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# taz.de -- Mario Vargas Llosas neuer Roman: Schwul und very Irish
> Mario Vargas Llosas "Der Traum des Kelten" erzählt die schillernde
> Geschichte des Diplomaten Roger Casement. Der Nobelpreisträger will
> verstehen - und weniger moralisch beurteilen.
Bild: Erzählt von Geschichte und Verbrechen: Mario Vargas Llosa.
Mario Vargas Llosas literarisches Schaffen ist seit gut einem halben
Jahrhundert von der Auseinandersetzung des humanistischen Individuums mit
kollektiv zu verantwortenden Verbrechen geprägt. Schon in seinem frühen
Roman "Die Stadt und die Hunde" beschäftigte sich der 1936 im peruanischen
Arequipa geborene Schriftsteller mit der autoritären Prägung ganzer
Gesellschaften am Beispiel der Vorkommnisse in einer Kadettenschule. Auch
in "Tante Julia und der Schreibkünstler", einem Roman, den Vargas Llosa
1977 publizierte und der gerade in einer schönen Neuausgabe erschien, ist
diese Auseinandersetzung des Einzelnen mit den moralischen Zwängen des
unaufgeklärten Ganzen zentrales Motiv. Bei "Tante Julia und der
Schreibkünstler" ist die Kulisse eine großstädtische, ein gleichzeitig
mondän und dann wieder rückständig wirkendes Lima.
Auf etliche außerordentliche Werke folgt nun ein weiterer historischer
Roman des Schriftstellers, den viele auf der dogmatischen Linken ebenso wie
auf der nationalistischen Rechten vor allem deswegen hassen, weil er sich
im politischen Leben als liberalen Demokraten bezeichnet. Vargas Llosa
hatte 1990 auf konservativer Seite zu den peruanischen
Präsidentschaftswahlen kandidiert und war als Favorit dem späteren Diktator
Alberto Fujimori unterlegen.
Die Niederlage war politisch für Peru eine Katastrophe, für Vargas Llosa
wohl eher ein glücklicher Umstand. Der Andenstaat war hoffnungslos zwischen
extremer Rechte und maoistischer Guerilla verkeilt, auch ein Demokrat wäre
kaum unbeschadet aus dieser Bürgerkriegssituation herausgekommen. Nach der
politischen Niederlage konzentrierte sich Vargas Llosa wieder auf sein
literarisches Werk. In "Tod in den Anden" näherte er sich 1993 der Form des
Kriminalromans an. 2000 erschien mit "Das Fest des Ziegenbocks" ein großer
zeitgeschichtlicher Roman. Dokumentarisch-fiktional gearbeitet, machte er
sein Publikum mit Vorgängen vertraut, die sich in der Dominikanischen
Republik im letzten Jahrhundert zutrugen. Dort herrschte von 1930 bis 1961
der extrem blutrünstige Rafael Trujillo, über den schon Hans-Magnus
Enzensberger zu berichten wusste: "Den so genannten Mittelstand liquidierte
er, durch Bestechung und Druck, so kaltblütig wie ein Weltkonzern oder eine
Volksdemokratie."
## Fakten und Fiktion
In "Der Traum des Kelten" widmet sich Vargas Llosa nun der ungewöhnlichen
Biografie des Sir Roger Casement. Es ist die Lebensgeschichte eines Iren,
1864 geboren, der früh Waise wird, mit 16 in eine britische Kolonialfirma
eintritt und die Gräuel des Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts im
belgischen Kongo-Leopoldville mit eigenen Augen sieht. Der als britischer
Konsul im Auftrag von englischer Krone und Foreign Office die Verbrechen
des belgischen Königs in Afrika untersucht, dokumentiert und darüber
berühmt wurde. Der in der Folge 1910 in die damals peruanische Region
Putomayo reist, um im Amazonasgebiet im Auftrag der Briten die
völkermordende Tyranei der in London an der Börse notierten Kautschukfirma
Julio C. Arana zu untersuchen. Für seine Verdienste im Kampf gegen
Sklaverei und imperiale Ausbeutung wird er geadelt.
Roger Casement, der von einem britisch-royalistischen Offizier und einer
irisch-katholischen Republikanerin abstammt und der zum Mann gereift im
Verborgenen seine Homosexualität auslebt und immer stärker zum irischen
Nationalismus tendiert. Der schließlich den diplomatischen Dienst aus
"gesundheitlichen Gründen" quittiert, die Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Kaiserreich (dem Erzfeind Britanniens!) sucht, um während des Ersten
Weltkriegs nach Niederschlagung des irischen Osteraufstands 1916 inhaftiert
und als Landesverräter im Londoner Pentonville-Gefängnis hingerichtet zu
werden.
"Es ist nicht meine Sache, eine Version anzubieten, die mehr oder weniger
von Tatsachen lebt," sagte Vargas Llosa der spanischen Tageszeitung El
País. Die tatsächliche Geschichte Casements sei für ihn "immer
Ausgangsmaterial gewesen, um zu fantasieren, um ausgehend davon zu
versuchen, eine Fiktion zu erzählen."
In einer Biografie über den Schriftsteller Joseph Conrad las Vargas Llosa
von Roger Casement. Conrad und Casement waren befreundet. Vargas Llosa
begann zu recherchieren, wurde von dieser widersprüchlichen historischen
Figur immer stärker angezogen. Ein Roman schien die logische Folge, der
einerseits auf Fakten beruht, andererseits genügend Spielraum für
Interpretationen lässt.
Vargas Llosa rekonstruiert für seine Erzählung die Reisen Casements in den
afrikanischen Kongo sowie ins peruanische Amazonasgebiet. Sie sind gut
dokumentiert durch die damaligen offiziellen Berichte Casements, durch
Fotografien, aber auch durch seine Tagebücher. In Kongo sowie Peru
dokumentierte er schier unglaubliche Menschenrechtsverbrechen, die
Kolonialisten im Zuge der globalen Kautschukgewinnung im Zeitalter des
Imperialismus begingen. Der belgische König? Ein Massenmörder,
wahrscheinlich fielen Millionen Afrikaner seiner Habgier im Kongo zum
Opfer. In seinen Methoden stand dem auch das an der Londoner Börse notierte
peruanisch-britische Unternehmen Julio C. Arana kaum nach. Es versklavte
die Amazonasindianer im Putomayo-Gebiet, drückte ihnen Brandzeichen auf die
nackte Haut, versuchte mit größtmöglicher Gewinnspanne am Kautschukboom
teilzuhaben. Zehntausende starben in wenigen Jahren an Folter und
Sklavenarbeit.
Casement belegte dies unter Lebensgefahr. Seine Berichte verursachten einen
internationalen Aufruhr. König Leopold II. von Belgien musste den seit 1885
als seinen Privatbesitz geführten Kongo 1908 der belgischen Staatlichkeit
unterstellen. Und die Firma Julio C. Arana überlebte die Casement-Berichte
nicht. Sie crashte, als bekannt wurde, worauf ihr Reichtum basiert.
Bei all dem gelingt es Vargas Llosa, zwischen Geschichtserzählung und
individueller Psychologie seines Personals die Balance zu halten. Trotz der
Schwere des Stoffs ist der Roman leicht und spannend zu lesen.
Von der Todeszelle aus lässt Mario Vargas Llosa seine Hauptfigur Roger
Casement Rückschau halten. In Rückblenden verbindet er leichthin
verschiedene Erzähl- und Zeitstränge und verknüpft scheinbar mühelos die
Erzählketten im Dreieck Europa, Afrika, Südamerika, Salondiskurse
britischer Intellektueller mit auf Flussfahrten durch tropisches Gebiet
gewonnenen Eindrücken. Dabei sucht der Humanist Vargas Llosa beständig den
Humanisten in der Geschichte, auch dort, wo er wie Casement historisch von
Entmenschlichung umgeben war.
## Nicht unfehlbar
Casement selbst wird von Vargas Llosa als widersprüchlicher Charakter
dargestellt, der versuchte, den militärisch aussichtslosen Osteraufstand zu
vermeiden, obwohl er in seinen späteren Jahren vor irischem Patriotismus
förmlich glühte - eine Haltung, der Vargas Llosa kritisch gegenübersteht.
Als einer, der auch in seinen privaten Handlungen versuchte, in
naiv-rührender Weise Humanist zu bleiben, und dennoch nicht unfehlbar war.
Vargas Llosas Roman will verstehen und weniger moralisch beurteilen. Was
macht aus den Menschen eine Bestie und wie kann er je nach Lage der Dinge
von einer Hülle in die andere schlüpfen? Wie kann aus einem zivilisierten
Unternehmer, abseits staatlich-gesellschaftlicher Kontrolle ein
peitschenschwingender Rassist und Vergewaltiger werden? Warum finden sich
in allen Gruppen und Schichten der Weltbevölkerung Handlanger, die sich
gegen Entgelt an solchem Tun beteiligen? Vargas Llosa beschönigt nichts,
ist aber statt einfacher Verurteilung der Individuen am Verstehen der
Zusammenhänge interessiert.
Neben einer grandios erzählten Biografie beinhaltet sein neuer Roman so
auch sprachlich sehr genaue Studien zum Völkermord, wie er in der
Geschichte begangen und was er für Subjekte voraussetzte. "Der Traum des
Kelten" spricht aber auch davon, dass die Individuen nie ganz eins mit sich
und ihren Taten sind. Im Guten wie im Bösen sind die Übergänge fließend.
So ist auch vieles im Leben des Roger Casement aus der Sicht von Vargas
Llosa nicht so leicht erklärbar. Der Roman macht deutlich, dass Casements
Hinwendung zum irischen Nationalismus keineswegs so schlüssig war wie sein
Kampf im Namen der Briten gegen koloniale Sklaverei. Auch nicht seine
Hinwendung zu Preußentum und Wilhelminismus, um Verbündete für den irischen
Aufstand zu finden.
Viele von Casements intellektuellen Freunden wie Joseph Conrad haben ihm
den Verrat im Ersten Weltkrieg nicht verziehen. Der britische Geheimdienst
versuchte Casement aber auch vor allem mit Enthüllungen aus seinem
homosexuellen Privatleben zu schaden. Die stockkonservativ
irisch-republikanische Bewegung war alles andere als sexuell aufgeklärt.
Vargas Llosa zitiert in "Der Traum des Kelten" auch pornografische Stellen
aus Casements "Black Diaries". "Es ist mein persönlicher Eindruck," so der
Nobelpreisträger im Nachwort, "dass Roger Casement diese berüchtigten
Tagebücher zwar schrieb, aber das Geschriebene nicht gelebt hatte,
zumindest nicht alles." Vieles sei seiner Übertreibung und Fantasie
entsprungen. Der Kelte hatte mehr als einen Traum. Und so wurdeRoger
Casement für den liberalen Demokraten Vargas Llosa tatsächlich zur idealen
Romanfigur.
9 Sep 2011
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Peru
Mario Vargas Llosa
Peru
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