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# taz.de -- Milizen in Libyens Hauptstadt: Das Gewaltkartell
> In Tripolis hat nicht der Staat das Sagen – Milizen haben die Stadt unter
> sich aufgeteilt. Sie treten auch als Partner der internationalen
> Diplomatie auf.
Bild: Rauchwolke über Tripolis – am 25. Dezember wurde Libyens Außenministe…
TRIPOLIS taz | Alarmstimmung herrscht in allen staatlichen Institutionen
der libyschen Hauptstadt seit dem Anschlag auf das Außenministerium am 25.
Dezember. Drei als Putzkräfte verkleidete, mit Sprengstoffgürteln und
Kalaschnikows bewaffnete Angreifer konnten zwanzig Minuten lang wüten, bis
Sicherheitskräfte herbeieilten. Vier Angestellte starben und mehr als 30
Menschen wurden verletzt.
Es war der dritte tödliche Angriff des „Islamischen Staates“ (IS) in
Tripolis innerhalb weniger Monate, und er kam kurz vor der für Anfang
Januar geplanten vollständigen Rückkehr der Libyen-Mission der UNO (Unsmil)
in die Hauptstadt. Deren Unterhändler hatten über Monate insgeheim einen
Waffenstillstand zwischen den wichtigsten Hauptstadtmilizen und
konkurrierenden Angreifern ausgehandelt.
Unter den Opfern im Außenministerium waren ranghohe libysche Diplomaten.
Mit betretenen Mienen besichtigten Premierminister Faiez Serraj und
Außenminister Taha Siala nach dem Anschlag die verkohlten Büroräume unweit
des Radisson-Hotels, in dem seit Jahren internationale Geschäftsleute
absteigen. Die Pressekonferenz des vor sechs Wochen eingesetzten
Innenministers Fathi Bashaga geriet zur Kritik an der
„Sicherheitsarchitektur“ für Tripolis. „Das Innenministerium hat kein
Budget“, so Bashaga, „wir verfügen über keine eigenen Truppen oder
Ausrüstung.“
Innenminister Bashaga befehligt offiziell 23.000 Mann, doch Befehle kann er
ihnen nicht erteilen. Die wahren Herrscher von Tripolis sind Milizen:
„Rada“ des Salafistenführers Abdulrauf Kara, die „Revolutionäre Brigade…
des wie ein Geschäftsmann gekleideten Haithem Tajouri, die
„Nawasi-Brigade“ der Kaddur-Familie, die „Abu-Salim-Revolutionäre“ des
Warlords Abdelgaghani Kikli, genannt „Die Kuh“ – einer der vielen
Spitznamen, über die man in Tripolis mit Ehrfurcht spricht.
Die im Straßenbild allgegenwärtigen Bewaffneten haben Stadtteile und
Aufgaben unter sich aufgeteilt, auch Banken, Tankstellen und Ministerien.
Tajouris Miliz bewacht das Außenministerium. Die Büros der Ministerien sind
oft schon am Mittag verwaist. Dass viele Mitarbeiter gar nicht mehr zur
Arbeit erscheinen, hat im Außenministerium sicherlich Leben gerettet.
## Milizen funktionieren als Wirtschaftsunternehmen
Es sind die Milizenführer, die mit Verhaftung von Schwarzmarkt-Geldhändlern
und illegalen Migranten und mit einmalig befohlenen Auszahlungsaktionen der
Banken der Bevölkerung zeigen, wer in Tripolis das Sagen hat. Wer entführte
Verwandte oder seinen gestohlenen Wagen sucht, geht in Tripolis nicht zur
Polizei, sondern zur jeweiligen Miliz. Während kleinere Gruppen
dunkelhäutige Migranten von der Straße weg verhaften, um die Bevölkerung
vor „Krankheiten und Kriminalität“ zu schützen und die Familien der
Migranten zu erpressen, haben sich Tajouris „Revolutionäre Brigade“ und die
Rada-Truppe auf den Kampf gegen den IS und Banden spezialisiert.
„Man weiß an den Kontrollpunkten in der Stadt häufig nicht, zu welcher
Gruppe die Uniformierten gehören, die vor einem stehen. Die offiziellen
Abzeichen sagen ja nur, auf wessen Lohnliste die Männer stehen, aber nicht,
wem gegenüber sie loyal sind“, so Ali Araishi, ein Familienvater in einem
Café am Algerien-Platz im Zentrum.
Den Glauben an die in Tripolis amtierende Einheitsregierung unter Serraj,
die in weiten Teilen Libyens nicht anerkannt wird, haben viele Menschen in
der Zweimillionenstadt schon lange verloren. Tagtäglich stehen Bankkunden
stundenlang Schlange, um monatlich umgerechnet 40 Euro von ihren Konten
abheben zu können. Die von Milizen bewachten Banken zahlen aufgrund der
Liquiditätskrise nur einen Bruchteil der Guthaben ihrer Kunden aus. Die um
ein Vielfaches gestiegenen Preise für Nahrungsmittel und der Absturz des
libyschen Dinars haben viele Familien an den Rand des Ruins getrieben.
Trotz des auf Nachkriegsrekord gestiegenen Ölexports und des trotz des
Staatszerfalls funktionierenden Bankensystems reichen die Budgets der
Einheitsregierung nur für die Löhne der eigenen Angestellten. Der Rest geht
an die Milizen, vermuten die Männer im Café. „Milizenkommandeure setzen
ihre Leute auf die Lohnlisten des Innen- oder Verteidigungsministeriums,
Parlaments- und Regierungsmitglieder nutzen die anderen Ministerien“,
beklagt Ali Araishi.
Solange die bewaffneten Verbände die Politik bestimmen, seien Neuwahlen
bedeutungslos, glaubt er. Die Milizen funktionierten als
Wirtschaftsunternehmen und böten soziale Aufstiegschancen für diejenigen,
die vor 2011 unter dem Gaddafi-Regime am unteren Ende der Gesellschaft
standen.
## UN-Unterhändler verhandeln mit „Deep State“
Um auch nach dem möglichen Ende des Machtvakuums vor Strafverfolgung sicher
zu sein und Legitimität genießen zu können, kooperieren Milizen wie Rada
auch mit den Vereinten Nationen und den ausländischen Botschaften. Die
internationalen Diplomaten haben keine andere Wahl. Karas 2.000-Mann-Truppe
bewacht den Flughafen Maitiga von Tripolis, über den die noch in Tunis
stationierten Diplomaten für ihre Libyen-Missionen ein und aus fliegen.
UN-Unterhändler verhandeln schon lange mit diesem „Deep State“, der
offiziell der Regierung Serraj untersteht, aber diese de facto
kontrolliert.
Da es im Westteil Libyens, anders als im von General Haftar beherrschten,
keine schlagkräftige geeinte Armee gibt, haben die Diplomaten wohl keine
andere Wahl, als sich mit den Milizen zu arrangieren. Doch sollte die
Regierung ihnen die Kontrolle über Banken und Ministerien wegnehmen,
könnten sie mit Gewalt Widerstand leisten.
Ausgeschlossen aus diesem Milizenkartell sind ehemalige Gaddafi-Anhänger,
die verjagten Islamisten aus dem ostlibyschen Bengasi sowie die lokalen
Milizen aus westlibyschen Städten wie Misrata, Zintan und Tarhouna. [1][Im
Oktober verwandelte ein Angriff der „Siebten Brigade“ aus Tarhouna den
Süden von Tripolis in ein Schlachtfeld]. Das Milizenkartell der Hauptstadt
konnte dank der Unterstützung spontaner Straßenmilizen die Angreifer
vertreiben. Die Aufklärungsbilder der täglich am Himmel über Tripolis
gesichteten Drohnen ausländischer Geheimdienste trugen auch zu diesem Sieg
bei, vermuten der Ingenieur Ali Araishi und seine Freunde im Café am
Algerien-Platz.
Der Angriff auf das Außenministerium könnte ein neuer solcher Angriff
gewesen sein: eine Warnung an die Allianz zwischen internationaler
Gemeinschaft und den Milizen von Tripolis, ausgeschlossenen Gruppen Zugang
zu den Geldquellen des Staates zu gewähren.
2 Jan 2019
## LINKS
[1] /Kaempfe-um-Libyens-Hauptstadt/!5534832
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Milizen in Libyen
Libyen
Tripolis
„Islamischer Staat“ (IS)
Milizen in Libyen
Palermo
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