| # taz.de -- Lachen über Minderheiten: Was ist denn hier bitte komisch? | |
| > Die Comedy-Szene debattiert, ob man Witze über Minderheiten machen darf. | |
| > Im Schweizer Fernsehen wagt die Show „Tabu“ einen Vorschlag. | |
| Bild: Cast aus Renato Kaisers Show „Tabu“ | |
| Es passiert ganz nebenbei, direkt am Anfang der Unterhaltung. Auf der | |
| Terrasse, in intimer Atmosphäre. Renato Kaiser, der Moderator, sieht seinem | |
| Gegenüber in die Augen und fragt ihn, welche Krankheit er eigentlich habe. | |
| „Zunächst einmal ist es keine Krankheit, sondern eine Behinderung“, | |
| antwortet Jochi Röthlisberger, der eine Arthromyodisplasie multiplex | |
| congenita hat, eine Gelenkversteifung der Arme, die die Muskelentwicklung | |
| hemmt. | |
| Röthlisberger selbst nennt es eine T-Rex-Behinderung. Renato Kaiser senkt | |
| den Kopf und lacht verlegen. „Siehste, schon passiert“, sagt er, | |
| „Entschuldigung“, Jochi Röthlisberger grinst. „Macht gar nix“, er kenn… | |
| schon. | |
| Peinlich, einerseits. Aber eben auch ein Moment, der zeigt, wie man mit | |
| Unwissenheit umgehen kann. „Ich bin froh, dass das nicht rausgeschnitten | |
| wurde. Nicht nur, damit man sieht, dass mir das passiert ist. Sondern auch, | |
| weil das eben vielen immer wieder mal passiert.“ | |
| „Tabu“ heißt dieses Format im Schweizer Fernsehen, eine Sendung über | |
| Themen, über die man nicht lacht. Vier Tage lang setzt sich Renato Kaiser, | |
| Komiker und Spoken-Word-Künstler, mit drei Personen in irgendeine | |
| Berghütte, sie kochen zusammen, machen Ausflüge, unterhalten sich, frotzeln | |
| auch viel. Es sind Menschen, die zu diskriminierten Gruppen gezählt werden | |
| – körperlich behinderte, unheilbar kranke oder von Armut betroffene | |
| Menschen, Personen mit Adipositas oder Personen aus der LGBTQ-Community. | |
| Zwischendrin gibt es immer wieder so was wie Quality-Time, Zwiegespräche | |
| zwischen Kaiser und dem Gast, in denen Renato Kaiser sich von den | |
| Erlebnissen, Sorgen, Freuden und Ansichten berichten lässt. | |
| ## Welche Witze sind okay? | |
| Am Ende macht er ein Stand-up daraus. In der ersten Reihe sitzen auch | |
| ebenjene Personen, mit denen er zuvor die Zeit verbrachte. Das Format hat | |
| der SRF aus Belgien übernommen, am Sonntag läuft die fünfte und finale | |
| Folge der ersten Staffel. Die Quoten sind übersichtlich, obwohl das Thema | |
| hochaktuell ist. Denn die Sendung verhandelt eine Frage, die gerade viele | |
| Comedians umtreibt. Es wird seit Jahren immer mehr und immer lauter | |
| debattiert, wie Teilhabe von Randgruppen aussehen könnte, auch in der | |
| Comedy-Szene: Welche Witze sind okay, wie macht man einen okayen Witz, was | |
| zeichnet ihn aus? | |
| Im deutschen Fernsehen gehen zum Beispiel mit einem ganz ähnlichen Format | |
| Micky Beisenherz und Oliver Polak der Frage nach, „Das Lachen der Anderen“ | |
| heißt die Sendung. Auch hier besuchen die beiden Hosts Personen, die | |
| irgendwie einer Randgruppe zugeordnet werden. Die Auswahl folgt keiner | |
| sichtbaren Systematik, es geht immer irgendwie um Gezeichnete: | |
| kleinwüchsige Menschen, MS-Kranke, Adelige, Klosterinsassen, Menschen mit | |
| Downsyndrom. Irgendwie kann jeder Randgruppe sein, warum auch immer, | |
| jedenfalls dann, wenn Beisenherz und Polak das entschieden haben und es | |
| irgendwie auch witzig finden. | |
| Anders als in „Tabu“ gehen Polak und Beisenherz dorthin, wo die Menschen | |
| leben und arbeiten. Sie besuchen sie in deren Leben, stellen ein paar | |
| Fragen und hauen dann wieder ab. Auch diese Sendung hat ihre Momente, immer | |
| dann, wenn die beiden über ihre ausgestellte Jugendlichkeit und Hippness | |
| stolpern und nicht mehr richtig weiterwissen. | |
| Aber am Ende haben sich eben zwei junggebliebene Männer dabei filmen | |
| lassen, wie sie möglichst easy etwas Krasses machen. Und dieses Krasse, das | |
| sind eben irgendwelche Menschen, von denen man nicht weiß, wie sie Sex | |
| haben oder wohnen. Es hat was von „Expedition ins Ungewisse“. Am Ende | |
| erfährt man mehr über Polak als über die Menschen, die er besucht hat; | |
| wahrscheinlich ist ihm das gar nicht so unrecht. | |
| ## Charmant und uneitel | |
| Das besondere, das neue auch an „Tabu“ ist, dass sich die Sendung für die | |
| einzelnen Menschen interessiert, und nicht nur für das, was an ihnen nicht | |
| der Normalität entspricht. „Das Format ist keine Abhandlung über die | |
| Tabuthemen“, sagt Kaiser. „Wir orientieren uns am Menschen. Die Menschen | |
| erzählen, wir hören zu. Es gibt keine Stimme aus dem Off, es gibt keine | |
| Erklärung oder Relativierung. Die Einordnung wird dem Publikum zugemutet, | |
| aber auch zugetraut.“ | |
| Das klingt gut, ist aber auch elegant zurechtgebogen. Durch die vielen | |
| Gespräche, durch das Zeigen eines (Urlaub-)Alltags rücken tatsächlich die | |
| Protagonisten in den Vordergrund, die sich im übrigen recht oft über den | |
| unwissenden Host lustig machen. Es ist ein großes Glück, dass Kaiser so | |
| charmant wie uneitel ist. Die herzliche Atmosphäre, die die ganze Sendung | |
| trägt, hebt sich angenehm ab von anderen Comedy-Formaten, die immer nur das | |
| krasse, disruptive Moment suchen, den schlagzeilenträchtigen Tabubruch. | |
| Dadurch aber tritt auch in den Hintergrund, was an einer Behinderung | |
| mitbehindert: die Gesellschaft, in Form von bürokratischen Zumutungen, die | |
| Erwartungen, fehlende oder unzureichende Hilfen, das Kleinklein der | |
| Sozialpolitik und des Alltags. In dieser Hinsicht ist es eine sehr basale | |
| Sendung, die in erster Linie einfach Menschen zeigen will, die irgendwie | |
| anders sind – aber halt auch nicht zu sehr. „Es war uns wichtig“, sagt | |
| Kaiser, „dass die Leute Fernsehen können, also dass sie eigenverantwortlich | |
| handeln können, dass sie überblicken können, was sie sagen, welchen Effekt | |
| das haben könnte, auch in ihrer Community.“ | |
| ## Nicht jede Pointe sitzt | |
| Am Ende bleibt „Tabu“ eine Comedy-Sendung, deswegen dreht sie sich | |
| letztlich um die Frage, was ein guter Witz ist, was ihn ausmacht. „Tabu“ | |
| ist dadurch auch ein Werkstattbericht über die Verfertigung der Pointe beim | |
| Erleben. Dass die Pointen im abschließenden Stand-up nicht alle sitzen, ist | |
| da sogar ein Gewinn; man weiß schon, warum dieses oder jenes nicht geklappt | |
| hat, oder wo es noch ein bisschen hakt. Es gehe nicht um die brachialste | |
| Pointe, sagt Kaiser, es gehe um Legitimierung. | |
| „Die Frage ist nicht nur: Darf der das? Darf der Renato Kaiser jetzt einen | |
| Witz übers Blindsein machen? Die Frage ist eben auch: Kann der das? Ist da | |
| was interessantes dran an dem Witz? Ein Teil der Arbeit an einem | |
| Stand-up-Programm ist, sich eine Meinung zu bilden, eine Haltung zum Thema | |
| zu haben. Das ist auch wichtig für mich gewesen, denn ich muss mir sicher | |
| sein, zumindest sicher genug. In der Comedy redet man viel von Timing. Das | |
| gilt meiner Ansicht nach universaler als vielfach gemeint. Nicht nur auf | |
| der Bühne, sondern auch beim Schreiben ist wichtig: wie und wann. Zuerst | |
| zuhören, dann nachdenken, dann Witze machen.“ | |
| Die Möglichkeit des Missverständnisses, des Scheiterns auch, ist da mit | |
| eingebaut. Humor sei kein Allheilmittel, sagt Kaiser, und es sei | |
| illusorisch zu denken, dass ein Witz eine endgültige, unumstößliche Antwort | |
| geben könne auf die Frage, wie man miteinander umgehe. Darum geht es ja | |
| auch in der Inklusion: sie ist ein fortwährender Prozess, der nie | |
| abgeschlossen werden kann. „Was geht und was nicht, wird immer wieder neu | |
| ausgehandelt. Und zwar auch mit den Betroffenen.“ | |
| 15 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Frédéric Valin | |
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| Shahak Shapira | |
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