# taz.de -- Neues Album von Santigold: Die Kaputtheit der Lage | |
> Zeitlos wohlfeil: Die US-amerikanische Musikerin Santigold bietet auf | |
> ihrem neuen Album „99¢“ makellosen Sound mit unterschwelliger | |
> Konsumkritik. | |
Bild: „Ich fühle mich regelmäßig wie ein Produkt“: US-Sängerin Santigol… | |
9 Euro und 99 Cent kostet Santigolds neues Album, möchte man es als | |
Datenpaket bei iTunes erwerben. Auf dem Cover steht ein anderer Preis – 99 | |
Cent. Bereits das ist ein Statement: Eine US-Künstlerin, in diesem Fall die | |
39 Jahre alte Santi White aus Philadelphia, betitelt ihren dritten | |
Langspieler programmatisch „99¢“ und vermag dennoch nicht, den Warenwert | |
ihrer künstlerischen Arbeit selbst zu bestimmen. „Ganz ehrlich, ich fühle | |
mich regelmäßig wie ein Produkt“, sagte Santi kürzlich in einem Interview | |
mit dem Rolling Stone und meinte damit vor allem den Zwang zur Darstellung | |
des Selbst im Internet. | |
Ein weltverzweifeltes, politisches Pamphlet ist „99¢“ dennoch keinesfalls. | |
Ganz im Gegenteil prägen vor allen Dingen in Musik übersetzte Glücksgefühle | |
den Großteil dieses Albums. Ganz besonders das Stück „Banshee“ tönt so | |
klebrig, dass man jeden Moment damit rechnet, dass sich der Song als | |
Werbejingle für eine bunte, japanische Zuckerbombe entpuppt: So süß klang | |
bisher noch keine Musik von Santigold – auch nicht ihr erster Hit „L.E.S. | |
Artistes“. | |
Was nicht bedeutet, dass „Banshee“ kein guter Song sei – im Gegenteil. | |
Genau wie der Großteil des Sounds auf „99¢“ ist es fiebrig-infektiöser P… | |
erster Güteklasse, mitkomponiert wurde das Stück von der Songwriterin Cathy | |
Dennis. Die hat unter anderem auch Kylie Minogues „Can‘tGet You Out of My | |
Head“ auf dem Kerbholz. Ein Umstand, der das Bild von der | |
gegenwartskritischen Künstlerin Santigold aufbrechen lässt. | |
Ganz oft schwingt auf „99¢“ eine unterschwellige Kritik an unserer | |
Konsumkultur mit. In Interviews sprach Santi zuletzt vor allem über die | |
prekäre wirtschaftliche Lage von Musikern und die ihrer Meinung nach | |
heutzutage zu geringe Wertschätzung für Kunst. Auf ihrem Albumcover sieht | |
man Santigold deshalb eingepackt in Plastikfolie. Mit ihr eingeschweißt: | |
vor allem Kinderspielzeuge und Musikinstrumente. Santi ist Musikerin und | |
mittlerweile auch Mutter – die vermittelte Botschaft ist eindeutig: Die | |
Künstlerin bietet uns mit ihrem Werk ihr gesamtes Sein an – und das wird | |
dann von der Wirtschaft mit einem lächerlichen Schleuderpreis versehen und | |
an die Massen verscherbelt. | |
## Geld aus Albenverkäufen reicht oft nicht | |
Natürlich spricht Santigold mit diesem Subtext auf „99¢“ eine reale | |
Problemstellung an: Wie überlebt eine Künstlerin in Zeiten, in denen die | |
dazugehörige Industrie nicht mehr Geldspeicher voller Dollars hortet? | |
Offensichtlich frustriert es Santigold, dass sie mit Albenverkäufen zu | |
wenig verdient, weshalb sie ihre Songs an Brauereien und Handydienstleister | |
verscherbeln muss. Warum? | |
Auch auf „99¢“ dürften einige Songs Werbern gefallen. Zum Beispiel die | |
zusammen mit Rostam Batmanglij (Vampire Weekend) komponierte Single | |
„Chasing Shadows“: Ein schleppender, an HipHop angelehnter Beat und eine | |
auf Mitsing-Tauglichkeit hin gemischte Hookline, die euphorisiert und | |
zugleich exotisch genug klingt, um Konsumenten-Fantasien zu beflügeln. Die | |
subtil gesellschaftskritischen Zwischentöne (“Why they eating they idols | |
up?“) beruhigen zu guter Letzt das schlechte Gewissen beim Konsum – | |
Santigold-Musik ist das perfekte Marketing-Instrument. | |
Für das Perfide der kapitalistischen Werbewelt kann Santigold freilich | |
nichts. Auf „99¢“ schafft sie es zum dritten Mal in Folge, dank makellosem | |
Songwriting Serotonin-Pop im besten Sinne zu produzieren. Zwar klingt ihr | |
Album, mal abgesehen vom letzten Viertel, etwas weniger widerborstig und | |
zeitloser als seine Vorgänger, allerdings stehen Santi auch zeitgeistige | |
Anleihen großartig zu Gesicht: Zum Beispiel auf „Walking in a Circle“, wo | |
sie blecherne, schwere Trap-Sounds für sich adaptiert, und auf „Who Be | |
Lovin Me“, für das sie Itlovmakkonnen, einen amtlichen Rapper mit | |
Leierkastenstimme, ins Studio gebeten hat. | |
## Kunst als Ware | |
Vermutlich wird Santigold auch diesmal keine Million Alben verkaufen, dafür | |
wird man sie ganz sicher erneut für sämtliche Festivals und Brand-Partys | |
dieser Welt buchen wollen. Kaum vorstellbar, dass Santigold trotz ihres | |
Status ein prekäres Künstlerleben führen muss. Zudem ist das Leben als | |
Major-Musikerin ein von ihr selbst gewähltes. Santi White ist bewusst Teil | |
einer Industrie geworden, die Kunst als Ware behandelt. | |
Ihre Wahl ermöglicht ihr unzählige Reisen, teure Studioproduktionen und die | |
Hilfe von Starkomponisten. Ihre Kritik an der digitalen Popgegenwart wirkt | |
unter diesen Umständen trotz ihrer künstlerischen Klasse etwas wohlfeil. | |
Vor allem, da die Avantgarde längst radikaler mit der Kaputtheit der | |
Gegebenheiten umgeht: Die nennt ein Album nicht „99¢“, sondern stellt es | |
gleich für lau ins Internet. | |
14 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Sascha Ehlert | |
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