# taz.de -- Neues Album von Madonna: Liegestuhl auf dem Olymp | |
> „Rebel Heart“ steckt voller Ambivalenzen. Von intimer Verletzlichkeit bis | |
> zur Kritik an Verschwörungstheorien ist alles mit dabei. | |
Bild: Madame bei der Verleihung der Grammy Awards in Los Angeles. | |
Es gibt vermutlich keine andere Situation, in der sich ein Künstler | |
entblößter fühlt, als wenn sein unfertiges Werk an die Öffentlichkeit | |
gelangt. Kein Maler zeigt sein Bild, bevor er nicht den letzten | |
Pinselstrich gesetzt hat, Modedesigner ändern einen Tag vor der Show ganze | |
Kollektionen, und ein Schriftsteller lässt sein Manuskript lieber Jahre in | |
der Schublade liegen, bevor es mit diesem unpassenden Adjektiv auf Seite 54 | |
in den Druck geht. Das gilt besonders für Perfektionisten. | |
Womit wir bei Madonna wären, die bereits seit drei Jahrzehnten als Mutter | |
Gottes des Moment-das-kann-aber-noch-besser gilt. Darum wundert es auch | |
kaum, dass sie standesgemäß ausrastete, nachdem ein Hacker im vergangenen | |
Dezember Demoversionen ihres neuen Albums ins Netz stellte. Hello, it’s | |
Madonna, Bitch! Ihre Hasstirade auf Instagram beinhaltete außer einer Menge | |
What-the-fucks, Ausrufe- und Fragezeichen den Ausdruck „künstlerische | |
Vergewaltigung“, was nicht so gut ankam. Der Schlüsselsatz ist allerdings | |
folgender: „Warum gibt man mir nicht die Chance, meine Songs | |
fertigzustellen und mein Allerbestes zu geben?“ Recht hat sie, allen | |
hämischen Kritikern zum Trotz. Einerseits. | |
Andererseits ist der Leak von Madonnas Demoversionen ein Segen. Denn im | |
Gegensatz zu den mickrigen neun Titeln, die die Plattenfirma vor der | |
Veröffentlichung des Albums „Rebel Heart“ für die Rezension bereitgestellt | |
hat, sind Stücke wie „Wash All Over Me“ und „Body Shop“ charmant und | |
kreativ, auf manchen erkennt man sogar ihre Stimme. Klar, da ist noch Luft | |
nach oben, aber den Rest denkt man sich halt dazu. Nur hört er sich auf dem | |
Album ganz anders an, nämlich nicht nur fertig-, sondern maximal | |
überproduziert. | |
Für Hauptproduzent Diplo war das vermutlich ein innerer Kindergeburtstag. | |
Da wird Madonnas Stimme hoch- und runtergepitcht, teilweise bis zur | |
Unkenntlichkeit verfremdet, da wummern Bässe und tröten Vuvuzelas, da wird | |
Klangteppich über Klangteppich gelegt in der Hoffnung, darauf durch die | |
verschiedensten Genres fliegen zu können, aber irgendwie hebt das | |
Teppichmonster nicht ab. Zu schwer, zu viel, zu ambitioniert. | |
Besonders deutlich wird das bei ihrem Duett mit der Rapperin Nicki Minaj, | |
das in einem atemberaubenden Tempo durch die Regler gepeitscht wird und | |
kolossal nervt. Bis man sich beim dritten Hören auf einmal doch beim | |
Mitsingen und Arschwackeln ertappt, am nächsten Morgen mit einem Ohrwurm | |
aufwacht und feststellen muss, dass der Titel „Bitch I’m Madonna“ durchaus | |
als Drohung zu verstehen ist. Diese Ambivalenz zieht sich durch das gesamte | |
Album, vom Titel bis hin zu den Themen. Worum es geht? Um Sex, Liebe, | |
Trennung (Bitch!), Religion, Selbstbeweihräucherung, Party (Bitch!), Drogen | |
und Konkurrenzkampf (Bitch!). Jedenfalls auf den ersten Blick. | |
## Bräsig in der Sonne liegen | |
Hört man genauer hin, ist alles ganz anders. Madonna thematisiert ihre | |
Verletzlichkeit nach negativen Schlagzeilen („Joan of Arc“), ihre | |
Verletzlichkeit nach einer gescheiterten Beziehung („HeartBreakCity“) und | |
ihre Verletzlichkeit, die sich auch mal als Narzissmus äußert („Rebel | |
Heart“). Sie reflektiert und ironisiert sich so klug durch die Lieder, dass | |
es ein Vergnügen ist, ihren Perfektionismus bröckeln zu sehen. | |
Toll, wie sie im autobiografischen „Veni, Vedi, Vici“ ihr Leben anhand | |
früherer Songs erzählt: „I justified my love / I made you say a little | |
prayer / They had me crucified / You know I had to take it there“. Oder in | |
„Illuminati“ die vermeintlichen Mitglieder des Geheimbundes aufzählt, | |
inklusive Obama und Queen Elizabeth, nur um dann den | |
Verschwörungstheoretikern eins auf die Mütze zu geben. Um es mit den Worten | |
eines Kommentators auf der Musikplattform Soundcloud zu sagen: Bitch lol. | |
„Rebel Heart“ ist ein Album, das umso besser wird, je länger man sich damit | |
beschäftigt. Den Liegestuhl auf dem Pop-Olymp hat sich Madonna damit für | |
eine weitere Saison gesichert – auch wenn dort nur ihr Handtuch mit den | |
golden eingestickten Initialen liegt. Frau Ciccone selbst hat nämlich keine | |
Zeit, bräsig in der Sonne rumzuliegen. | |
Zum Abschluss noch ein paar Sätze an die Spießer, die sich darum sorgen, ob | |
Madonna eigentlich noch altersgemäße Musik macht. (Was soll das eigentlich | |
sein – ab 50+ nur noch Jazz?) Im besten Fall produziert sie Musik, die ihr | |
gefällt. Dass die dann womöglich von Geradesoerwachsenen gehört wird, die | |
am Wochenende in alkoholgeschwängerten Schlangen vor Großraumdissen | |
anstehen, Jackie Cola trinken, hochgeschnürte Körperteile in geilen | |
Klamotten auf die Tanzfläche tragen und an den Stellen, an denen der Bass | |
einsetzt, Woooo-hooooo rufen, tja, das ist Berufsrisiko. Sein Publikum kann | |
man sich nun mal nicht aussuchen. Spätestens da endet auch für eine Madonna | |
die Kontrolle. | |
6 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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