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# taz.de -- Neuer Roman von Lucy Fricke: Plötzlich sind überall Risse
> Lucy Fricke bringt Beziehungskrise und Fukushima zusammen: „Takeshis
> Haut“ erzählt von Erschütterungen, innen und außen.
Bild: „There's a crack in everything“ - bei Leonard Cohen und auch bei Lucy…
Würde man all den Alkohol, der in Lucy Frickes Romanen vorkommt,
zusammennehmen, hätte man eine ziemlich gut ausgestattete Bar. Auch in
ihrem neuen Buch, „Takeshis Haut“, wird viel getrunken, zum Feiern und zum
Durchstehen, und oft ist es das Gleiche. Erst gibt es Wein: Burgunder und
Zweigelt. Dann Sekt, Champagner und Angostura. Dann japanisches Bier, Sake,
wieder Bier, wieder Sake, Mescal, Bourbon, Whisky, Jägermeister, mehr Bier,
dann wieder Sekt, wieder Wein, Sekt, Wein, Bier, Raki, Bier.
Die Reihenfolge der Getränke erzählt schon viel über das, was der
Hauptfigur Frida passiert: erst Stabilität, das Feiern der Stabilität, dann
die Reise nach Japan, dann ein einziges Durcheinander. Als es den Bourbon
und den Whisky gibt, ist die Katastrophe gerade passiert.
Die Katastrophe, das ist das Erdbeben im März 2011, es ist der Tsunami, der
dadurch ausgelöst wird, und die Kernschmelze in Fukushima. Die Katastrophe,
das ist aber auch das, was mit Fridas Leben passiert, das bebt und Risse
kriegt und auseinanderfällt.
Frida arbeitet in Berlin als Geräuschemacherin beim Film. Sie macht
Gewitter, Möwenkreischen und Schritte, sie lässt Knochen brechen und
erschießt Soldaten. Eines Tages meldet sich ein junger Regisseur bei ihr,
der einen Katastrophenfilm in Japan gedreht hat, von dem nun die ganze
Tonspur fehlt. Frida soll sie ersetzen, soll die Geräusche aufnehmen, die
verloren gegangen sind: Schritte von Mönchen, die Stimme eines
Getränkeautomaten, der einen bestimmten Dialekt spricht, die Stille in
einem Gebetsraum. Sie fährt nach Kioto, ihr Freund Robert sagt: „Bring bloß
nicht so einen Asia-Kitsch mit nach Hause.“
## Kein Zurück
Frida bringt keinen Kitsch mit, sie bringt eine ganze Katastrophe mit. In
Kioto lernt sie Takeshi kennen, einen Punksänger und den Schauspieler aus
dem Film, für den sie die Geräusche sucht. Sie verliebt sich, will nicht
zurück nach Hause. Als das Erdbeben Japan erschüttert, fliegt sie dann doch
irgendwann, aber zu Hause ergibt alles keinen Sinn mehr, Frida findet nicht
zurück in ihr altes Leben. Ihre Beziehung zerbricht, sie kommt nicht mehr
zur Ruhe. „Wenn etwas nicht geht, dann ist es zurück. Zurück ist keine
Richtung, in die man leben kann.“
Es könnte schiefgehen, ein solches Buch zu schreiben: ein äußeres Beben und
ein inneres, ein apokalyptischer Film, der plötzlich keine Science-Fiction
mehr ist – so viel überdeutliche Symbolik muss man können, und Lucy Fricke
kann das.
Sie kann das sehr gut, und das, obwohl sie eigentlich ein anderes Buch
schreiben wollte. Ein Geräuschemacher sollte darin vorkommen, aber kein
Fukushima. [1][Lucy Fricke], die 1974 in Hamburg geboren wurde und lange
beim Film arbeitete, bevor sie anfing zu schreiben, ist im April 2011 nach
Japan geflogen, nur wenige Wochen nach dem Beben. Eigentlich war sie Teil
einer Gruppe von Stipendiaten des Goethe-Instituts, am Ende war Lucy Fricke
aber die Einzige, die hinflog, in einem Flugzeug, das fast leer war.
Lucy Frickes Figuren sind immer Menschen, mit denen das Leben es nicht so
überwältigend gut meint, und immer enden die Geschichten so, dass es
irgendwie doch noch weitergeht. Das war so in ihrem ersten Roman, „Durst
ist schlimmer als Heimweh“ von 2007, das war so in ihrem zweiten, „Ich habe
Freunde mitgebracht“, und das ist auch in „Takeshis Haut“ so.
## Symbolik und Komik
Es ist Lucy Frickes ziemlich spezieller Humor, dass ihre Figur Frida eine
ist, die sich Katastrophen wünscht, wenn sie nicht weiterweiß – und dass
sie dann ein „Major Tsunami Warning“ bekommt, eine Naturkatastrophe und ein
Reaktorunglück, dazu eine kaputte Beziehung und am Ende noch einen
Autounfall inklusive Schleudertrauma.
Eine solche Geschichte so zu erzählen, dass sie nicht nur absurd ist,
sondern auch schön, tragisch und immer wieder auch sehr komisch, ist ein
Kunststück. Lucy Fricke hat einen sehr eigenen Schreibstil; einen, der sehr
gründliche Beobachtung mit Symbolik und Komik verbindet und der es im
positivsten Sinne erträglich macht, dass ihre Geschichten immer etwas sehr
Trauriges und Kaputtes haben. „War man erst mal verloren, ging ja meistens
noch eine Menge, nicht selten ging es dann überhaupt erst richtig los.“ Es
sind diese Sätze, die die Bücher von Lucy Fricke so wertvoll machen.
Obwohl „Takeshis Haut“ ein Buch voller Katastrophen ist und eines, in dem
alles wankt, ist es auch eines, das die Ruhe nicht verliert und das sich
Zeit nimmt, in Abgründe zu blicken. „Die Dinge passieren, Frida, mit Angst,
ohne Angst“, sagt Takeshi, „Angst ändert nichts.“
18 Oct 2014
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## AUTOREN
Margarete Stokowski
## TAGS
Roman
Fukushima
Erdbeben
Japan
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