# taz.de -- Literaturwettbewerb „Open Mike“: Fehlerfreies Lesen | |
> Viel Lob gehört zu den Wettbewerben von Jungautoren. Doch mögen es die | |
> Juroren nicht, wenn die Albernheiten des Literaturbetriebs thematisiert | |
> werden. | |
Bild: Begehrtes Mikrofon: Etwa 600 hatten sich für den Open Mike beworben. 22 … | |
BERLIN taz | Irgendwann, gegen Ende des 22. „Open Mike“, hatte Gunnar | |
Cynybulk sich vom Flug seiner Gedanken hinreißen lassen. In seiner | |
abschließenden Rede an die 22 Teilnehmer des Wettbewerbs und die vielen | |
angereisten Schreibstudenten sprach der Autor, Leiter des Aufbau-Verlags, | |
einer der fünf Lektoren des „Open Mike“, von den 20- bis 35-jährigen | |
Autoren als „unseren Schützlingen“ und dass es viel Spaß gemacht habe, | |
„Wildhüter“ zu sein. Er erwähnte auch die Agenten und die „Großwildjä… | |
der großen Verlage, die durch die behütete Wildnis des Wettbewerbs | |
pirschten, um die Autoren, „die ja eigentlich noch Jungtiere sind“, nun ja, | |
zu erlegen wohl. | |
Der Open Mike ist super, hat aber, wie vermutlich viele | |
Literaturwettbewerbe für jüngere Autoren, eine gouvernementale Note. Das | |
übermäßige Lob gehört dazu, und manchmal, wie bei dem Vergleich mit | |
„Jungtieren“, hat man das Gefühl, die Juroren und Lektoren meinten, zu | |
niedlichen Teenagern zu sprechen. | |
Man muss sich den Literaturbetrieb also wie einen Wald vorstellen. Da und | |
dort hüpfen junge Rehlein, da gibt es die Förster und Wildhüter, die hegen | |
und pflegen, aber dann wohl auch erlegen, damit die Jungtiere genug Platz | |
haben, sich zu entwickeln. Und die Kritiker sind so etwas wie die | |
zwielichtigen Paria des Betriebs; weil sie selbst noch ein Manuskript in | |
der Schublade haben. Wie all die anderen Insassen des Literaturbetriebs | |
auch. | |
Thomas Wohlfahrt, Leiter der Literaturwerkstatt Berlin, die den Wettbewerb | |
seit 21 Jahren veranstaltet, erinnert sich mit Grauen an die ersten | |
Ausgaben des Open Mike, als die Auftritte einiger Autoren oft | |
„Publikumsbeschimpfungen“ glichen, als viele Autoren es es noch nicht als | |
Teil ihres Jobs sahen, ihre Texte so „professionell“ vorzutragen wie die | |
Teilnehmer der letzten Jahre. | |
## Solidarische Teilnehmer | |
Als man betrunken im Majakowskiring spätabends noch in die Sauna des Hauses | |
ging. In dieser Nachwendezeit schienen manche Autoren zu demonstrieren, | |
dass sie nur gezwungenermaßen – fürs Geld – an einem Betrieb teilnahmen, | |
den sie eigentlich verachteten. Das derzeitige | |
Literaturnachwuchsförderungssystem mit den vielen Preisen, | |
Literaturhäusern, den ganzen Institutionen, durch die man marschieren kann, | |
gab es damals allerdings noch nicht. | |
Zugleich ist das Berufsbild des Schriftstellers demokratischer geworden; es | |
war schön, wie solidarisch die Teilnehmer miteinander umgingen, wie | |
konzentriert die etwa 250 Zuschauer im meist voll besetzten schummrigen | |
Saal des Heimathafen Neukölln zuhörten. Egal. | |
Etwa 600 hatten sich für den Open Mike beworben. 22 waren eingeladen | |
worden. Mehr als die Hälfte von ihnen lasen so fehlerlos wie die | |
Literaturvorleser des Deutschlandfunks. Ein Autor – René Weisel, der als | |
„Nouveaubéton“ im „sogenannten Internet“ schreibt, thematisierte das | |
literarische Schreiben in demselben. Die viel beklatschte Geschichte eines | |
anderen – Michael Wolf – spielte in der Hildesheimer Schreibschule. Juroren | |
finden es, glaube ich, nicht so gut, wenn die Albernheiten des eigenen | |
Betriebs thematisiert werden. Viele der Autoren verdienen ihr Geld in | |
anderen Berufen. | |
Zusammenfassend wurde am Ende gelobt, dass sich die Teilnehmer wieder mehr | |
um politische Dinge kümmerten und sich für prekäre Verhältnisse und | |
„Randgruppen“ interessierten. Gekifft wurde in etwa der Hälfte der Texte. | |
Afghanistan und Sniper vom Maidan tauchten auf in einer Geschichte von | |
Simone Kanter. Die mit 2.000 Euro prämierte Geschichte „Die Holzmieten“ von | |
Mareike Schneider handelt vom Tod des Großvaters; Robert Stripling, der | |
passend zum 9. November mit einem roten Schal auftrat, bekam die gleiche | |
Summe für seine schönen „Prosagedichte“. | |
Den mit 3.500 Euro prämierten ersten Preis gewann Doris Anselm mit ihrer | |
Geschichte „Die Krieger des Königs Ying Zheng“, die in sympathischer | |
Jugendsprache von Jugendlichen handelt, die im Shoppincenter rumhängen, und | |
das Problem ist, dass das Center leider zumacht. „Ich kann mir jetzt den | |
Open-mike-Stempel schnitzen und den auf alles pappen, was ich in den | |
nächsten drei Jahren irgendwo hinschicken werde. Das ist einfach das | |
Hauptding“, sagte die aus Buxtehude stammende Autorin, die in Berlin als | |
Radioreporterin arbeitet. | |
10 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
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