# taz.de -- Lucius Teidelbaum über rechte Christen: „Sie werden lauter“ | |
> Der sächsische Landesbischof Carsten Rentzing tritt zurück, weil er einst | |
> rechte Ideen propagierte. Kein Einzelfall, sagt ein | |
> Fundamentalismus-Experte. | |
Bild: Landesbischof Carsten Rentzing feiert das zehnjährige Bestehen der Dresd… | |
Ende Oktober wird der evangelische Geistliche Carsten Rentzing endgültig | |
von seinem Amt als sächsischer Landesbischof ausscheiden. Rentzing hatte | |
als Student [1][Anfang der Neunziger Jahre demokratiefeindliche und | |
nationalistische Texte in der kleinen Zeitschrift „Fragmente“ | |
veröffentlicht.] Rentzing hatte seinen Rücktritt vom Amt angeboten, nachdem | |
die Texte bekannt geworden waren. Die Landeskirche hat den Rückzug jüngst | |
angenommen. | |
taz: Herr Teidelbaum, ist die Verkettung von politischen Rechtsaußen und | |
christlichen Konservativen und Rechten, wie sie bei Carsten Rentzing | |
sichtbar geworden ist, ein Einzelfall? | |
Lucius Teidelbaum: Nein, ist es nicht. Die christliche Rechte ist ein | |
eigenes Phänomen – aber es gibt inhaltliche und personelle | |
Überschneidungen. | |
Bei welchen Inhalten liegen äußere Rechte und christliche Rechte auf | |
gleicher Linie? | |
Beide sind gegen einen gesellschaftlichen Liberalismus und haben generell | |
den gleichen Blick: Dass die Gesellschaft vermeintlich kaputtgeht und eine | |
Zeit der Dekadenz und Sünde eingesetzt habe. Gay Pride, die Möglichkeit von | |
Schwangerschaftsabbrüchen, die offene Ehe für Homosexuelle, das wird alles | |
für vermeintliche Indikatoren für den vermeintlichen Zerfall der | |
Gesellschaft gehalten, da hat die christliche Rechte viel gemeinsam mit | |
extremen Rechten. | |
Das heißt, christliche Rechte und politische Rechtsaußen haben sich auf die | |
gleichen Feindbilder eingeschossen? | |
Beide sind gegen den Islam und den Feminismus, beide teilen sich das | |
Feindbild Linke, auch in der Variante: Die 68er sind an allem schuld. Beide | |
sagen: Es gibt eine linke Hegemonie, die [2][AfD] würde „linksgrünversifft�… | |
schreiben. Beide propagieren eine Frauenrolle, bei der die Frau für Küche | |
und Kinder zuständig ist. Allgemein das Thema Gender ist ein Knotenpunkt: | |
Bei den christlichen Rechten wird die göttliche Geschlechtsordnung durch | |
Gender-Diskussionen in Frage gestellt, bei den extrem Rechten ist es die | |
natürliche Ordnung. | |
Und wo unterscheiden sich politische Rechte und christlichen Rechte? | |
Die Christliche Rechte ist generell gegen Schwangerschaftsabbrüche, bei den | |
extremen Rechten herrschen zum Teil eher eugenische Vorstellungen vor: Wenn | |
die Chance besteht, dass ein Kind mit Behinderung auf die Welt kommt, haben | |
sie nichts gegen Abbrüche. Ein völkischer Nationalismus ist bei den | |
christlichen nicht so dominant wie in der extremen Rechten. Da kommt zum | |
Tragen, dass der Glauben universell ist: ChristInnen, die aus Syrien nach | |
Deutschland flüchten, sind da Glaubensgeschwister, die man willkommen | |
heißt. | |
In einer Online-Petition hielten mehrere Pfarrer aus Leipzig Rentzing vor, | |
dass er sich nicht von der AfD abgegrenzt habe, sich eine „inhaltliche | |
Nähe“ aufdränge. Gibt es eine Nähe zwischen AfD und christlicher Rechte? | |
Die Vereinigung „Christen in der AfD“, zu der einige FunktionärInnen der | |
christlich-fundamentalistischer Parteien wie der „Partei Bibeltreuer | |
Christen“ gewandert sind, propagiert offen: Dass die AfD die einzig | |
wählbare Partei sei, die das Abendland verteidige, die richtige Position zu | |
Schwangerschaftsabbrüchen einnehme, den Islam und Gender als Feindbild hat. | |
Es gibt aber viele ChristInnen, die dem widersprechen. Die Vereinigung ist | |
nicht so wichtig für die Partei wie der „Flügel“ um Björn Höcke, aber s… | |
erschließt immer noch neue Wählergruppen. | |
Gewinnt die christliche Rechte an Einfluss? | |
Sie werden nicht unbedingt mehr, aber sie werden lauter. Sie gehen mehr auf | |
die Straße, weil sie sich von der Modernisierung der Gesellschaft | |
herausgefordert fühlen. Und es kommt zu unheiligen Allianzen. Bei der „Demo | |
für alle“ gegen sexuelle Vielfalt laufen dann neben christlichen Rechten | |
auch NPD-Anhänger und Identitäre – und die Organisatorin der Demo, Hedwig | |
von Beverfoerde, war bis vor kurzem Mitarbeiterin von Beatrix von Storch. | |
In der evangelischen Kirche im Norden Deutschlands sind die | |
Rechtsklerikalen nicht so stark. Anders ist das in Sachsen und Württemberg. | |
Warum gerade dort? | |
Dort gibt es eine lange Tradition von Pietisten, die ähnliche Haltungen wie | |
sie die Evangelikalen haben. Beide sind konservative bis | |
fundamentalistische Protestanten. Sie sind zwar eine Minderheit, aber | |
wahrnehmbar und versuchen zum Beispiel, Fortschritte für homosexuelle | |
Pfarrer zu erschweren. Es gibt derzeit einen Kulturkampf, ob homosexuelle | |
Ehepartner in der Kirche gesegnet werden sollen, die liberalen ChristInnen | |
hatten sich aber durchgesetzt. Sachsen, wo Carsten Rentzing lebt, ist eine | |
besonders konservative Landeskirche. Im „Bible Belt“, die Region um das | |
Erzgebirge und das Vogtland, leben viele Evangelikale, die auch innerhalb | |
der Landeskirche immer wieder mit Abspaltung drohen. Deswegen hat es mich | |
gewundert, dass Rentzing so schnell zurückgetreten ist, weil er eigentlich | |
eine Hausmacht hat. | |
Schafft es die christliche Rechte, ihre Agenda außerhalb der Kirche | |
umzusetzen? | |
Selten bundesweit, aber punktuell und regional. Mit gezielten Kampagnen | |
können sie vereinzelt etwas erreichen. Es gab zum Beispiel den | |
Bildungsplan-Entwurf, der vom grünen Landesvater Kretschmann abgeschwächt | |
wurde. In Stuttgart sollte 2014 auch eine Klinik für | |
Schwangerschaftsabbrüche angesiedelt werden, da gab es viel Protest und der | |
Vermieter hat dann wegen dem Druck die Vermietung zurückgezogen. | |
Mittlerweile versuchen sie auch verstärkt, eigene Bildungsinstitutionen | |
aufzubauen, die „Pius Bruderschaft“ und die Evangelikalen haben das | |
gemacht. | |
31 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Simon Schramm | |
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