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# taz.de -- Nachlass von Franz Kafka: Der Process, vorläufig vollendet
> Nach jahrelangem Streit fällt ein israelisches Gericht ein Urteil. Der
> Nachlass von Franz Kafka geht nach Jerusalem – und nicht an das
> Literaturarchiv Marbach.
Bild: Franz Kafka wollte eigentlich, dass sein Nachlass vernichtet wird.
JERUSALEM taz | Eigentlich müsste Franz Kafka zufrieden sein. Dem Prozess
um den Nachlass seines Vertrauten Max Brod, darunter zahlreiche Manuskripte
des in Prag geborenen Autors, mangelte es nicht an Absurditäten. Am Ende
des jahrelangen Ringens um Zigtausende handbeschriebene Seiten schickte die
inzwischen pensionierte Tel Aviver Richterin Talia Koppelmann die
Urteilsbegründung per E-Mail an die Streitparteien. Die literarischen
Aufzeichnungen sollen der Nationalbibliothek in Jerusalem übergeben werden,
so wie es Brod in seinem Testament festgehalten habe. Die Rechte bleiben in
der Hand der Erbin.
Wäre es nach Kafka gegangen, hätte Brod, dem er kurz vor seinem Tod seine
Manuskripte überließ, den Nachlass verbrennen sollen. Stattdessen sammelte,
redigierte und veröffentlichte Brod die Texte nach ihm gewohnter Art und
schenkte noch zu eigenen Lebzeiten die wertvollen Dokumenten seiner
Sekretärin und Lebensgefährtin Ester Hoffe. Mit seinem Testament hatte Brod
den Weg für spätere Komplikationen selbst geebnet. Einerseits legte er
fest, dass sein Nachlass an Ester Hoffe übergeben werden soll. „Sie soll
aber verpflichtet sein, Vorsorge zu treffen“, so heißt es in Brods Letztem
Willen, dass nach ihrem Tode die Erben veranlassen, die „Manuskripte,
Briefe und sonstigen Papiere und Urkunden der Bibliothek der Hebräischen
Universität Jerusalem oder der Staatlichen Bibliothek Tel Aviv oder einem
anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland zur Aufbewahrung
übergeben werden sollen“. Voraussetzung dafür sei wiederum, dass Hoffe „zu
ihren Lebzeiten nicht anderweitig über sie verfügt“ habe.
Die treue Sekretärin, die das stolze Alter von 101 Jahre erreichte, hatte
tatsächlich andere Pläne und veräußerte immer wieder Schriften Franz
Kafkas. So erzielte sie bei einer Versteigerung des Manuskripts für den
unvollendeten Roman „Der Process“ 1988 stolze 3,5 Millionen Mark. Käufer
war damals das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das auch Interesse an den
restlichen Aufzeichnungen Kafkas signalisiert hatte und nach dem Tod von
Ester Hoffe mit ihren beiden Töchtern in Kontakt trat. Die beiden
Schwestern hätten gern verkauft, wäre ihnen nicht die Nationalbibliothek
dazwischengekommen.
## Großteil nicht von Kafka
Allein das in Tresoren in Israel und in der Schweiz befindliche Material
umfasst 40.000 Seiten. Das allermeiste davon entstammt allerdings nicht der
Feder Kafkas, sondern der seines Mentors und Freundes Brod. Dr. Aviad
Stollman, Kurator der Nationalbibliothek, rechnet jedenfalls nicht damit,
noch auf literarische Werke vom Kaliber eines „Prozesses“ zu stoßen. Eine
vom Gericht erstellte Liste zeige, dass von Kafka „kaum noch etwas dabei
ist, was noch nicht veröffentlicht wurde“, sagt Stollman, den die
Manuskripte Brods nicht weniger interessieren.
Der Vertraute Kafkas war selbst eifriger Autor, der Anfang des letzten
Jahrhunderts sogar noch berühmter gewesen sei als Kafka. „Brod ist einer
der eindrucksvollsten Denker Israels“, schwärmt Stollman. Bei den
Unterlagen sollen sich Briefwechsel mit Martin Buber, Thomas Mann und Hugo
von Hofmannsthal befinden sowie private Tagebücher Brods.
Unklar ist, was die Erbin Ewa Hoffe an literarischen Schätzen
möglicherweise noch in ihrer Wohnung versteckt. Wenn schon in Banktresoren
„keine idealen Verhältnisse“ für die alten Manuskripte herrschen, sorgt
sich Stollman, dann sei eine Privatwohnung „noch dazu in dem feuchten Tel
Aviver Klima“, katastrophal. Der Kurator schüttelt sich bei dem Gedanken an
das bedrohte Kulturgut in den Händen der alten Dame, die Gerüchten zufolge
„Dutzende Katzen bei sich zu Hause hält“.
## Auch im Internet
Die Nationalbibliothek will die handschriftlichen Dokumente so schnell wie
möglich ausstellen und möglichst auch im Internet veröffentlichen. Ginge es
nach Stollman, würde die Bibliothek zu diesem Zweck gern mit dem Archiv in
Marbach kooperieren, obschon er die Rolle des deutschen Instituts bei dem
Prozess als „problematisch“ bezeichnet. So habe das Archiv argumentiert,
„Brod sei gar kein Israeli gewesen“, schimpft der Jerusalemer Kurator. „S…
haben offenbar vergessen, dass dieser Mann mit dem letzten Zug aus Prag
geflohen ist, um nach Palästina zu kommen“. Den Gedanken, das Material nun
nach Marbach zu schicken, empfindet er als „höchst seltsam, um es sanft
auszudrücken“.
Eine Sprecherin des Literaturarchivs Marbach erklärte zu dem Tel Aviver
Urteil lediglich, man habe dieses „zur Kenntnis genommen“. Vor einer
Erklärung sei eine genaue Prüfung der Urteilsbegründung notwendig.
Kafka sei „im Kreis seiner Freunde gut aufgehoben“, findet der Jerusalemer
Stollman, der das Material zu den Originalmanuskripten von Martin Buber und
Hugo Bergmann stellen will. Eine Weile wird er sich damit allerdings noch
gedulden müssen, denn Ewa Hoffe will in Revision gehen. Der Streit um das
Testament Brods war bislang Angelegenheit des Familiengerichts. Die nächste
Stufe des doch noch unvollendeten Kafka-Prozesses wird vom Bezirksgericht
in Tel Aviv entschieden werden.
15 Oct 2012
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
Reiseland Tschechien
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