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# taz.de -- Schachspieler im Exil: Raus aus Russland
> Immer mehr Schachspieler wechseln seit dem Krieg in der Ukraine zu
> anderen Verbänden. Einige positionieren sich gegen die russische
> Regierung.
Bild: Alexandra Kostenjuk (l.) spielt mittlerweile für den Schweizer Schachver…
Der Massenexodus reißt nicht ab, nachdem 2022 bereits rund 100
Schachspitzenspieler aus Russland die Föderation beim Weltverband Fide
wechseln ließen. 2023 haben sich schon wieder an die 100 Spieler
umgemeldet.
Ursache für die früher undenkbare Abwanderung aus dem führenden Schachland
ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Einen offenen Brief
dagegen unterzeichneten 44 mutige Prominente der Szene, darunter Jan
Nepomnjaschtschi, [1][der den WM-Titel gegen den Chinesen Ding Liren] fast
zurück in die früher angestammte Heimat Russland geholt hätte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschten die Sowjets und Russland Schach wie
keine andere Sportart. Sie stellten von 1948 mit Michail Botwinnik bis ins
Jahr 2007 mit Wladimir Kramnik alle offiziellen Weltmeister – bis auf die
Jahre 1972 bis 1975, als der US-Amerikaner Bobby Fischer [2][im „Kampf des
Jahrhunderts“ Boris Spasski den Titel entriss]. Der Sieg auf Island
elektrisierte die Welt und war ein Schock für die Kommunisten. Sie sahen
ihre Dominanz im Denksport als Beleg für die „geistige Überlegenheit des
Proletariats“. Deshalb genossen Großmeister in der UdSSR hohes Ansehen und
wurden privilegiert behandelt.
## Ein Ass aus Russland
Aktuell fehlt auf der Unterzeichner-Liste erwartungsgemäß der ehemalige
[3][Schnellschach-Weltmeister Sergej Karjakin]. Der einst jüngste
Großmeister der Welt, der am 12. August 2002 mit zwölf Jahren und sieben
Monaten den Titel errang und auf der Krim aufwuchs, gilt als glühender
Putin-Verehrer.
Nachdem er die Annexion der Krim 2014 begrüßt hatte, tat der gebürtige
Ukrainer dasselbe bezüglich des Krieges via Twitter – und verhöhnte die
Opfer in einem offenen Brief. Das war sogar der Ethik-Kommission der Fide
zu viel. Sie sperrte Karjakin 2022 für ein halbes Jahr, was ihn eine
mögliche zweite Qualifikation für einen WM-Zweikampf kostete.
Beschleunigt hat den Massenexodus noch ein Eigentor des russischen Verbands
im Februar: Er schloss sich wegen der Probleme mit der Europäischen
Schachunion dem asiatischen Kontinentalverband an. Die Fide reagierte,
indem sie russischen Spielern die Möglichkeit einräumte, weiter ein
europäisches Land zu repräsentieren. Der Wechsel erfolgt dabei ohne
Transferzahlungen. Das nutzten nun einige gerne, um sich ein Ass aus
Russland zu angeln.
## Eisiges Schweigen
Vor allem die in Russland gebliebenen Großmeister kommentieren das lieber
nicht. Es herrscht eisiges Schweigen. Ein Topspieler gab hinter
vorgehaltener Hand zu, es sei derzeit besser, nichts zu sagen.
Fide-Präsident Arkadi Dworkowitsch, der als Putin-Günstling gilt, äußerte
sich auf Anfrage auch nicht zur großen Abwanderungswelle.
Ex-Weltmeisterin Alexandra Kostenjuk, die mit dem russischen Frauen-Team
viermal Europameister wurde, wollte sich wegen des Krieges der Schweiz
anschließen. Dort lebt die 39-Jährige schon lange und konnte wegen ihres
Wohnsitzes auch als erste Frau 2013 Meister der Schweiz werden. Zu Beginn
des Krieges initiierte Kostenjuk den offenen Brief der Schach-Promis mit
und verließ aus Protest den russischen Verband.
Zunächst spielte sie unter neutraler blauer Fide-Flagge: „Gens una sumus“
(Wir sind eine Familie) prangt darauf. Nachdem der Weltverband seinen
russischen Familienmitgliedern kostenlose Transfers ermöglichte, schloss
sich die Weltranglistensiebte umgehend den Eidgenossen an. Ansonsten hätte
ihr neuer Verband 10.000 Dollar berappen müssen, heißt es auf Wikipedia.
## Spitzensportler müssen den Krieg unterstützen
Gar 50.000 Euro wären es laut Nikita Witjugow bei ihm gewesen, wahlweise
eine zweijährige Sperre für Fide-Turniere. Der Weltranglisten-25. gehört
zum erlauchten Kreis der Großmeister mit einer Elo-Zahl von über 2.700.
Nach dem Rating richtet sich die Höhe der Ablöse. Der russische Meister von
2021 zählt zu den wenigen, die gleich zu Kriegsbeginn diesen via Twitter
verurteilten.
Als die Fide ihm am 22. März anbot, unter ihrem Emblem anzutreten, zögerte
der 36-Jährige keine Sekunde. Für den Bundesligaspieler des deutschen
Serienmeisters OSG Baden-Baden war das „ein früher undenkbarer Schritt. Es
war für mich immer die größte Ehre und eine besondere Verantwortung, für
die russische Nationalmannschaft anzutreten“, betont Witjugow. Dem
gebürtigen Sankt Petersburger wurde aber „schnell klar, dass man als
Spitzensportler nur dann in Russland leben kann, wenn die offen
ausgesprochene Meinung zum Krieg lediglich eine unterstützende ist!“
26 Sep 2023
## LINKS
[1] /WM-Sieger-im-Schach/!5928420
[2] /Mythisches-Schachduell/!5873044
[3] /Sport-als-Propagandavehikel-in-Russland/!5846456
## AUTOREN
Hartmut Metz
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