# taz.de -- Offener Brief gegen Netanjahu: Streit in der britischen Pessachwoche | |
> Einige Delegierte des „Board of Deputies of British Jews“ verurteilen die | |
> israelische Kriegsführung in Gaza. Der Präsident des Dachvereins stellt | |
> sich dagegen. | |
Bild: Eine israelische Flagge bei einer vom Jewish Board of Deputies organisier… | |
London taz | Im Rahmen des traditionellen Pessachfests, dem jüdischen „Fest | |
der Freiheit“, haben 36 Delegierte des britisch-jüdischen Dachvereins | |
„Jewish Board of Deputies (BoD)“ die israelische Kriegsführung in Gaza | |
kritisiert. Ein entsprechender offener Brief erschien am Mittwoch [1][in | |
der Financial Times.]„Als britische Juden können wir nicht mehr über den | |
Gazakrieg schweigen!“, las man da. | |
Die letzten 18 Monate hätten gezeigt, dass der erfolgreichste Weg, | |
israelische Geiseln nach Hause zu bringen und einen andauernden Frieden zu | |
schaffen, in der Diplomatie liege. Gerade als ein von der Arabischen Liga | |
unterstützter Plan für ein Gaza ohne Hamas auf dem Tisch gelegen habe, habe | |
Israels Regierung das Waffenstillstandsabkommen gebrochen, hieß es weiter. | |
Damit sei der ultrarechte Politiker Itamar Ben Gvir zurück in die | |
Regierungskoalition gebracht und die Regierungsmehrheit gestärkt worden. | |
Seitdem sei keine Geisel freigekommen, während Hunderte | |
Palästinenser:innen umkamen. Diese extremste israelische Regierung | |
aller Zeiten habe außerdem Gewalt im Westjordanland angestachelt, baue mehr | |
Siedlungen als je zuvor und greife Israels Demokratie an – sie entreiße dem | |
Land die Seele. | |
Die 36 der insgesamt über 300 Delegierten des BoD positionierten sich mit | |
den Familien der Geiseln und Hunderttausenden demonstrierenden Israelis. | |
„Wir stehen gegen den Krieg und trauern um den Verlust palästinensischer | |
Leben“, schrieben sie. Die meisten der Gruppe entstammen englischen und | |
walisischen liberalen und reformierten jüdischen Gemeinden, darunter die | |
zwei größten in London. Nebst anderen unterschrieben auch | |
Vertreter:innen des jüdischen Studentenverbands, der jüdischen | |
Arbeiterbewegung und der Organisation Yachads, die sich für eine | |
Friedenslösung zwischen Palästinenser:innen und Israelis einsetzt. | |
## Graswurzelbewegung solidarisiert sich | |
In Windeseile verbreitete sich die Botschaft über britische und | |
internationale Berichte in alle Welt, erschien sogar in den abendlichen | |
[2][Hauptnachrichten des Senders Channel Four]. | |
Dem Präsidenten des BoD, Phil Rosenberg, missfiel das anscheinend so sehr, | |
dass er sich auf dem jüdischen Nachrichtenportal Jewish News zu Wort | |
meldete. Rosenberg kritisierte die Berichterstattung über die Gruppe und | |
mahnte an, dass ihre Meinung nicht die Mehrheit, sondern lediglich zehn | |
Prozent der BoD-Delegierten repräsentierte, unter denen sich auch orthodoxe | |
Vertreter:innen befinden. | |
Die Anschuldigungen richteten sich ihm zufolge einzig gegen die israelische | |
Regierung. Die Hamas hingegen werde nicht für das Versagen bei der | |
Implementierung der zweiten Phase des Geisel-Deals verantwortlich gemacht – | |
die Hamas hatte einen weiteren Deal, welcher ihre Entwaffnung forderte, | |
abgelehnt. Weder die Mehrheit der BoD-Delegierten noch der jüdischen | |
Gemeinschaft würde der Auslegung zustimmen. | |
„Es ist offensichtlich wahnsinnig einfach, Medienaufmerksamkeit zu | |
erhalten, wenn man mit Berufung auf seine jüdische Identität die | |
israelische Regierung kritisiert“, behauptete Rosenberg. Diese Verzerrung | |
lege eine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Juden nahe, etwa | |
wenn sie von Jeremy Corbyns ehemaligen Kabinettsmitglied John McDonnell | |
zitiert werde. Unter Corbyns Führung hatte die [3][Labourpartei große | |
Probleme mit Antisemitismus], unter dem auch Rosenberg, damals Kommunalrat | |
in London, litt. | |
We Democracy, eine Graswurzelbewegung britischer Jüdinnen und Juden und im | |
Vereinigten Königreich lebender Israelis, zeigte sich verärgert über die | |
Worte des BoD-Präsidenten. Aus ihrer Sicht sprächen die 36 Delegierten sehr | |
wohl für eine Mehrheit der Israelis. Diese unterstütze weder die | |
israelische Rechtsregierung noch eine Fortsetzung des Krieges und fordere | |
die Rückkehr aller Geiseln. Dabei seien zumindest sie absolut klar in ihrer | |
Verurteilung der Hamas. Die israelische Regierung müsse zur Verantwortung | |
gezogen werden. Sie verweigere die zweite Phase eines verhandelten | |
Waffenstillstands. | |
„Es war Netanjahu, der entschied, Ben Gvir zurück in seine Koalition zu | |
holen, und sein politisches Überleben dem Nachhausebringen von 59 Geiseln | |
vorzog. Echte Solidarität mit Israel bedeutet, für Demokratie | |
geradezustehen, sich für die Freilassung der Geiseln einzusetzen, und für | |
jene, die tapfer dem Extremismus entgegenstehen“, [4][erklärte die Gruppe | |
bei Jewish News]. | |
22 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ft.com/content/6a506d98-40a0-48e7-8e98-2882beb30914 | |
[2] https://www.channel4.com/news/enough-is-enough-leading-british-jewish-body-… | |
[3] /Untersuchung-wegen-Antisemitismus/!5724684 | |
[4] https://www.jewishnews.co.uk/opinion-letter-signed-by-36-deputies-is-welcom… | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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