese und dem | |
> Lago Maggiore anders besser genießen – als ausgerechnet auf dem Rad. | |
Bild: Viel zu schade, um durchzubrettern: Blick vom Kloster Ererno di S.Cateria… | |
Seit 1919 findet alljährlich Ende September rund um die norditalienische | |
Stadt Varese ein professionelles Radrennen statt, zu dem die großen Teams, | |
die früher im Jahr den Giro d’Italia und die Tour de France gefahren sind, | |
ein weiteres Mal gegeneinander antreten. Favorit 2106 war das Team Astana | |
und dessen Fahrer Vincenzo Nibali. Er hatte offensichtlich Spaß daran, | |
einige der ambitionierteren Freizeitradler etwas aufzumischen. Überraschte | |
Gesichter, ärgerliche Kommentare: Warum will der Champion bei den Amateuren | |
mitspielen? | |
Das Feld der Radsportler zieht sich in die Länge. Die hügelige Landschaft | |
zeigt hier jedem Einzelnen, dass ein vorderer Platz nicht allein durch ein | |
teures Carbonrad zu erzielen ist, sondern regelmäßiges Training erfordert. | |
Das Seenland der nördlichen Lombardei, östlich des Lago Maggiore und | |
südlich ans Tessin angrenzend, hat sich aufgrund seiner anspruchsvollen | |
Hügellandschaft und des angenehmen Klimas bis weit in den Herbst hinein zu | |
einem beliebten Reiseziel für Rennradfahrer entwickelt. Auch eine | |
Infrastruktur, die es dem Radler leicht macht, ist vorhanden. | |
Zwölf Hotels haben sich unter dem Namen „Lago Maggiore Bike Hotels“ | |
zusammengeschlossen. Dort gibt es keine abfälligen Blicke, wenn am späten | |
Nachmittag verschwitzte oder schlammbespritzte, nicht mehr ganz | |
blütenfrisch duftende Männer an der Rezeption stehen. Vielmehr wird ihnen | |
der Weg zum Fahrradraum gezeigt, und, falls erforderlich, der Mechaniker | |
gerufen, der etwaige technische Defekte rechtzeitig vor der Ausfahrt am | |
kommenden Morgen beseitigt. | |
Die Hoteliers sind oft selbst begeisterte Radler. Tourempfehlungen für ihre | |
Gäste bereichern sie mit zahlreichen persönlichen Tipps. Fahrradfreunde, | |
die über das entsprechende Fahrradnavi verfügen, können sich eine Auswahl | |
an Touren auf ihr Gerät laden. Und dann können sie sich, je nach | |
Tageslaune, beispielsweise für eine Mountainbikestrecke entscheiden, um | |
etwa auf einer Distanz von wenig mehr als 30 Streckenkilometern 1.350 | |
Höhenmeter zu bewältigen. | |
## Weite Blicke, erfrischende Seen | |
Belohnt wird die Schinderei mit Ausblicken über die Voralpen, zum Monte | |
Generoso und zum mächtigen Massiv des Monte Rosa. Oder sie schwingen sich | |
auf den Sattel eines Rennrads und wählen die „7-Seen-Tour“: 1.000 | |
Höhenmeter verteilen sich hier auf einer Strecke von 116 Kilometern. | |
Da es aber auf kleinen, asphaltierten Straßen bergan geht, erscheinen die | |
Anstiege „fast“ mühelos. Und war ein Anstieg zu schweißtreibend, verschaf… | |
ein Bad im Lago die Varese, im Lago Maggiore oder im kleinen, erfrischenden | |
Valganna-See die gewünschte Abkühlung. | |
Kommt zur sportlichen Begeisterung ein Interesse an Kultur und Geschichte | |
hinzu, könnte die Wahl auf eine Tour zum Borromeischen Schloss in Angera | |
und zum archäologischen Park von Castelseprio fallen (94 km; 790 | |
Höhenmeter). Aber wie auch immer der Radler sich entscheidet, | |
schweißtreibende Anstiege sollten ihm nicht ganz zuwider sein. Liebhaber | |
des anstrengungslosen Pedalierens am Ufer eines Kanals oder durch die | |
norddeutsche Tiefebene werden aufgrund der geografischen Bedingungen der | |
Region eher früher als später frustriert aufgeben. | |
Für ambitionierte Radsportler, die sich nicht selbst um die Routenführung | |
kümmern wollen, sondern gern mit erfahrenen Radlern in einer kleinen Gruppe | |
über Seitenstraßen oder auf Mountainbiketrails fahren, gibt es Puntotours. | |
Andrea, Vincenzo oder einer seiner Freunde passen die jeweilige Route dem | |
fahrerischen Können und den Wünschen ihrer Kunden an. Nicht ausgeschlossen, | |
dass dabei auch eine längere Rast in einer schön gelegenen Trattoria mit | |
berücksichtigt wird. | |
Überwiegt das kulinarische Interesse das sportliche, sind die Gourmettouren | |
des Anbieters, der sich mit dem schönen Slogan „Veni – vidi –bici“ | |
präsentiert, die erste Option. | |
## Eine Stadt im Ausnahmezustand | |
Am Tag des Profirennens, dem „Tre Valli Varesine“, darf der Freizeitradler | |
sich etwas Erholung gönnen. Das eigene Velo bleibt im Fahrradraum des | |
Hotels. Die 80.000-Einwohner-Stadt Varese ist dann im Ausnahmezustand. | |
Schon am frühen Morgen geht gar nichts mehr. Die gesamte Innenstadt ist für | |
den Autoverkehr gesperrt, und schon lange vor dem eigentlichen Beginn des | |
Rennens säumen Fahrradbegeisterte die Straßen, an denen der Peloton | |
vorbeibrausen wird. | |
Das Rennen beginnt im knapp 80 Kilometer entfernten Saronno. Die Strecke | |
führt zuerst recht eben in Richtung Nordwesten, zieht sich durch die | |
Hügellandschaft westlich des Lago di Varese in Richtung Tessin, um dann | |
durch den Regionalpark Campo dei Fiori von Norden her Kurs auf Varese zu | |
nehmen. Und damit die Schaulustigen sich an der Plackerei der Radprofis | |
auch ausgiebig delektieren können, führt sie nicht nur einmal in einer | |
Runde ums Stadtzentrum. | |
Gleich neunmal sind die letzten 12,8 Kilometer zu absolvieren, bis nach | |
192,2 Kilometer endlich das Ziel erreicht ist. Die gesamte Stadt pulsiert | |
in Begeisterung für den Radrennsport. Die Jungs von Varese, so wird | |
erzählt, träumen auch heute davon, Profiradfahrer zu werden. | |
8 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Markus Kirchgessner | |
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