# taz.de -- Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Gefühlsarmut im Nordosten | |
> Zwischen Ueckermünde und Wismar gibt es einfach kein polarisierendes | |
> Thema. Sagen selbst die Parteien. Ein Wahlkampf zum Wegbleiben. | |
Bild: So sehen Sieger aus: Ministerpräsident Erwin Sellering wird wohl auch na… | |
SCHWERIN taz | Mecklenburg-Vorpommern wählt. Wie es am 4. September | |
ausgeht, ist absehbar: Die SPD gewinnt. Ministerpräsident Erwin Sellering, | |
ein freundlich-jovialer Sozialdemokrat aus dem Ruhrgebiet, kann entweder | |
mit der CDU weiterregieren oder mit der Linkspartei koalieren. | |
Am Montagabend debattieren die Spitzenkandidaten in Schwerin auf Einladung | |
der Schweriner Volkszeitung: der populäre Sellering (SPD), | |
CDU-Innenminister Lorenz Caffier, Linkspartei-Oppositionsführer Helmut | |
Holter und die Kandidaten von Grünen und FDP. Fünf Männer, alle mit | |
gestreiften Krawatten, nur Holter trägt eine unifarbene. Was bei der | |
Debatte eher fehlt, ist das Volk. Knapp 80 Zuschauer sind gekommen. Zieht | |
man die übliche Politiker-Entourage aus Bodyguards, Spin-Doktoren und | |
Mitarbeitern ab, wollen drei Dutzend Bürger etwas vom Wahlkampf wissen. Wer | |
sich für die Krise der Parteiendemokratie interessiert, ist hier richtig. | |
Nirgends sind die Löhne so niedrig wie in Mecklenburg-Vorpommern. Rund | |
6.000 Euro jährlich verdient man zwischen Ueckermünde und Wismar weniger | |
als im Bundesdurchschnitt. Die Linkspartei fordert ein Vergabegesetz mit | |
Mindestlöhnen von zehn Euro. SPD und CDU haben zwar bereits verfügt, dass | |
Firmen, die Landesaufträge wollen, Tarifgehälter zahlen müssen. Die | |
Linkspartei will, wie die SPD auch, dass diese Firmen auch Mindestlöhne | |
zahlen müssen. Die CDU bremst. | |
## Man betont Gemeinsamkeiten | |
Holter ist kein großer Redner, er klingt schnell schroff. Das Sachliche | |
liegt ihm mehr als die Zuspitzung. Beim Thema Lohn ruft er indes, dass sich | |
"die SPD endlich aus den Fesseln der CDU befreien muss". CDU-Mann Caffier | |
kontert, dass die Linkspartei keinen Grund hat, "von Befreiung zu reden". | |
Das ist an diesem Abend der rhetorischen Höhepunkt. Ansonsten betont man | |
lieber Gemeinsamkeiten. | |
Im Osten hält man nicht viel von den marktschreierischen | |
Abgrenzungsritualen der Parteien im Westen. Das ist ein Erbe der | |
friedlichen Revolution 1989. Doch dieser Wahlkampf ist noch ruhiger als | |
üblich. "Es gibt", so ein SPD-Spitzenpolitiker, "einfach kein | |
polarisierendes Thema." Auch dass die große Koalition regiert, dämpft die | |
Affekte. 2006 lag die Wahlbeteiligung bei fast 60 Prozent. Diesmal könnte | |
es weniger werden. | |
## Schulpolitik als Streitpunkt | |
Für Streit eignet sich in den Ländern stets die Schulpolitik. SPD und | |
Linkspartei wollen acht Jahre gemeinsames Lernen, die CDU will das nicht. | |
Doch das Muster "links-egalitär versus konservativ-leistungsorientiert" | |
passt nicht so richtig. Sellering meint, man brauche nicht schon wieder | |
eine Schulreform. Der Grüne Jürgen Suhr ist, nach dem Hamburger | |
Schulreform-Debakel, skeptisch. Auch Holter will "Ruhe im Schulsystem". Und | |
Christdemokrat Caffier betont, dass die CDU in Schulfragen ja sehr flexibel | |
geworden ist. | |
Auffällig ist, dass sich Sellering und Holter, den viele für einen | |
lupenreinen Sozialdemokraten halten, noch am meisten beharken. Holter will | |
mehr öffentlich geförderte Beschäftigung und mehr Lehrer - beides gute | |
sozialdemokratische Ideen. Sellering wehrt ab: Man werde keinesfalls, wie | |
die Linkspartei, neue Schulden machen. Holter kontert, dies sei eine | |
"unredliche Unterstellung". In der Tat hat Rot-Rot 2002 den Schuldenabbau | |
initiiert - nicht die CDU. | |
Sellering runzelt fast reflexhaft die Stirn, wenn Holter redet. Offenbar | |
will die SPD in Schwerin lieber störungsfrei mit der CDU regieren als mit | |
der Linkspartei darum konkurrieren, wer sozialdemokratischer ist. | |
Nach zwei Stunden ist die Debatte vorbei, ohne Publikumsfragen. "Typisch", | |
sagt ein grauhaariger Mann, "die Bürger dürfen nichts sagen." "Moment, | |
laufen Sie nicht weg", ruft Ministerpräsident Sellering. Doch da eilt der | |
potenzielle Wähler schon zum Ausgang. | |
17 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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