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# taz.de -- Onliner und Offliner: Wer sind diese Netzkinder?
> Auf der einen Seite: Die Digital Natives, die Zauberer des 21.
> Jahrhunderts. Auf der anderen Seite die Offliner, Kulturbewahrer, die
> Etablierten. Eine Annäherung.
Bild: Soll man das Smartphone am Wochenende ausschalten oder nicht, braucht man…
Der Umgang mit dem Netz scheitert auch immer wieder daran, dass man nicht
weiß, an wen man sich adressieren soll, wenn man davon spricht. Lange Zeit
war es üblich, von der Blogosphäre zu reden, wenn man über
Online-Diskussionen sprach; der Begriff schon damals ob seiner Unschärfe
häufig diskutiert und kritisiert.
Inzwischen konkurrieren je nach Anlass viele Wörter darum, die diffusen
Meinungsäußerungen und Impulse aus dem Netz zusammenzufassen. Im Januar
versuchte sich Ansgar Heveling mit der Eröffnung „Liebe Netzgemeinde“ an
einem offenen Brief, und nicht zuletzt diese Anrede brachte ihm
blumenkübelweise Spott ein: Kaum ein Antworttext, der nicht schon in der
Eröffnung Brian Heveling ein sauer bis neckisches „Wir sind alle
Individuen!“ entgegenschrie.
Das schmeckte schon damals aufgewärmt, denn es ist a never ending story,
die Fortsetzung der Fortsetzung einer Fortsetzung. Auf der einen Seite: Die
Netzkinder, die Digital Natives, die Zauberer des 21. Jahrhunderts. Auf der
anderen Seite die Offliner, die Kulturbewahrer, die Etablierten und
Geerdeten.
Themen gibt es ja genug: Macht Google die Menschheit blöder oder schlauer,
macht Facebook Menschen einsam oder gesellig, machen Computerspiele
aggressiv oder schafsfriedlich, versaut die viele Pornografie im Netz die
Kinder oder nicht, stirbt erst die Zeitung als solche oder doch vielleicht
der Regenwald, soll man das Smartphone am Wochenende ausschalten oder
nicht, braucht man die ganze Scheiße überhaupt oder sollte man nicht
einfach häufiger irgendwas anderes machen? In rüder Regelmäßigkeit rotzt
ein Redakteur einen [1][Rant] raus, empört antwortet die Gegenseite,
Studien werden zitiert und Argumente zerhackt, am Ende bleibt ein großes
Gefühl der Leere.
Man könnte das Sitcom-Diskussion nennen: Jeder Turnus ist eine Folge, und
egal, welche Verwerfungen, kleine Katastrophen und
Meinungsverschiedenheiten es gibt, vor der nächsten Folge dreht sich alles
wieder auf Null. Als wäre nichts passiert, twittert Chandler wieder Witze,
Al Bundy schimpft auf seinem Blog über die verpfuschte Gegenwart und Kenny
brummelt Unverständliches in die Kommentarspalten.
## Ein hochumstrittener Begriff
Was diese Diskussion zustande gebracht hat, ist: den Begriff der
Netzkinder. Also eine Opposition zwischen online-affinen Leuten einer
bestimmten, jüngeren Generation und dem Rest der Welt. In Deutschland, wo
man sich schwer tut mit Entindividualisierungen und Gruppenzuschreibungen,
ist der Begriff (und seine Brüder und Schwestern) zwar hochumstritten;
allein deswegen muss eine Definition immer scheitern, weil sie niemand
akzeptieren würde. Was vorerst bleibt, ist der Versuch, sich ihr
anzunähern.
Wer sind diese Netzkinder? [2][Piotr Czerski, der diesen Begriff geprägt
hat], sagt, dass für sie „das Internet keine externe Erweiterung der
Realität, sondern ein Teil von ihr“ sei. Was das genau bedeutet, schreibt
er nicht; er erklärt daraus nur ein Lebensgefühl, das diese Generation von
anderen unterscheidet. Die selbstverständliche Nutzung von Technik nämlich.
Obligatorisch natürlich ein Seitenhieb auf die veränderten
Konsumgewohnheiten: dass wir also heute ganz anders Filme kucken und Bücher
lesen, Rechnungen bezahlen.
Diese Texte halten sich immer sehr lange damit auf, wie wir, die
Netzkinder, etwas tun. Die Frage, was wir da eigentlich tun, tritt meistens
überhaupt nicht erst auf. Dass ist insofern überraschend, als dass wir zwar
als technikaffinste Generation seit Menschengedenken gelten, die
erfolgreichen Filme und Bücher, unser kultureller Background, aber allesamt
technikfeindlich sind. Zu den erfolgreichsten Filmen unserer Zeit zählen
„Avatar“, „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“; alle drei haben auf …
unterschiedliche Art ein Problem mit der modernen Technik.
Bei „Avatar“ kommt sie und zerstört die freundliche Natur; bei Tolkien sind
die beiden Cheftechniker ein finsterer Zauberer (Saruman) und ein Dämon
(Sauron); bei Harry Potter kommt Technik gar nicht vor, und Star Wars,
verantwortlich für gut die Hälfte aller Internet-Meme, ist im Grunde ein
riesiger Epos [3][„Gut gegen Technologie“]. Das Kino formuliert in
Untergangsszenarien eine Skepsis gegenüber dem technischen Fortschritt;
MacGyver hat sich nicht durchgesetzt.
## Horte der Medienkritik
Die Skepsis regiert im Großen wie im Kleinen. Wenn sie sich nicht gegen die
Geräte wendet, dann immerhin gegen die Inhalte: Die meisten großen Blogs
waren und sind Horte der Medienkritik. Das Bildblog, Stefan Niggemeier,
Albrecht Müller, Fefe, Don Alphonso, Jens Berger, in Teilen auch Felix
Schwenzel und Johnny Haeusler, sie alle beschäftigen sich vornehmlich
damit, Meldungen zu dekonstruieren und zu kommentieren. Die [4][Entstehung
der sogenannten Blogosphäre] fällt ungefähr
[5][http://www.basicthinking.de/blog/2007/07/17/geschichte-der-deutschen-bl
ogosphaere-ii/] zusammen mit 9/11: Nach dem Anschlag regierte in den Medien
eine wortreiche Sprachlosigkeit, der in einem „rauschhaften Konsens“
([6][Seeßlen/Metz]) einer gemeinsamen Verteidigungshaltung mündete.
Die Medien und Politiker waren sich in ihren Solidaritätsadressen derart
einig, die gezeigten Bilder wiederholten sich derart oft, dass es
verdächtig wurde; und je näher man auf das Ereignis zoomte, desto
unschärfer wurde das Bild. Die einen, aggressiveren, reagierten darauf mit
wilden Verschwörungstheorien, die anderen, vorsichtigeren, mit Fragen nach
Gründen und Konsequenzen.
Der Bruch war deutlich und ist auch nicht mehr zu kitten; so kommt es zu
der schizophrenen Situation, dass wir zwar in einer komplett medial
vermittelten Welt leben, diesen Medien aber nicht mehr trauen. Dabei geht
es nicht so sehr darum, die Welt, in der wir leben, zu verstehen; die
Netzkinder sind antithetisch. Warum eine Wahrheit aufdecken, wenn das
Zerschlagen einer Lüge ausreicht.
12 Aug 2012
## LINKS
[1] http://szenesprachenwiki.de/definition/rant/
[2] http://www.zeit.de/digital/internet/2012-02/wir-die-netz-kinder/komplettans…
[3] http://quielmaster.org/cp_starwars.htm
[4] http://www.basicthinking.de/blog/2007/07/17/geschichte-der-deutschen-blogos…
[5] http://www.basicthinking.de/blog/2007/07/17/geschichte-der-deutschen-blogos…
[6] http://www.edition-tiamat.de/home.htm?/Gesamtverzeichnis/critica%20diabolis…
## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Diskurs
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