# taz.de -- Kolumne Stadtgespräch: Rote Nelken für Nemzow | |
> Vor zwei Jahren wurde Boris Nemzow ermordet. Ein Häuflein Unbeirrbarer | |
> erhält das Gedenken an den russischen Oppositionellen aufrecht. | |
Bild: Improvisiertes Gedenken: Die Hintergründe des Mordes an Boris Nemzow sin… | |
MOSKAU taz | Die Eimer mit Blumen auf der Großen Steinbrücke direkt | |
gegenüber vom Kreml sind immer prall gefüllt. Meist sind es Nelken und | |
Rosen, in Rot und Weiß, die die Passanten zu dem kleinen Schrein bringen, | |
der an die Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow vor | |
zwei Jahren erinnern soll. Eine Frau steckt gerade zwei Rosen in einen | |
Kübel und bleibt kurz vor den Porträts des Oppositionellen stehen, bevor | |
sie weiterläuft. | |
Rentnerin Marina hält vor der provisorischen Gedenkstätte Wache. Dreimal | |
die Woche bei Wind und Wetter steht sie eingemummt wie eine | |
Arktisforscherin auf der zugigen Brücke und passt auf, dass niemand Nemzows | |
Gedenken schändet. Die Behörden lehnten es bisher ab, die Brücke | |
umzubenennen und am Tatort eine Gedenktafel für den bekanntesten russischen | |
Oppositionellen anzubringen. Marina ist eine von zwanzig Aktivisten, die | |
die Stätte seit zwei Jahren in jeweils einer Tag- und Nachtschicht | |
betreuen. | |
Wenn sie mal nicht aufpassten, verschwänden Blumen und Fotos sofort, meint | |
Mitstreiterin Galina. „Die Abräumer kommen am liebsten nachts, wenn es | |
keine Zeugen gibt“, sagt die junge Frau. Sie gehört keiner politischen | |
Partei an, hält es jedoch für ihre Pflicht, die Erinnerung an ein „anderes | |
Russland“ zu bewahren. | |
Galina zeigt auf einen roten Punkt 150 Meter entfernt über der Kremlmauer. | |
Von dort überwacht eine Kamera das Geschehen auf der Brücke. In der | |
Tatnacht vom 27. zum 28. Februar 2015 waren die Kameras in Moskaus höchster | |
Sicherheitszone eigentümlicherweise etwas störanfällig. | |
Die mutmaßlichen Mörder und Helfershelfer wurden damals dennoch schnell | |
gefasst. Fünf Verdächtigen wird jetzt in Moskau der Prozess vor einem | |
Militärgericht gemacht. Alle Angeklagten sind Tschetschenen. Einer diente | |
im Februar 2015 im Bataillon des tschetschenischen Innenministeriums | |
„sever“ (Norden). | |
## Hintermänner bleiben im Dunkeln | |
Inzwischen ist es der 40. Verhandlungstag. Die Causa Nemzow wird in der | |
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Nur wenige Besucher sind im Gerichtssaal | |
zugegen. Gegen drei Verdächtige liegen bislang keine klaren Beweise vor. | |
Nur der mutmaßliche Mörder scheint überführt. | |
Die meisten Beobachter gehen indes davon aus, dass die Angeklagten die Tat | |
ohnehin nur ausführten. Hintermänner und Auftraggeber bleiben wie so oft im | |
Dunkeln. Vor allem, wenn die schwierigen Beziehungen zum tschetschenischen | |
Republikchef Ramsan Kadyrow betroffen sind. | |
Das ist wohl auch der Grund, warum einer der vermeintlichen Drahtzieher, | |
Ruslan Geremejew, stellvertretender Kommandeur des Bataillons „sever“, | |
weder in der Anklageschrift genannt wird noch als Zeuge vor Gericht | |
erschien. Lange zögerte der Richter, ihn vorzuladen. Als er sich dazu | |
durchrang, erschien Geremejew nicht. Offiziell ist er flüchtig, dürfte | |
indes in Tschetschenien zu finden sein. Nemzows Familie und Freunde halten | |
ihn für den Organisator des Komplotts. | |
Die Angeklagten sitzen im Militärgericht in einem Glaskasten mit zwei | |
Kommunikationsschlitzen. „Aquarium“ nennt es der Volksmund. Am 40. | |
Prozesstag geht es um die Handydaten eines der Verdächtigen. Die Anklage | |
will den Nachweis führen, dass einer der Inhaftierten den Politiker über | |
Wochen mit dem Auto verfolgte. Die Staatsanwaltschaft beharrt überdies | |
darauf, dass die Beschuldigten in ständigem Kontakt gestanden und sich auch | |
am Tag des Mordes in der Nähe des Tatortes aufgehalten hätten. Die | |
Verteidigung stellt die Methode der Beweisführung infrage. | |
„Unsere Justiz kann nicht sauber arbeiten“, meint Dmitri Borko, der den | |
Prozess als Menschenrechtler beobachtet. Immer wieder verfiele das Gericht | |
aufs „Konstruieren“. Gereizte Atmosphäre herrscht im Saal. Nicht wegen der | |
Wahrheitsfindung – eher ob des unterschwelligen ethnischen Gegeneinanders. | |
Auch einige Anwälte stammen aus dem Kaukasus. | |
Noch ist ein Urteil nicht abzusehen. „Die Opposition hat ihr Urteil schon | |
erhalten“, sagt Galina draußen auf der Brücke. Mit Nemzow sei auch sie | |
gemeuchelt worden. | |
26 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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