| # taz.de -- Literaturhaus Berlin: Doppelspitze mit neuem Spielraum | |
| > Das Literaturhaus wagt mit den neuen Chefinnen Janika Gelinek und Sonja | |
| > Longolius einen Neustart. Es könnte turbulent werden. | |
| Bild: Die neuen Chefinnen: Janika Gelinek und Sonja Longolius | |
| Es war der perfekte Ort, bildungsbürgerlichen Besuch aus dem Westen zum | |
| Pastinakensüppchen mit Birneneinlage einzuladen und ihm weiszumachen, | |
| Berlin sei gar nicht so provinziell, sondern mindestens so mondän wie Paris | |
| oder London. Als es 1986 von dem Literaturwissenschaftler und -kritiker | |
| Herbert Wiesner gegründet wurde, war das Literaturhaus in der Fasanenstraße | |
| das erste seiner Art in ganz Deutschland – der bis heute mächtigste | |
| „Konkurrent“ in dieser Stadt, das Literarische Colloquium in Wannsee, | |
| fungierte damals noch eher als Klubhaus für Schriftsteller. | |
| Vieles, was bis heute so weltläufig wirkt am Literaturhaus, ist Herbert | |
| Wiesner zu verdanken, denn als Generalsekretär des PEN setzte er sich stets | |
| für exilierten und inhaftierte Autoren ein. So konnte es durchaus | |
| vorkommen, dass man besagten Westbesuch auf Stammgäste wie | |
| Nobelpreisträgerin Herta Müller oder den chinesischen Autor Liao Yiwu | |
| hinweisen durfte, der nach seiner Ausreise nach Deutschland 2010 öfter sein | |
| Nachmittagsbier im Wintergarten der Stadtvilla bestellte. | |
| Nun aber stehen die Zeichen auf Anfang in dieser altehrwürdigen | |
| Westberliner Institution, denn nachdem der Lyriker Ernest Wichner 14 Jahre | |
| lang das Haus im Geiste Herbert Wiesners leitete, stellten sich am | |
| Mittwochvormittag in der Fasanenstraße zwei neue Chefinnen vor. Gleich von | |
| Anfang an soll klargestellt werden: Nichts von dem wird angetastet, wofür | |
| das Haus in den letzten 30 Jahren stand – nicht einmal die klassischen | |
| Wasserglaslesungen. Trotzdem soll es gleichsam in eine Art neuen | |
| Aggregatzustand überführt werden. | |
| Janika Gelinek und Sonja Longolius, geboren 1979 und 1978, sind bislang | |
| unbeschriebene Blätter im Literaturbetrieb – sie stellen sich beim | |
| Pressetermin sympathischerweise als ehemalige Kreuzberger WG-Genossinnen | |
| vor, die bislang als freie Lektorinnen, Rezensentinnen und | |
| Ausstellungsmacherinnen unterwegs waren. Kein Wunder, dass sie | |
| enthusiastisch bis stürmisch wirken, gerade mal seit zehn Tagen im Amt, wie | |
| sie da vor der Presse ihre tausend Ideen anreißen. | |
| In spielerischer Anlehnung an die bunte Geschichte des Hauses stellen sie | |
| sechs neue Programmpunkte vor. Einer davon heißt beispielsweise | |
| „Freudenhaus“, es soll eine Art Spielraum für neue Literaturformate werden. | |
| Zitiert wird damit, dass das Gebäude vor seiner Zeit als Literaturhaus als | |
| Diskothek und Bordell genutzt wurde – in den 1960er Jahren bekam es einmal | |
| schlechte Presse, weil dort ein Jungelefant in eine Stripshow involviert | |
| wurde, der später an einer Lungenentzündung starb. | |
| Eine der interessantesten Reihen, die Gelinek und Longolius gerade | |
| konzipieren, wird „Berlin als Schaffensort“ heißen und sich noch mehr all | |
| jenen Autoren widmen, die schon immer in dem Haus einen Anknüpfungspunkt | |
| fanden, die aber immer zahlreicher werden in dieser Stadt: Autoren im Exil, | |
| Autoren auch, die aus allen möglichen Gründen in Berlin hängen bleiben. Zum | |
| Frühlingsfest am 20. und 21. März, wenn sich das neue Haus erstmals dem | |
| Publikum präsentiert, haben die beiden den syrischpalästinensischen | |
| Lyriker, Schriftsteller und Journalisten Ramy Al-Asheq gebeten, eine neue | |
| Reihe vorzustellen. Er wird mit anderen Berliner AutorInnen aus dem | |
| arabischsprachigen Raum über Lieblingsbücher diskutieren. Janika Gelinek | |
| freut sich sehr, dass Al-Asheq die Reihe am liebsten mit einem seiner | |
| Lieblingsbücher beginnen würde – und das sei kein arabisches, sondern eines | |
| von Herta Müller. | |
| Das passt natürlich wunderbar zu einem Neuanfang, wie er den beiden Neuen | |
| vorschwebt – einem Neuanfang, der den Hut vor dem Bewährten zieht. | |
| 10 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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