# taz.de -- Mainstream-Dubstepper Skrillex: Stadionrock ohne Gitarren | |
> Skrillex macht aus dem britischen Underground-Phänomen Dubstep | |
> massentaugliche Pop-Unterhaltung. Bei seinem Konzert in Köln regnet es | |
> Konfetti im Strobogewitter. | |
Bild: Sieht nicht so aus, ist aber voll Mainstream: Skrillex. | |
KÖLN taz | Jedes Popgenre hat sie – Musiker, denen es gelingt, die | |
stilistischen Kleinkriege des Undergrounds kompatibel für die große Bühne | |
zu machen. Auch Skrillex ist so ein Fall. | |
Eigentlich heißt der schmächtige, leicht androgyne US-Produzent Sonny John | |
Moore. Nachdem seine Karriere als Sänger bei einer Screamo-Band endete, | |
lebte er einige Zeit aus dem Koffer und produzierte seine ersten | |
Dubstep-Tracks auf dem Laptop. Und hatte Erfolg wie kein Zweiter. Auf die | |
ersten Veröffentlichungen folgten Festivalauftritte vor 80.000 Menschen und | |
ein Grammy. | |
Dank Skrillex ist Dubstep, dieser zwischen nerdiger Detailversessenheit und | |
Straßenauthentizität in Südlondon entstandene Popstil, auch denjenigen | |
bekannt, die Musik am liebsten als Castingshow konsumieren. In einigen | |
Ecken des Internets macht ihn das zum beliebtesten aller Hassobjekte. | |
Nun befindet sich Skrillex auf Deutschlandtour. Bei seinem Konzert am | |
Samstag in Köln sind nur Fans gekommen. Das E-Werk ist mit 2.000 Besuchern | |
ausverkauft und schon vor Beginn der Show füllen "Skrillex, Skrillex"-Rufe | |
den Saal. Als der 24-Jährige die Bühne betritt, schält sich hinter ihm sein | |
Computeravatar aus seinem Kokon. | |
## Hände formen kleine Herzen | |
Kurz darauf regnet es Konfetti, während Skrillex seine langen schwarzen | |
Haare im Strobogewitter über dem Laptop rotieren lässt. Dann wieder | |
Rauchfontänen, zwischendurch die Ansage "Put your hands in the air". So | |
funktioniert Stadionrock ohne Gitarren. Immer dabei: der Drop. In jedem | |
Track von Skrillex gibt es diesen Moment, wenn der Rhythmus aussetzt und | |
die Synthesizer oder die hochgepitchten Vocals für ein paar Sekunden solo | |
durch die Halle schweben. Dann reckt das Publikum die Arme zur Bühne und | |
formt mit den Händen kleine Herzen. | |
Kurz darauf geht alles im Inferno unter. Die Computergrafiken verschwimmen | |
und aus den Boxen strömt der gewaltige Wobble-Sound, ein Synthesizer-Riff | |
aus Bässen im mittleren Frequenzbereich, das er in immer neuen Zuckungen | |
anderthalb Stunden lang zelebriert und dabei seine Fans bis in die letzten | |
Reihen zum Tanzen bringt. | |
Skrillex ist ein Gesamterlebnis von "Jugendlichkeit" als Pauschalpaket voll | |
digitalem Populismus. Auf der Leinwand wird er zum Computeravatar, der sich | |
durch Fantasywelten kämpft oder dank Motion-Capturing die Bewegungen des | |
echten Skrillex verdoppelt. Das alles geschieht ohne technische Raffinesse, | |
sondern setzt auf Wiedererkennungswert. Welcher Jugendliche kennt solche | |
Szenen nicht aus der eigenen Computerspielerfahrung? Als dann auch noch die | |
[1][Nyan-Cat] auf der Leinwand erscheint, ist der Jubel am größten. | |
## Geschickter Selbstvermarkter | |
Denn Skrillex ist in erster Linie ein geschickter Selbstvermarkter. Er ist | |
dafür verantwortlich, dass Dubstep, dessen Name vor zwei Jahren selbst bei | |
Musiknerds nur ein wohlmeinendes Schulterzucken auslöste, zu einer | |
Identitätsfolie für Jugendliche geworden ist. T-Shirts mit dem Aufdruck | |
"Dubstep" waren am Samstag ebenso häufig zu sehen wie das Skrillex-Logo, | |
das aussieht, als würde es von einer Thrash-Metal-Band stammen. Wie | |
überhaupt der Anteil an Metal-Shirts im Publikum recht hoch war. Auf | |
Skrillex können sich Rock- und Elektronikfans gerade am ehesten einigen – | |
noch mehr Mainstream geht eigentlich nicht. | |
Gleichzeitig steht Skrillex letztendlich doch unverdient auf der Bühne des | |
E-Werks. Trotz aller Partytauglichkeit hat seine Musik kein einziges | |
originelles Detail zu bieten, sondern maximalisiert Einflüsse aus anderen | |
Genres. Sein Markenzeichen, die Wobble-Riffs im mittleren Frequenzbereich, | |
waren das erste Mal 2007 auf dem Track "Spongebobs" des afrobritischen | |
Produzenten Coki zu hören, und die hochgepitchten Vocals kennt man seit | |
Jahren von Labels wie Night Slugs. | |
Aber bei Skrillex klingen die Wobble-Riffs brutaler und die Beats sind | |
rigider programmiert als bei der Konkurrenz. Dabei gehen die Zwischenräume | |
verloren, die Mischung aus Paranoia, Nostalgie und Euphorie, die Dubstep | |
zum Soundtrack der deprimierenden zweiten Hälfte der nuller Jahre gemacht | |
hat. Bei Skrillex herrscht der kleinste gemeinsame Nenner, und das tut er | |
sowohl umsichtig als auch mit erfolgreichem Kalkül. | |
27 Feb 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=QH2-TGUlwu4 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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