# taz.de -- Kniefall bei Black-Lives-Matter-Demos: Die Politik der Gestik | |
> Der Kniefall US-amerikanischer Polizist*innen steht in einer langen | |
> Tradition ritueller Symbolik. Kann die Polizei so neues Vertrauen | |
> gewinnen? | |
Bild: Polizist*innen beim Kniefall in Pasadena, Texas am 7. Juni 2020 | |
Ein Mann kniet: das vordere Bein angewinkelt, der Blick auf den Boden | |
gerichtet, den Arm auf den Oberschenkel gestützt. Auch die anderen | |
Polizist*innen haben die Pose eingenommen. Sie sind im Dienst und tragen | |
die dunkelblaue Uniform, die zuletzt so oft in den Medien zu sehen war. | |
Wenn auch eher hinter Gewehren und weniger auf Knien. | |
Denn auf den [1][Demonstrationen gegen Rassismus] und Polizeigewalt in den | |
USA infolge der Ermordung George Floyds durch einen Polizisten in | |
Minneapolis steht die Polizei nicht nur im Mittelpunkt der Kritik. Sie | |
beeinflusst auch aktiv den Verlauf der Proteste. | |
Nun haben sich Polizist*innen im gesamten Land entschieden niederzuknien, | |
vor oder sogar während der Demonstrationen. Mit dem Kniefall, einem Akt | |
öffentlicher Unterwerfung, zitieren sie eine lange Geschichte ritueller | |
Gestik. Er drückt Demut aus vor einer urteilenden Instanz und steht | |
symbolisch für die Sühne eines begangenen Unrechts. | |
Man macht sich klein und hofft auf Wiedergutmachung. Ein symbolischer Akt, | |
der in diversen Ritualen stattfindet: Als Gebetshaltung drückt [2][der | |
Kniefall die Demut] vor dem Göttlichen aus, bei „Game of Thrones“ die | |
Unterwerfung vor den Herrschenden – und die Polizist*innen in den USA | |
gestehen ein, dass in ihrem Namen Unrecht geschehen ist. | |
## Soziale Ordnung wiederherstellen | |
Rituale haben symbolische Kraft: Sie ordnen etwas neu und festigen den | |
Übergang in einen anderen Zustand. Wenn zwei Menschen heiraten, ist das ein | |
Ritual, mit dem etwas Neues, die Ehe, hervorgebracht wird. | |
Der Kniefall der Polizist*innen soll nicht nur Ver- und Ergebung | |
ausdrücken, er bittet vor allem um die Wiederaufnahme in die Gesellschaft. | |
Darum, eine soziale Ordnung wiederherzustellen, in der die Polizei, mit | |
bürgerlichem Vertrauen bedacht, für Sicherheit sorgen soll. | |
Allerdings sind das Gelingen des Rituals und seine Wirkung abhängig von | |
bestimmten Faktoren. Es funktioniert nur, wenn es auch bezeugt werden kann. | |
Erst die Öffentlichkeit lässt das Ritual wirksam werden. Sie muss es nicht | |
nur als solches erkennen, sondern im Moment der Aufführung auch anerkennen. | |
In diesem Fall müssen die Demonstrierenden den Kniefall als Demutsgeste | |
annehmen – indem sie ihre Hände reichen, ihre Arme um die Uniformierten | |
legen oder gleich mit ihnen gemeinsam auf die Knie gehen. Rituale leben von | |
ihrem Publikum, das den neuen Zustand bezeugt. Das kann dann auch nicht auf | |
Twitter wieder rückgängig gemacht werden. | |
## Öffentlichkeit muss Wirkung zugestehen | |
Die Macht über die Wirkung eines Rituals liegt bei den Anwesenden, die | |
diese Macht zuschreiben, aber auch verweigern können. Wenn die Polizei, die | |
[3][mit Härte und Gewalt bei den Protesten] durchgreift, jetzt in einem | |
rituellen Akt um Wiederaufnahme und Vertrauen bittet, dann hat diese | |
Öffentlichkeit die Macht, ihnen das nicht zuzugestehen. | |
Rituale drücken auch Verbindlichkeit aus. Wenn nicht jede*r einzelne | |
Polizist*in sich mit dem Kniefall zu gesellschaftlicher Gleichbehandlung | |
verpflichtet, sich [4][gegen Rassismus und gegen gewalttätige | |
Kolleg*innen] stellt, warum sollte man dann einer symbolischen Geste zu | |
ritueller Wirksamkeit verhelfen? | |
Mittel zur Störung gibt es genug: Anstatt Hände zu reichen, könnten die | |
Demonstrierenden etwa lachen – Parodie war schon immer ein brauchbares | |
Mittel zur Torpedierung von Ordnungen. Oder einfach gehen und dem Ritual | |
die Öffentlichkeit verweigern. | |
Inwiefern öffentlich aufgeführte politische Akte Gesellschaften wirklich | |
nachhaltig verändern, ist eine andere Frage. So hatte der Kniefall von | |
Willy Brandt 1970 am Warschauer Ehrenmal für die Toten des Gettos zwar eine | |
außenpolitisch große Symbolwirkung. Antisemitismus gibt es jedoch immer | |
noch. | |
11 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nikola Nölle | |
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