| # taz.de -- Kanadas Premierminister: Trudeau versucht Befreiungsschlag | |
| > Kanadas bedrängter Premier will mit dem Ausschluss zweier | |
| > Ex-Ministerinnen den Skandal überwinden, der seine Wiederwahl im Herbst | |
| > gefährdet. | |
| Bild: In der Krise: Kanadas Premierminister Justin Trudeau | |
| Vancouver taz | Seit Wochen befindet sich Kanadas Premierminister Justin | |
| Trudeau in der Defensive. Dem einstigen politischen Senkrechtstarter setzt | |
| eine Justizaffäre schwer zu. Gut ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen | |
| steht seine politische Zukunft mehr denn je infrage. In vielen Umfragen ist | |
| seine liberale Partei mittlerweile deutlich hinter die oppositionellen | |
| Konservativen zurückgefallen. | |
| Am Dienstag versuchte Trudeau den Befreiungsschlag: Bei einer Sondersitzung | |
| der Regierungsfraktion in Ottawa schloss Trudeau zwei seiner ehemaligen | |
| Ministerinnen aus der liberalen Partei aus. Sowohl Ex-Justizministerin Jody | |
| Wilson-Raybould wie auch die frühere Schatzkanzlerin Jane Philpott müssen | |
| die Liberalen verlassen und dürfen im Herbst nicht erneut für die Partei | |
| des Premiers antreten. | |
| Das Vertrauensverhältnis zu beiden Ex-Ministerinnen sei irreparabel | |
| zerstört, sagte Trudeau in einer mit Spannung erwarteten Ansprache. Sie | |
| wurde mit tosendem Applaus vieler liberaler Abgeordneter quittiert. Nicht | |
| wenige von ihnen müssen im Herbst in ihren Wahlkreisen akut um ihre | |
| Wiederwahl fürchten, sollte es Trudeau nicht bald gelingen, den Skandal | |
| wirksam einzudämmen. | |
| Die beiden Ex-Ministerinnen waren im Winter aus Protest gegen Trudeau und | |
| das aus ihrer Sicht schlechte Krisenmanagement der Regierung von ihren | |
| Ämtern zurückgetreten. Sie waren aber bislang in der Fraktion verblieben. | |
| ## Trudeaus Gegenspielerinnen | |
| Bei Auftritten im Parlament wie auch bei Interviews hatten sie Trudeau | |
| seitdem immer wieder unter Druck gesetzt und dabei die Öffentlichkeit | |
| größtenteils auf ihrer Seite gehabt. | |
| Die Politikerinnen werfen Trudeau vor, dieser habe die Unabhängigkeit der | |
| Justiz gefährdet. Wilson-Raybould fühlte sich während ihrer Zeit als | |
| Justizministerin und Chefanklägerin monatelang unter Druck gesetzt, in | |
| einem Korruptionsverfahren auf Geheiß Trudeaus zugunsten des Baukonzerns | |
| SNC-Lavalin zu intervenieren. Nachdem sie sich geweigert habe, sei sie auf | |
| einen anderen Posten versetzt worden. | |
| Das Unternehmen mit Sitz in Montreal soll zwischen 2001 und 2011 | |
| Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe an die Familie des libyschen | |
| Machthabers Gaddafi gezahlt haben. 2015 wurde der Konzern wegen Korruption | |
| angeklagt. Der Prozess hat noch nicht begonnen. Bei einer Verurteilung | |
| droht dem Unternehmen in Kanada der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. | |
| Trudeau hatte die Vorwürfe stets abgestritten und die Diskussionen um | |
| SNC-Lavalin als normale politische Vorgänge bezeichnet, bei denen es ihm um | |
| den Erhalt von Arbeitsplätzen gegangen sei. | |
| ## Saubermann-Image befleckt | |
| Politisch schädlich sind die Vorwürfe dennoch, denn sie laufen seinem | |
| Saubermann-Image zuwider, mit dem er 2015 angetreten war. Auch sein Image | |
| als selbst erklärter „Feminist“ hat gelitten. | |
| Trotzdem hatte Trudeau lange gezögert, die beiden Ex-Ministerinnen aus der | |
| Partei auszuschließen. Lange musste er befürchten, dass ihm dann weitere | |
| Abgeordnete den Rücken zukehren würden, und er womöglich seine | |
| Parlamentsmehrheit verlieren könnte. | |
| Tatsächlich hat im Zuge der Affäre mittlerweile eine weitere Abgeordnete | |
| die Fraktion verlassen und sitzt seitdem als Unabhängige im Unterhaus. | |
| Zu einem Wendepunkt kam es in der letzten Woche, als bekannt wurde, dass | |
| Wilson-Raybould während ihrer Zeit als Justizministerin ein vertrauliches | |
| Gespräch mit einem ranghohen Regierungsbeamten zum Thema SNC-Lavalin | |
| heimlich aufgezeichnet hatte. Am Freitag hatte sie das 17 Minuten lange | |
| Band im Zuge der parlamentarischen Ermittlungen gegen Trudeau an das | |
| Unterhaus übergeben. | |
| ## Umstrittenes Tonband | |
| Mit dem Tonband wollte Wilson-Raybould zeigen, wie sie seinerzeit gedrängt | |
| worden war, auf eine Einstellung des Korruptionsverfahrens hinzuwirken. In | |
| Teilen der liberalen Partei hatten die Bänder jedoch einen gegenteiligen | |
| Effekt. Viele Abgeordnete sahen darin einen eklatanten Vertrauensbrauch, | |
| darunter auch Parlamentarier, die den beiden Ex-Ministerinnen bislang wohl | |
| gesonnen waren. | |
| In den letzten Tagen waren die Rufe prominenter Parteifreunde Trudeaus | |
| lauter geworden, die einen Rauswurf der beiden Politikerinnen gefordert | |
| hatten. Transportminister Marc Garneau hatte die Aufzeichnungen als | |
| inakzeptabel und alles andere als ehrenhaft bezeichnet. Andere Abgeordnete | |
| hatten ihren Parteikolleginnen offen Verrat vorgeworfen und ihren Rückzug | |
| eingefordert. | |
| Dem bedrängten Premier dürfte der Ausschluss innerparteilich erst einmal | |
| etwas Luft verschaffen. Ob ihm das bei der kanadischen Öffentlichkeit | |
| gelingt, steht auf einem anderen Blatt. In ersten Reaktionen äußerten viele | |
| Bürger am Mittwoch in sozialen Medien ihr Unverständnis über den Rauswurf. | |
| Oppositionsführer Andrew Scheer betonte, der Premier versinke immer tiefer | |
| in dem Skandal. | |
| Wilson-Raybould tweetete nach ihrem Rauswurf, sie habe sich nichts | |
| vorzuwerfen. „Ich habe die Wahrheit gesagt und werde das auch weiterhin | |
| tun.“ Ex-Ministerin Philpott nannte den Ausschluss zutiefst entmutigend. In | |
| der neuesten Umfrage des angesehenen Ipsos-Instituts sind Trudeaus Liberale | |
| auf 30 Prozent zurückgefallen, die Konservativen dagegen liegen bei 40 | |
| Prozent. | |
| 3 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Michel | |
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