# taz.de -- Nobelpreisjury-Skandal in Schweden: Flucht vor der Wahrheit | |
> Dichterin Katarina Frostenson hat ein Rechtfertigungsbuch über ihre Rolle | |
> im Skandal der Nobelpreisjury geschrieben. Kolleginnen sind entsetzt. | |
Bild: Verteidigt ihren rechtskräftig verurteilten Mann: Katarina Frostenson un… | |
STOCKHOLM taz | Katarina Frostenson hat ein Buch geschrieben, mit dem sie | |
die Leser davon überzeugen will, dass ihr Unrecht geschehen sei, als sie | |
die Schwedische Akademie verlassen musste. „Stattdessen begreift man, dass | |
das absolut notwendig war“, kommentiert die schwedische Tageszeitung | |
Svenska Dagbladet. Die Zeitung Dagens Nyheter sieht das ähnlich. Sie fasst | |
die 272 Seiten des Buchs zusammen in der Zeile: „Frostenson flieht vor der | |
Wahrheit.“ | |
Katarina Frostenson ist Lyrikerin. 1992 war sie in die Schwedische Akademie | |
gewählt worden. Zusammen mit ihrem Ehemann Jean-Claude Arnault stand sie im | |
Mittelpunkt des Skandals, der die Institution, die alljährlich die | |
TrägerInnen der Literaturnobelpreise bestimmt, in eine bis heute andauernde | |
Krise gestürzt hat. Im Zuge der MeToo-Enthüllungen hatten im November 2017 | |
erst 18 und dann über 30 Frauen den jetzt 72-jährigen Arnault sexueller | |
Schikanen und Übergriffe beschuldigt. Wegen Vergewaltigung in zwei Fällen | |
ist Arnault mittlerweile rechtskräftig zu zweieinhalbjähriger Haftstrafe | |
verurteilt worden. | |
Frostenson verließ mit einer lebenslänglichen monatlichen Entschädigung im | |
Januar 2019 die Akademie. „K“ lautet der Titel des Buchs, in dem sie ihre | |
Version des ihr und Arnault vermeintlich zugefügten Unrechts und der ihnen | |
„aufgezwungenen Flucht vor Verfolgung und Verleumdung“ erzählt. Sie rechnet | |
mit Schweden als „Land der Bauernschlauen“ ab, wo die Menschen „schadenfr… | |
zuschauen, wenn andere zusammenbrechen und stürzen“, und beklagt sich | |
darüber, wie sie „dem Wittern der Raubtiere nach Blut, nach mehr Opfern, | |
nach noch mehr Blut“ ausgesetzt gewesen sei. Und sie beteuert ihre und | |
Arnaults Unschuld: „Wie verteidigt man sich gegen etwas, was nie passiert | |
ist, was gelogen ist?“ Das sei unmöglich, wie bereits Ovid geschrieben | |
habe. | |
Die Beschuldigungen Dutzender Frauen wegen sexueller Übergriffe durch ihren | |
Ehemann seien Lügen, Verleumdungen und Übertreibungen. Es könne sein, dass | |
Jean-Claude Arnault „nicht immer ganz sittsam“, „ein wenig amoralisch“ | |
gewesen sei, bagatellisiert sie: Aber seien das Henry Miller, Georges | |
Bataille oder Pier Paolo Pasolini nicht auch gewesen? | |
Von den Frauen, die Arnault sexueller Übergriffe beschuldigten, will sich | |
die Autorin und Literaturkritikerin Elise Karlsson nicht äußern: „Katarina | |
Frostenson hat mich noch nie interessiert.“ Die Schriftstellerin Gabriella | |
Håkansson zeigt sich dagegen schockiert. Sie wirft Frostenson „maßlose | |
Übertreibung“ vor, wenn sie sich selbst zur Märtyerin hochstilisiere und | |
das halbe Jahr, das sie in Frankreich verbracht habe, mit dem Schicksal von | |
Menschen auf eine Stufe stelle, die aufgrund von Krieg und politischer | |
Verfolgung ins politische Exil gehen mussten. „Da wird mir übel.“ | |
Falsch sei auch der Vorwurf, sie habe die Namen mehrerer | |
LiteraturnobelpreisträgerInnen vorab an Medien preisgegeben, beteuert | |
Frostenson. Und sie gibt einen Hinweis, wer das gewesen sein könnte. | |
Lediglich einen der gegen sie erhobenen Vorwürfe akzeptiert sie: An einigen | |
Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln für kulturelle Projekte hätte | |
sie sich aufgrund persönlicher Verwicklung nicht beteiligen dürfen. | |
Es habe unter MeToo tatsächlich Tendenzen zur Jagd auf Sündenböcke gegeben, | |
meint Lisa Irenius, Kulturchefin von Svenska Dagbladet und fragt | |
rhetorisch: „Muss jetzt die ganze Krise um die Schwedische Akademie neu | |
aufgerollt werden?“ Ihre Antwort ist klar: Frostensons Buch bekräftige | |
allenfalls, dass jemand mit so einem „konspiratorischem Weltbild“ in einer | |
Institution, die angesehene Preise und Stipendien vergebe, „nichts mehr | |
verloren“ habe. | |
31 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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