# taz.de -- Opposition in Russland: Trikolore mit Einschusslöchern | |
> Tausende gedenken am Sonntag des Mordes an dem Regimekritiker Boris | |
> Nemzow im Februar 2015. Für Menschenrechtler ist das bereits ein Erfolg. | |
Bild: „Ich liebe Russland!“: Gedenkmarsch für Boris Nemzow am Sonntag in M… | |
Moskau taz | Die Route des Gedenkmarsches für Boris Nemzow durch das | |
Zentrum der russischen Hauptstadt Moskau war diesmal von den städtischen | |
Behörden sogar genehmigt worden. Vor zwei Jahren war der Oppositionelle in | |
unmittelbarer Nähe des Kreml hinterrücks erschossen worden. Vermutlich | |
handelte es sich um einen Auftragsmord, dessen Auftraggeber indes wohl nie | |
ermittelt werden. Die Spur führt in die Kaukasusrepublik Tschetschenien. | |
Vom Puschkinplatz ging es den Strastnoi Boulevard hinunter und dann wieder | |
hoch zu Sacharow, dem Dissidenten und Friedensnobelpreisträger nach dem | |
hier noch immer ein „Prospekt“ benannt ist. Diesen Weg nahm auch Russlands | |
letzte Protestbewegung 2011/12 mit dem ehemaligen Vizepremier Boris Nemzow | |
vorneweg. Zigtausende waren es Ende 2011, die gegen massiven Betrug bei der | |
Dumawahl protestierten. | |
Diesmal kamen immerhin mehr als 15 000. „Das ist ein Erfolg“, meint Oleg | |
Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial. Es seien nicht weniger | |
Demonstranten als im vergangenen Jahr. Auf jeden Fall ist der Marsch die | |
größte Veranstaltung, die das Anti-Putin-Lager seit einem Jahr auf die | |
Beine stellen konnte. Noch immer zieht der charismatische Politiker mehr | |
Menschen an als die heillos zersplitterte Opposition es sonst vermag. Auch | |
im Tod wirkt er noch als Vermittler. | |
Orlows ehemalige Mitarbeiterin, die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa, | |
war 2009 auch einem Meuchelmord in Grosny zum Opfer gefallen. Dieses | |
Verbrechen wurde ebenfalls nie aufgeklärt, da Moskau es tunlichst | |
vermeidet, sich mit dem tschetschenischen Republikchef Ramsan Kadyrow | |
anzulegen. „Egal wer Boris erschossen hat, unsere Machthaber stecken | |
sowieso dahinter“, steht auf einem Transparent. | |
Viele Marschierer halten eine russische rot-blau-weiße Trikolore aus Pappe | |
in die Luft mit fünf Einschusslöchern. Sie symbolisieren jene fünf Kugeln, | |
die Nemzow niederstreckten. „Kugeln, die für jeden von uns sind“, steht auf | |
dem selbstgebastelten Schild einer älteren Frau. | |
## Ungewohnter Freiraum | |
„Russland wird frei sein!“ skandieren viele. Auch das war eine suggestive | |
Formel aus der Zeit des letzten Aufbäumens. „Russland ohne Putin“ gehörte | |
auch noch zu jenem rebellischen Rezitativ, das heute klingt wie aus einer | |
versunkenen anderen Welt. | |
Nemzows Trauermarsch ist nicht nur eine Gedenkveranstaltung. Er bietet den | |
Gegnern des Regimes einen ungewohnten Freiraum, wenigstens kurzfristig | |
daran zu erinnern, dass Russland schon mal einen Schritt weiter war. | |
„Ich bin wegen Boris gekommen, aber auch weil ich es unerträglich finde, | |
mir alles vorschreiben zu lassen“ sagt Ludmila Kolesnikowa. Die rüstige | |
Rentnerin klagt, dass sie weder Mann noch Sohn dazu bewegen konnte | |
teilzunehmen. Die beiden hätten resigniert, meint Ludmila. Dazu könnte das | |
Transparent passen: “Ihr seid mit der Fresse noch nicht über den Asphalt | |
gezogen worden? Dann wartet ab – sie werden noch kommen!“ | |
Jung und Alt haben sich aufgemacht. Im staatlich russischen Fernsehen ist | |
dieser nachdenklichere Menschenschlag aus politischen Gründen schon nicht | |
mehr zu sehen. Nicht zuletzt auch als Antityp zum homo putinus, sozusagen. | |
„Wir warten und bereiten uns vor – 5.11. 1917 “, droht es von einem | |
Sticker, den viele am Revers tragen. Eine Anspielung auf die | |
Oktoberrevolution. | |
26 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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