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# taz.de -- Neuer Roman von Martin Amis: Stecker gezogen
> Martin Amis’ Roman „Interessengebiet“ hätte eine wilde Nazi-Klamotte
> werden können. Doch er scheitert auf halber Strecke.
Bild: Martin Amis (Archivbild aus dem Jahr 2014).
Hanser ist eigentlich der deutsche Hausverlag von Martin Amis. Den neuen
Roman des britischen Autors, „The Zone of Interest“, lehnte Hanser jedoch
ab, angeblich weil er zu frivol sei. Skandal? Eher nein. Stattdessen hat
nun der Schweizer Verlag Kein & Aber „Interessengebiet“ herausgegeben.
Interessengebiet: Da ist das „Kat Zet I“, das an Auschwitz erinnert. Da
sind die Buna-Werke von IG Farben, die in unmittelbarer Nachbarschaft des
Lagers errichtet werden sollen, um Deutschland in Sachen Kautschuk und
Benzin autark zu machen. Es ist ein Feld, auf dem die drei Ich-Erzähler von
erotischen Interessen oder sogar von Liebe angetrieben werden.
Dieses Setting erlaubt es Amis, das monströse Geschehen auf die kleine Welt
einer Dreiecksgeschichte zu schrumpfen, ohne den Schrecken auszublenden.
Eine solche Konstruktion legt – zumal bei Amis – eine wilde Satire nahe.
Leider zieht Amis das nicht durch, weil er einem seiner Protagonisten eine
Wandlung zugesteht. Solch Regression in die Ästhetik des Entwicklungsromans
eröffnet zwar Hollywood alle Möglichkeiten, untergräbt jedoch die Komik.
Es ist wirklich ärgerlich, wie Amis diesen einen der drei Ich-Erzähler
umbiegt. Obersturmführer Angelus „Golo“ Thomsen ist SS-Verbindungsoffizier,
der für IG Farben die Buna-Werke nahe dem Lager aufbauen soll. Thomsen, 31,
stellt sich vor als „einen Meter neunzig groß“, das Haar „frostig weiß�…
„die rechtwinklige Kieferpartie, wie angenietet unter den zierlichen
Schnörkeln meiner Ohren“. Dazu „Schenkel massiv wie Schiffsmasten, die
Waden michelangelesk“ und das Kobaltblau seiner „arktischen Augen“.
Gespreizt redend, in der äußeren Erscheinung ganz Klischee des Ariers, ist
er zugleich belesener Zyniker, Schürzenjäger – und der Neffe von Martin
Bormann, Hitlers Sekretär.
Eine derart überzeichnete, zusammengesetzte Figur hätte einiges hergegeben
für eine Holocaust-Groteske. Amis jedoch lässt ihn beim Anblick von Hannah
Doll, der Ehefrau des Lagerkommandanten, erstmals so etwas „wie Liebe“
spüren. Damit nimmt romantechnisch das Unheil seinen Lauf, Thomsen wird
durch die Liebe vom Mitläufer zum Gegner des Regimes, der nach dem Krieg
auch noch für die Amerikaner arbeiten darf und sogar Hannah Doll wieder
trifft.
## Der Satire den Stecker gezogen
Folgt man Amis’ Prämisse, dass der Schlüssel zu jeder Figur ihre Sexualität
ist, dann mag Thomsens Wandlung plausibel erscheinen. Nur leider wird so
die Figur ihrer synthetischen Mehrdimensionalität beraubt und ihre
Widersprüchlichkeit in eine mehr oder weniger stimmige Personalität
gepresst.
Paul Doll, der zweite Ich-Erzähler, wird dagegen spiegelbildlich mehr und
mehr zur Karikatur eines Lagerkommandanten. Er ist nicht nur überfordert,
das Kat Zet I im Sinne der Nazis effizient zu führen, nein, auch bei seiner
Frau, die ungeniert Feindsender hört, ist er komplett abgemeldet, was ihn
zu der späten Erkenntnis führt: „Es war ein tragischer Fehler – eine so
große Frau zu heiraten. […] Ich kann sie nicht zusammenschlagen (und es der
Riesenhexe anschließend im Schlafzimmer ordentlich besorgen). Sie ist
einfach zu groß.“
So ertränkt er seinen Kummer in Alkohol, hält sich an einer Inhaftierten
schadlos und schwadroniert sich die Welt zurecht. In den Berichten Dolls,
die immer wieder in Tiraden ausarten, kann Amis sein Talent zum
Böse-Satirischen voll entfalten. Hier ist der Roman am stärksten.
Der dritte Erzähler, mit deutlich weniger Redeanteil, ist der jüdische
Häftling Szmulek Zachariasz. „Szmul“ ist Anführer eines Sonderkommandos,
das dem Lagerkommandanten zur Hand geht, um die Vernichtung so reibungslos
wie möglich zu bewerkstelligen. Er ist unter den „traurigsten Männern“ der
„traurigste“. Szmul liebt seine Frau, ist aber angesichts der Lage froh,
dass er sie nie wiedersehen wird. Mit ihm bringt Amis einen neuen, anderen
Ton, eine Sprache nahe am Verstummen in den Roman, die der Satire jedoch
vollends den Stecker zieht.
Amis, der übrigens in den Neunzigern als „geniales Arschloch“ galt, scheint
damit – wie auch mit seinem Nachwort – doch noch seine moralisch
einwandfreie Haltung zeigen zu wollen. Das und die Läuterung Thomsens durch
Liebe lässt den Roman misslingen. Nachvollziehbar, dass Hanser ihn
abgelehnt hat, aus literarischen Gründen.
30 Oct 2015
## AUTOREN
Stefan Mahlke
## TAGS
Roman
Jeremy Corbyn
Irland
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