# taz.de -- Polizeigewalt in Belarus: Gefährlicher Alltag | |
> Beim Kauf von Schweizer Schokolade gerät die Journalistin Kristina in | |
> eine Razzia. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge | |
> 24. | |
Bild: Vermummte Polizeikräfte überall auf den Straßen in Minsk, 12. Oktober | |
Die freiberufliche Journalistin Kristina ist Mutter eines dreijährigen | |
Jungen. Um ein paar Süßigkeiten zu kaufen, ging sie kürzlich an einem Abemd | |
unter der Woche in ein Geschäft, etwa zehn Minuten von ihrer Wohnung | |
entfernt. Und plötzlich musste sie vor [1][OMON-Männern] (Sondereinheit der | |
Polizei, die v.a. gegen Demonstrierende eingesetzt wird; Anmerkung der | |
Redaktion) fliehen. Aktuell ist das belarussischer Alltag. | |
„Es gab gerade sehr leckere Schweizer Pralinen im Sonderangebot in diesem | |
Geschäft“, erinnert sich Kristina. „Es war das erste Mal seit dem Frühlin… | |
dass ich mich überhaupt im Dunkeln zu einem weiter entfernt liegenden Laden | |
aufgemacht habe. Beim Losgehen habe ich noch gedacht: ‚Vielleicht sollte | |
ich lieber nicht so weit gehen.‘ Es war kalt. Da wusste ich noch nicht, | |
dass ich schon bald vom spontanen Joggen am ganze Körper glühen würde. Ich | |
ging in den Laden, nahm, was ich brauchte, Pralinen für den Sohn und seine | |
Erzieher, und trug die Einkäufe in der Hand, ohne Plastiktüte. | |
Als ich aus dem Geschäft kam, ging ich extra bis zur großen Straße, weil | |
ich dachte, dass man dort leichter und sicherer laufen könne. Ich gehe also | |
ganz ruhig, da sehe ich [2][Leute, die eine große weiß-rot-weiße Fahne | |
tragen]. Das war kein Demonstrationszug oder so etwas. Aus irgendeinem | |
Grund hielten sie erst an und rannten dann ganz plötzlich und abrupt los. | |
Ich blieb stehen, wo ich war, ohne irgendwas zu begreifen. | |
Es stellte sich heraus, dass eine ganze Horde von OMON-Männer versuchte, | |
diese Leute zu jagen, die gerade an mir vorbeigerannt waren. Die einen | |
liefen ins Geschäft, aus dem ich gerade gekommen war, andere in eine | |
Tiefgarage“, erinnert sich Kristina. „Und da sah ich plötzlich die | |
OMON-Leute auf mich zulaufen. Ich fing an zu schreien und zu rennen, mit | |
den anderen zusammen. Denn ich weiß aus Online-Artikeln, dass diese | |
OMON-Leute Scheiße anstelle von Gehirnen im Kopf haben. Sie schnappen sich | |
einfach alle. | |
Ich rannte also und dachte, dass ich nicht ins Gefängnis kann, dass ich | |
morgen bei meinem Sohn sein muss, weil er nicht in den Kindergarten geht. | |
Ich verlor die Pralinen. Rannte ins Geschäft und brach ins Tränen aus. Ich | |
weiß zwar nicht genau, was ein Nervenzusammenbruch ist, aber ich denke, | |
genau den hatte ich in diesem Moment. Ich hatte furchtbare Angst und kam | |
mir vor wie ein ganz kleines Mädchen. | |
Was mich nach diesem Ereignis und im ganzen Land beruhigt? Es sind viele | |
kluge Leute gegen Lukaschenko. Für ihn sind nur richtig dumme oder solche, | |
die es ‚müssen‘, aus beruflichen oder ähnlichen Gründen. Oder Menschen, … | |
noch sowjetisch sozialisiert sind, ‚Sowjetmenschen‘, die nicht effizient | |
arbeiten und dementsprechend gar nicht mehr lange an der Macht festhalten | |
können. Das heißt, die Mauern werden einstürzen. Und auf die Entlassung | |
einiger PressesprecherInnen werde ich noch mein Glas erheben können.“ | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
18 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Olga Deksnis | |
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