# taz.de -- Elektroprduzenten Scuba und Rustie: Das Glück im Muskelgedächtnis | |
> Zwei neue Alben der beiden jungen britischen Elektronikproduzenten Scuba | |
> und Rustie bilden die Euphorie der Clubnacht überzeugend ab. | |
Bild: Hat in London als Dubstep-DJ begonnen und legt jetzt im Berghain auf: Scu… | |
Ein wenig irritierend wirkt es ja schon, was sich in den vergangenen | |
Monaten als Debatte über Vergangenheit und Zukunft von Pop zwischen Retro | |
und Nischen abgespielt hat. Wann immer die "Fixierung von Pop auf seine | |
eigene Vergangenheit" (Simon Reynolds) erklärt werden soll, endet die | |
Untersuchung bei Bildern, Tonträgern und Vertriebskanälen - kurz: Pop und | |
seinen Medien. | |
Vergessen werden dabei gerne Produzenten und Fans, deren Körper zwischen | |
Konzertbühne, Stereoanlage und DJ-Booth auf der einen und Tanzfläche und | |
Konzertsaal auf der anderen Seite ihre eigene Geschichte aus Affekten | |
schreiben. | |
Sichtbar wird das, wenn Alben Clubs emulieren. Auf Mix-CDs wie der, die | |
Scuba für die Reihe "DJ-Kicks" angefertigt hat. Vor fünf Jahren hat Scuba | |
in London als Dubstep-DJ begonnen, ist dann aber, von Minimal-Techno | |
affiziert, nach Berlin gezogen, wo er im Berghain einen eigenen Stil aus | |
Minimal, House und Bassmusik verfeinerte. | |
Wobei man weiter ausholen muss. Die verschiedenen Spielarten britischer | |
Bassmusik von Jungle über UK-Garage bis Dubstep sind trotz der | |
raumgreifenden Gesten der affektive Gegenpol zu einem Alltag, der den | |
Zugang zu Räumen immer stärker reglementiert. Charakteristisch für diesen | |
Gegenpol ist der "Drop", dieser kurze Moment, in dem eine Instrumentalspur | |
für sich allein steht und verstummt, bevor Bass und Synthesizer wieder | |
einsetzen und die Spirale der Euphorie solange höher schrauben, bis auf die | |
Party die Heimfahrt im Nachtbus folgt. | |
Diese Abfolge aus Euphorieschüben ist auf Scubas DJ-Mix einer homogenen | |
Deepness gewichen. Der Retro-Elektro von Boddika steht neben dem | |
plakativeren UK Funky von Roska, aber beide fügen sich dem Mix. Das alles | |
kulminiert in Scubas eigenem Track "Adrenaline", auf dem sich ein | |
gefiltertes Sprachsample aus der Musik schält und zärtlich so etwas wie | |
einen "Drop" andeutet - die Versöhnung eines Körpers, dem die Affekte | |
britischer Bassmusik ins Muskelgedächtnis eingeschrieben sind, mit der | |
Weite einer Nacht in den Clubs, die an der Berliner U-Bahnlinie 1 zwischen | |
Friedrichshain und Kreuzberg liegen. | |
Der Körper von Rustie lässt sich dagegen nur erahnen. Etwas verloren stand | |
er vergangenes Jahr auf seiner eigenen Releaseparty mit Baggypants, | |
Baseballkappe und einem übergroßen T-Shirt zwischen den Hipstern East | |
Londons und ihrer eng anliegenden Ausgehuniform aus Vintage-Kleidung. Aber | |
genau wie sein Körper steht auch Rusties Musik quer zu einer | |
Gegenwartsdeutung, die in der Digitalisierung nichts anderes als das | |
endlose Recyceln einer analogen Vergangenheit entdecken kann. | |
## Der Bildschirmarbeiter des HipHop | |
Klar, Rustie ist ein B-Boy, wenn auch ein glaubwürdig unauthentischer. Die | |
Tracks des Schotten simulieren nicht die aus dem Handgelenk geschüttelte | |
Eleganz des klassischen HipHop-DJs: eine Hand am Crossfader, die andere am | |
Plattenspieler, den Blick verkifft-konzentriert ins Leere gerichtet. | |
Stattdessen entspringt Rusties Version von HipHop der verkrampften und | |
gleichzeitig hyperaktiven Haltung des Bildschirmarbeiters, in der | |
Konzentration und Euphorie nur einen Mausklick voneinander entfernt sind. | |
Selbstverständlich kennt auch Rustie, wie alle HipHop-Produzenten vor ihm, | |
die Bedeutung des Archivs. Er hat es um die Jahrtausendwende angelegt, als | |
HipHop und R&B die Charts und Fantasien einer ganzen Generation | |
dominierten. Seitdem ist es gewachsen: In Rusties Basslines entdeckt man | |
ein wenig P-Funk, die Synthesizer erinnern an Chiptunes, in der | |
Rhythmussektion konkurrieren Timbaland und die Neptunes um die | |
Vorherrschaft über die Drumspuren. All das hat er mit der Szene seiner | |
Heimatstadt Glasgow um die Labels Numbers und Lucky Me gemeinsam. | |
Rusties Aktualisierung von HipHop ist keine Rückkehr in alte Zeiten, um mit | |
Kennerhand die weitere Verfeinerung längst ausdifferenzierter Stile für die | |
eigene Nische fortzusetzen. Sondern er collagiert seine Quellen so lange, | |
bis ein Schauer des Genießens den nächsten ablöst. In "Ultra Phizz" schält | |
sich aus den gesampelten Gitarrensoli eine funkige Version von Prog-Rock | |
heraus. "All Nite" ist ein Upgrade von Neunziger-Jahre-R&B für | |
Jugendzimmer, in denen Doppelkernprozessoren zur Grundausstattung gehören. | |
Rustie aktualisiert die Vergangenheit von Dancefloor-Musik als Wiederholung | |
und Steigerung von Affekten - das Glücksgefühl des versunkenen Gamers, das | |
Verlangen nach der süßen Hookline. Eigentlich tut er damit nur das, was | |
gute Popmusik schon immer getan hat: Auf der Höhe der Technik nach dem | |
Maximum an Glück suchen und es unauslöschlich ins Muskelgedächtnis | |
einzuschreiben. | |
Scuba: "DJ-Kicks" (!K 7 Records/Alive); Rustie: "Glass Swords" (Warp/Rough | |
Trade) | |
26 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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