# taz.de -- Mobilitätswende in Berlin: In allen Kiezen ist Ruh | |
> Kiezblock-Inis wollten in Friedrichshain-Kreuzberg Ruheinseln schaffen – | |
> und werden vom Bezirk überholt: Der plant flächendeckende | |
> Verkehrsberuhigung | |
Bild: Kann auch belebter aussehen: verkehrsberuhigte „Klimastraße“ im Frie… | |
BERLIN taz | Friedrichshain-Kreuzberg macht seinem Ruf, bei der | |
Mobilitätswende die Nase vorn zu haben, alle Ehre: Mit einem ambitionierten | |
Konzept soll fast der gesamte Bezirk möglichst schnell verkehrsberuhigt | |
werden. Nicht mehr nur isolierte „Kiezblöcke“ blieben vom Durchgangsverkehr | |
verschont, es beträfe die allermeisten Wohngebiete jenseits der | |
Hauptverkehrsstraßen. | |
„Wir haben den politischen Auftrag, die Verkehrsberuhigung flächendeckend | |
voranzubringen“, sagt Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne). Sie kann | |
gleich auf eine ganze Reihe von Gesetzen und Beschlüssen verweisen: nicht | |
nur das landesweit gültige Mobilitätsgesetz mit Radverkehrskonzept und | |
Fußverkehrskonzept, sondern auch ein bezirkliches Konzept zur Entsiegelung | |
– sowie mehrere von der BVV [1][beschlossene EinwohnerInnenanträge zur | |
Einrichtung von Kiezblocks]. | |
Deshalb brauche es nun eine „strukturierte Herangehensweise“, so Gerold, | |
die auf eine deutliche Erhöhung ihrer Mittel im neuen Landeshaushalt hofft, | |
der sich gerade auf der Zielgeraden befindet. Das Konzept markiert eine | |
kleine Zeitenwende: Es rückt ab vom Prinzip, erst dort tätig zu werden, wo | |
AnwohnerInnen sich organisiert und Forderungen artikuliert haben. | |
Stattdessen sollen nun auch objektive Kriterien dem Stadtumbau zugrunde | |
gelegt werden. | |
„Datenbasierter Ansatz zur Analyse von Planungsräumen“, heißt das auf | |
Amtsdeutsch. Dafür wurden alle Kieze im Bezirk (die meist einem oder zwei | |
der sogenannten Planungsräume entsprechen) auf Umweltbelastung und soziale | |
Situation abgeklopft: Wie dicht bewohnt sind sie, wie viel Grünraum gibt | |
es, wie ist die Belastung durch Lärm, wie sauber die Luft? Auch Aspekte wie | |
die Standorte von Grundschulen mit einem erhöhten Bedarf an | |
Verkehrssicherheit flossen in die Analyse ein. | |
Acht größere zusammenhängende Bereiche hat Gerolds Team so als Kandidaten | |
für eine Verkehrsberuhigung identifiziert – zum Beispiel in Friedrichshain | |
die Wohngebiete südlich der Karl-Marx-Allee und den Südkiez, in Kreuzberg | |
die Kieze nördlich der Urbanstraße und rund um den Viktoriapark sowie | |
praktisch den gesamten Nordwesten vom Anhalter Bahnhof bis zum Mehringplatz | |
und zur Prinzenstraße. | |
## Andere Ansprechpartner | |
In manchen Fällen überlagern sich die „errechneten“ Bedarfe mit den | |
Forderungen von [2][Kiezblock-Initiativen, die unter dem Dach von Changing | |
Cities e. V.] seit einiger Zeit für den Umbau ihrer Viertel trommeln – so | |
im Südkiez, im Viktoriakiez und rund um den Oranienplatz. Anderswo, etwa im | |
Kreuzberger Nordwesten und an der Karl-Marx-Allee, gibt es dagegen noch | |
keine AktivistInnen, die Pläne schmieden, Demos anmelden oder | |
Unterschriften sammeln. Dort will das Bezirksamt andere Ansprechpartner | |
suchen, um eine Beteiligung der AnwohnerInnen zu gewährleisten – | |
beispielsweise das Quartiersmanagement. | |
Kombiniert man auf dem Stadtplan die per Datenanalyse ermittelten Kieze mit | |
den Kiezblocks, für die es einen BVV-Beschluss gibt (oder der bald erwartet | |
wird), und fügt man dann noch die Bereiche hinzu, in denen der Bezirk schon | |
von sich aus tätig geworden ist (etwa im Kreuzberger Wrangelkiez oder im | |
Friedrichshainer Nordkiez), dann bedecken diese Flächen mehr oder weniger | |
den gesamten Bezirk. | |
Allerdings legt Felix Weisbrich, der Leiter des bezirklichen Straßen- und | |
Grünflächenamts (SGA), Wert darauf, dass es sich nicht um einen | |
„Flickenteppich“, sondern um „Teile eines Puzzles“ handelt. Die Aufgabe… | |
groß, räumt Weisbrich ein, „aber weniger zu tun wäre planerisch inkongruent | |
und auch nicht gerecht“. | |
Bleibt die Frage, wie nun die Prioritäten gesetzt werden: „Wir sind zwar im | |
Vergleich zu anderen Bezirken ganz gut aufgestellt, aber trotzdem können | |
wir nicht alles gleichzeitig machen“, sagt Stadträtin Gerold. Dazu will man | |
sich noch in diesem Sommer zu Gesprächen an einen Tisch setzen – mit den | |
Kiezblock-Inis, aber auch mit Akteuren aus Kiezen, wo noch niemand die | |
Initiative ergriffen hat. Auf dieser Grundlage soll eine Liste erarbeitet | |
werden, dann geht es an die Beteiligung vor Ort. | |
## Ehrgeizige Beteiligung | |
Auch hier legt das Bezirksamt großen Ehrgeiz an den Tag: Im Rahmen einer | |
„interventiven Beteiligung“ will es experimentelle Maßnahmen umsetzen, etwa | |
eine Diagonalsperre, die einige Tage lang den Kfz-Durchgangsverkehr | |
verhindert. Begleitet würde das unter anderem mit Befragungen und | |
Diskussionen vor Ort. Angesichts der Tatsache, dass jede neue | |
Verkehrslenkung in Berlin erst einmal Chaos (und bei manchen Autofahrenden | |
Wut) hervorruft, darf dieses Vorhaben als mutig bezeichnet werden. | |
An anderer Stelle scheint es hingegen kein Konfliktpotenzial zu geben: Die | |
Kiezblock-Bewegung sei „total happy“, dass ihre Idee nun bezirksweit | |
ausgerollt werde, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities – auch wenn | |
die Initiativen nun vielleicht nicht mehr privilegiert abgearbeitet werden. | |
Vor allem gehe es nun wieder klar voran, glaubt Sørensen: „Dieser Schritt | |
wird den Druck auf die anderen Bezirke immens erhöhen, gerade auf die, die | |
bis jetzt wenig für die Mobilitätswende getan haben.“ | |
27 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kiezblocks.de/kiezblocks/ | |
[2] https://www.kiezblocks.de/kiezblocks/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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