# taz.de -- Konzertempfehlungen für Berlin: Hardcore ins neue Jahr | |
> Gitarrenrock, anatolische Perkussion oder Jazz? Vier Konzerttipps für | |
> alle, denen weniger nach Andacht und Oratorium zumute ist. | |
Bild: Ost-Berliner Urgesteine: Herbst in Peking | |
Weihnachten? Schweihnachten! Unter diesem feingeistigen Motto stieg Anfang | |
der 90er Jahre in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg eine Sause mit | |
Berliner Nachwuchsbands, unter ihnen eine Vorgängercombo des mittlerweile | |
erfolgreichen Volksmusikkollektivs Rammstein. Bis jetzt ist niemand auf | |
die Idee gekommen, ein „Schweihnachten 2.0“ zu veranstalten, dabei ließen | |
sich damit sicher die Verstrahlten der kommenden zwei Festtagswochen | |
einsammeln, die, denen weniger nach Andacht und Oratorium ist. | |
Damals nicht in der Kulturbrauerei dabei, aber ein definitives Gewächs der | |
frühen Neunziger, ist die Hannoveraner Hardcorepunk-Band Urge. Nach langer | |
Pause und einem Konzert in diesem Sommer eröffnen Urge am Donnerstag, dem | |
19. Dezember, die akute Weihnachtssaison im Schokoladen, Berlin-Mitte. Zur | |
Erinnerung: Urge ließen 1990/91 einer EP, der sie übrigens ein Pamphlet von | |
Robin Wood beilegten, ihr bis jetzt einziges Album folgen. | |
Die Band hat mit Brettern und Bolzern wie Fugazi, MDC und den Melvins | |
gespielt, US-amerikanischen Hardcore-Größen, die diesen Stil in den frühen | |
Neunzigern zu einer festen Konstante neben Grunge und Techno werden ließen. | |
## Durstig und elend | |
Und Urge kommen nicht alleine nach Berlin, den Abend bestreitet zusätzlich | |
das in Bremen und Sydney verwurzelte Noiserock-Trio Snob Club. Feingeistig | |
auch hier das Motto des Abends, besinnlich gar: „Thirsty and Miserable“. | |
Die große Schwester weiß, das ist eine 1981er Single von Black Flag, eines | |
der erklärten Vorbilder von Urge. Gut möglich, dass der DJ sie auflegt. | |
Zwei Tage später, am Sonnabend, den 21. Dezember, steht schon wieder | |
Hochgeschwindigkeitsmusik auf dem Programm: Im Au Topsi Pohl, der Laden | |
heißt tatsächlich so, treten Hogir Göregen and Friends auf und werden | |
angekündigt mit „Anatolian music to think and dance to“. | |
Der kurdische Perkussionist Göregen ist bis jetzt auf einer 2018 | |
erschienenen CD des syrischen Komponisten Kinan Azmeh und des US-Chinesen | |
Yo-Yo Ma auf der „Suite for Improviser and Orchestra“ mit dem Deutschen | |
Symphonie-Orchester Berlin zu hören. Wer einige der Musiken von und mit | |
Göregen im Netz gehört hat, wünscht sich, dass es nicht bei dieser einen | |
Veröffentlichung bleibt. | |
Ein YouTube-Clip zeigt Hogir Göregen mit dem Ausschnitt eines Konzerts 2018 | |
in der Kreuzberger It’s a Bar. Das Video dürfte dem angekündigten Auftritt | |
sehr nahe kommen, zu hören und zu sehen gibt es einen verschachtelten | |
Hybrid galoppierender Rhythmen und hineingeschalteter Elektronik. | |
## Andacht für Ketzer | |
Wer als Ketzer dann doch noch zur Andacht möchte, gehe am Sonnabend darauf, | |
am 28. Dezember, in das Ballhaus Berlin in Mitte. Kurz vor einer der | |
ehemaligen Sektorengrenzen feiert die Berlinisch-Mecklenburgische Band | |
Herbst in Peking ihr neues Album „Kismet Radio“. Auf ihm findet sich ein | |
kurzes Stück urbanen Field Recordings: „Zürich bei Nacht“ fängt einen | |
namenlosen, aber stimmgewaltigen Prediger ein, der einen Hagelsermon | |
abfeuert, während die Schweizer Großstadt an ihm vorüberzieht. | |
Um den Apostel der letzten Tage haben Herbst in Peking ein Dutzend Songs | |
zwischen Elektrobeats und Gitarrenrock gruppiert. Dichter wie Paul Celan | |
und Krzysztof Niewrzęda kommen zu Wort, die Dichterin Ann Cotten spielt | |
Querflöte. Imaginäre Nachrichten und „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ v… | |
Ton Steine Scherben stoßen hinzu und erzeugen einen Groove des Unbehagens. | |
Auch Herbst in Peking kommen nicht alleine, mit ihnen auf der Bühne stehen | |
Dim Locator um den britischen Songwriter Phil Shoenfelt. Die große | |
Schwester weiß: Dim Locator, so hieß ein Song der australischen | |
Noise-Blues-Band The Birthday Party, deren Gitarrist und Songwriter Rowland | |
S. Howard vor zehn Jahren, Ende Dezember 2009, gestorben ist. By the way | |
lässt sich zum Ende einer Birthday-Party-LP Howard gar am Saxofon | |
vernehmen, während Nick Cave eine seiner damaligen Unterweltsmessen abhält. | |
Ein metallischer Hauch von Jazz-Punk könnte in der Luft liegen, wenn | |
pünktlich am 1. Januar 2020 im Sowieso in der Neuköllner Weisestraße ein | |
Quartett auftritt: Brad Henkel und Axel Dörner an den Trompeten, Jan Roder | |
am Kontrabass und Dag Magnus Narvesen hinterm Schlagzeug. Das Tolle an | |
solcher Musik ist ja, dass keiner so recht vorher weiß, was passieren wird. | |
Gesichert sind vergangene Auftritte Dörners mit den holländischen | |
Experimentalpunks The Ex wie seine Thelonious Monk-Interpretationen mit Die | |
Enttäuschung und Alexander von Schlippenbach. Ein Mitstreiter | |
Schlippenbachs, der Free-Jazz Cellist Tristan Honsinger, wird den Abend | |
eröffnen. Alles Weitere vor Ort im Jahr mit der Null hinten, die da | |
anzeigt: Auf ein Neues! | |
20 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
## TAGS | |
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