Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kritik an russischem Schachfunktionär: Rüge für den Chef
> Der russische Fide-Präsident Arkadij Dworkowitsch wird von der
> Ethikkommission des Schachweltverbands wegen seiner Kreml-Nähe
> sanktioniert.
Bild: Dworkowitsch stellt den russischen Nachwuchs in Moskau beim Simultanschac…
Die Ethik- und Disziplinarkommission des Schachweltverbandes Fide (EDC)
machte in der Vergangenheit nicht immer den Eindruck, gänzlich unabhängig
von der Verbandsspitze zu agieren. In der [1][Betrugsaffäre um Hans Niemann
und Magnus Carlsen] etwa hielt sie einen Untersuchungsbericht monatelang
zurück, aus fadenscheinigen Gründen.
Am vergangenen Freitag jedoch gewann sie einen bedeutenden Teil ihrer
Kredibilität als Kontrollgremium des Weltschachs zurück: Sie rügte [2][den
russischen Fide-Präsidenten Arkadij Dworkowitsch] für seine Nähe zum Kreml,
besonders seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022.
Die EDC sperrt zudem den Russischen Schachverband für zwei Jahre von
sämtlichen Fide-Treffen aus.
Die Entscheidung geht auf eine Beschwerde des ukrainischen Schachverbandes,
des ukrainischen Schachspielers Andrii Baryshpolets und des dänischen
Trainers Peter Heine Nielsen zurück. [3][Nielsen, der jahrelang mit Magnus
Carlsen zusammengearbeitet hat,] ist der Ehemann der litauischen
Parlamentsvorsitzenden und prangert schon lange und unermüdlich die
Kreml-Nähe des Fide-Präsidenten an. „Persönlich spüre ich eine große
Erleichterung nach dieser Entscheidung“, sagt Nielsen am Telefon. „Dass
sich Dinge wirklich ändern, glaube ich aber nicht. Ich möchte, dass die
Schachverbände handeln.“ Baryshpolets und Nielsen hatten im Juli 2022
gemeinsam gegen Dworkowitsch um das Präsidentenamt kandidiert, waren aber
chancenlos.
Die Vorwürfe, die sie nun gegen Dworkowitsch zusammentrugen, sind
zahlreich. Für sanktionswürdig hält die EDC einzig die Mitgliedschaft des
Fide-Präsidenten in einem Kuratorium des Russischen Schachverbandes, dem
unter anderem auch der langjährige Verteidigungsminister Sergej Shoigu und
der Kremlsprecher Dmitrij Peskow angehören. Dafür müsse er „kritisiert und
sanktioniert“ werden, schreibt die EDC in ihrer Entscheidung: „Herr
Dworkowitsch wird hiermit aufgefordert, von seinem Amt in dem Kuratorium
innerhalb von 60 Tagen zurückzutreten.“
## Schaden für das Ansehen des Verbandes
Die EDC begründet die Rüge gegen den Präsidenten mit dem Schaden, den er
dem Ansehen der Fide zufüge. Vom Russischen Verband erwartet die
Ethikkommission, dass er das Kuratorium entweder auflöst oder die
international sanktionierten Kriegsbefürworter daraus entlässt. Als
ebenfalls strafwürdiges Verhalten bewertet die EDC, dass der russische
Verband Schachturniere in den besetzten Gebieten der Ukraine unter
russischer Flagge austrägt.
Die Verteidigungsstrategien, dass das Gremium weder Entscheidungsgewalt im
russischen Verband habe und man den Menschen in den besetzten Gebieten doch
bloß das Schachspielen ermöglichen wolle, liefen ins Leere. Zumindest
vorerst. Arkadij Dworkowitsch und der Russische Schachverband haben 21 Tage
Zeit, um Einspruch einzulegen. Der russische Verbandspräsident Andrey
Filatov kündigte genau das bereits am Samstag an. Er halte „die
Entscheidung der Fide-Ethikkommission für opportunistisch, politisch
motiviert und diskriminierend gegenüber russischen Schachspielern“ und
werde „weiterhin für die Rechte der russischen Spieler kämpfen“.
Tatsächlich sind weder russische Spieler noch Trainer von der
EDC-Entscheidung betroffen, sie dürfen weiter unter neutraler Flagge an
Turnieren teilnehmen.
Am Montag äußerte sich auch Dworkowitsch gegenüber der staatlichen
russischen Nachrichtenagentur Tass. Er wolle in Berufung gehen – und:
„Sollte die endgültige Entscheidung weder dem Russischen Schachbund noch
mir zusagen, besteht die Möglichkeit, Berufung beim Internationalen
Sportgerichtshof (Cas) einzulegen.“ Kläger Nielsen, der mit seinen Kollegen
ebenfalls eine Berufung erwägt, findet das gut: „Nur eine Cas-Entscheidung
in unserem Sinne würde Fide zwingen zu handeln.“
Fast zwei Jahrzehnte gehörte Dworkowitsch der russischen Regierung an, von
2012 bis 2018 war er stellvertretender Ministerpräsident im Kreml.
Anschließend saß er dem Stiftungsrat des Innovationszentrums Skolkowo vor,
bis er diesen Posten kurz nach Kriegsbeginn verließ. Ebenfalls seit 2018
ist er Fide-Präsident. Mit öffentlichen Statements zum Krieg in der Ukraine
hält er sich zurück, nennt ihn gerne eine „geopolitische Situation“.
Vor einem knappen Jahr feierte er den Internationalen Schachtag in Moskau,
Fotos zeigen ihn unter anderem gemeinsam mit Kremlsprecher Dmitrij Peskow.
„Das blamiert Schachspieler auf der ganzen Welt“, findet Nielsen. Bei der
Fide-Generalversammlung im Dezember 2023 stimmte die überwältigende
Mehrheit indes für eine Aufhebung der Begrenzung von zwei Amtszeiten pro
Präsident. Damit kann Dworkowitsch 2026 erneut antreten.
Der Deutsche Schachbund (DSB), der als einer von wenigen die
Präsidentschaftskampagne von Baryshpolets und Nielsen vor zwei Jahren
unterstützt hatte, teilte mit, Präsidentin Ingrid Lauterbach habe mit
Nielsen über eine Beteiligung des DSB an der Beschwerde vor der EDC
gesprochen. Letztlich habe man sich aber dagegen entschieden. Einige der
Vorwürfe habe sie als zu weit hergeholt empfunden, erklärt Lauterbach. „Wir
begrüßen die Entscheidung der Ethikkommission“, sagt die DSB-Präsidentin.
„Die enge Nähe zwischen Kreml und Fide ist einfach toxisch.“ Mit
Konsequenzen freilich rechne sie nicht. „Ich glaube, der Masse der
Fide-Mitglieder ist das völlig egal.“ Stattdessen befürchtet Lauterbach, es
werde Versuche geben, die Befugnisse des EDC künftig zu begrenzen.
12 Jun 2024
## LINKS
[1] /Skandalsport-Schach/!5887522
[2] /Schach-Weltverband-in-der-Kritik/!5980969
[3] /Schach-Fluesterer-wechselt-die-Seiten/!5067276
## AUTOREN
David Kulessa
## TAGS
Schach
Russland
Sanktionen
Kolumne Russisch Brot
Lesestück Recherche und Reportage
Kolumne Russisch Brot
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schachspieler im Exil: Raus aus Russland
Immer mehr Schachspieler wechseln seit dem Krieg in der Ukraine zu anderen
Verbänden. Einige positionieren sich gegen die russische Regierung.
Schach und Krieg in der Ukraine: Die Kiewer Eröffnung
Im Park wird Schach gespielt, ob im Krieg oder Frieden. Doch manch großer
Meister ist ins Ausland abgewandert, und der Schach-Chef ist an der Front.
Sport als Propagandavehikel in Russland: Politische Schachzüge
Großmeister Sergei Karjakin ist ein wichtiger Propagandist für die
russische Kriegserzählung. Dabei setzt er immer auch seine Biografie ein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.