# taz.de -- Kabarettist Thomas Ebermann: „Regisseure gehören abgeschafft“ | |
> Der ehemalige Grüne Thomas Ebermann über sein erstes Theaterstück „Der | |
> Firmenhymnenhandel“, Bühnentausch und weshalb Werbetexte irre sind. | |
Bild: Szene aus Firmenhymnenhandel. | |
taz: Herr Ebermann, „Ob Kaffee, Bohnen oder Fertiggerichte / Wir alle | |
schreiben Geschichte / Wie das Herz braucht das Blut / Brauchen wir unsere | |
Kunden“ heißt es in der Hymne von Kaiser’s Tengelmann, die in Ihrem | |
Theaterstück vorgetragen wird. Herr Ebermann, es scheint schlecht um den | |
Kapitalismus zu stehen. | |
Thomas Ebermann: Vielleicht ist dieser Text im Gegenteil ein Indiz dafür, | |
dass es um seine Stabilität gut bestellt ist. Denn wie sehr müssen die | |
Menschen sich selbst als Humankapital begreifen, um so etwas zu singen? | |
Wie meinen Sie das? | |
Wenn Menschen ihr Glück nicht in lebendigen Zwecken suchen, sondern sich | |
selbst als Produktionsmittel verstehen, dann machen sie sich zu | |
Humankapital. In diesem Fall sängen sie das nicht, weil es angeordnet | |
wurde, sondern auch noch mit Freude. Die Firmenhymnen haben mich | |
überrascht. Bestimmte Blödheiten hätte ich dem Mittelstand zugetraut. Aber | |
selbst Weltkonzerne sind unter jedem Niveau. Bei den Hymnen von VW oder dem | |
Henkel-Konzern staunt man, zu welch trivialer Geschmacklosigkeit die bereit | |
sind. | |
Die Firmenhymnen für Ihre Inszenierung stammen von Hamburger Musikern: | |
Rocko Schamoni covert die „Bosch Car Service“-Hymne, Tocotronic singen den | |
„Henkel“-Song, Bernadette La Hengst schmettert „VW – das sind wir“. Da | |
prallen Welten aufeinander. Was bezwecken Sie damit? | |
Ich schätze diese Musiker, gerade weil sie alle nicht käuflich sind. Da sie | |
mehrheitlich Erfolge haben, wurden sie aber auch nicht so auf die Probe | |
gestellt, wie es geschieht, wenn man die Miete nicht zahlen kann. Einige | |
Musiker haben auf absolut irrsinnige Texte gute Musik gemacht. Was sich | |
Kristof Schreuf, früher Kolossale Jugend, zur Packstation ausgedacht hat: | |
unglaublich! | |
Hätten Sie von den Musikern mehr Punk und weniger intellektuelle Ironie | |
erwartet? | |
Nein, die Ansage war: keine Ironie. Tut so, als wärt ihr finanziell klamm | |
und wolltet ein Bewerbungsvideo produzieren, das den Kunden aus der | |
Wirtschaft überzeugt. Es gibt keinen, der so ein verräterisches | |
Augenzwinkern anwendet. | |
Sie arbeiten in Ihrem Theaterstück mit Zitaten aus Managerratgebern und mit | |
Adornos Kulturkritik. Passt das zusammen? | |
Das sind Gegenpositionen. Wir thematisieren die Idealisierung einer Welt, | |
die man kreative nennt. Es hat etwas Selbsterniedrigendes, wenn man sich | |
für gute Musik interessiert und Firmenhymnen verkauft, wie zwei Figuren aus | |
dem Stück. Beide haben früher Adorno gelesen. Der eine nimmt eine | |
alltagspraktische Haltung ein: Stimmt alles, aber lass uns mal unsere | |
Brötchen verdienen. Der andere sagt: Die Lektüre des | |
Kulturindustrie-Kapitels in der „Dialektik der Aufklärung“ verunmöglicht … | |
mir, diesen Job zu machen. | |
Trotzdem beschreiben Sie die Kunst als Instrument wirtschaftlicher | |
Interessen. Kann sie da überhaupt aufrütteln? | |
Wer sie betreibt, soll den Anspruch haben. Adorno sagte zum Beispiel über | |
Becketts Dramen: Wer das angeguckt hat, kann eigentlich am nächsten Tag | |
nicht zur Arbeit gehen! Man muss diese Hoffnung hochhalten, obwohl man | |
weiß, dass sie illusionär ist, die Leute zwar oft erschüttert über ihr | |
Leben sind, aber der Weg zur U-Bahn-Station ausreicht, sich auf den | |
nächsten Arbeitstag einzustellen. | |
Herr Ebermann, in den 70ern waren Sie im Kommunistischen Bund aktiv, in den | |
80ern Fraktionssprecher der Grünen im Bundestag. Sie haben die politische | |
Bühne gegen die Theaterbühne eingetauscht. | |
Ich hoffe, dass ich in einigen Parlamentssituationen auch gutes Theater | |
abgeliefert habe. Aber um ehrlich zu sein: Ich wusste nicht weiter. Die | |
ersten 20 Jahre meines erwachsenen Lebens standen unter der Maßgabe, an | |
großen Hegemonieverschiebungen mitzuarbeiten und hoffentlich grundlegende | |
Umbrüche mitzuerleben. Das endete 1990, als klar wurde, wie strategisch die | |
Defensive, wie herbe die Niederlage der Linken ist. | |
Warum zu diesem Zeitpunkt? | |
1990 wurde die große Hoffnung von 1917 endgültig zu Grabe getragen. Dagegen | |
ist es eine Bagatelle, dass wir, die sogenannten „Fundamentalisten“, bei | |
den Grünen ausgespielt hatten. Die Partei wurde staatstragend. Natürlich | |
schäme ich mich heute, dass ich Nächte damit verbrachte, Berichte des | |
Landesrechnungshofs zu verstehen oder alle Gifte, die in die Elbe | |
eingeleitet werden, persönlich zu kennen. Es gab da eine falsche Sehnsucht | |
nach Kenntnisreichtum statt Kritik. Aber am Anfang konnte man bei den | |
Grünen viel machen, ohne Rücksicht auf Reputationen zu nehmen. Heute bin | |
ich froh, wenn man nicht so viel Wind davon macht. Wenn ich als ehemaliger | |
Grüner vorgestellt werde, sitzen da Leute um die 30 und denken: Ob das so | |
einer war wie Ströbele? Dann möchte ich im Boden versinken und sagen: Nein, | |
es war ganz anders! | |
Im Ankündigungstext zur Uraufführung hieß es über Sie: „Parteipolitik | |
interessiert ihn schon lange nicht mehr – sein Metier ist heute Kunst“. | |
Stimmt das? | |
Ich lasse mich gerne zu politischen Vorträgen einladen. Aber ich musste mir | |
etwas suchen, was mir die Freude aufs Aufwachen ermöglicht. Und die hatte | |
ich bei den satirischen Touren mit Rainer Trampert oder den szenischen | |
Lesungen in Hamburg. Ich könnte jetzt so etwas sagen wie: In trostlosen | |
Zeiten ist die Kunst der Ort, an dem die Utopie besser aufgehoben ist. Aber | |
ich gestehe, dass ich auch große Angst hatte, als ewiger Podiumsdiskutant | |
zu enden. | |
Obwohl Sie randständige Literatur inszenieren, bekommen Sie Prominente wie | |
Hannelore Hoger, Harry Rowohlt oder Robert Stadlober auf die Bühne. Zahlen | |
Sie gute Gagen? | |
Bei älteren Kollegen war der erste Kontakt einfacher, die fanden gut, was | |
ich in der Politik angestellt habe. Aber viele Künstler haben auch ein | |
Gefühl von Unterforderung und freuen sich, wenn wir weit unterhalb der | |
Gagen, die sie sonst verdienen, an Sachen arbeiten, die eine hohe Qualität | |
haben. Wenn Robert Stadlober die Tagebücher von Mihail Sebastian aufführt | |
oder Pheline Roggan aus „Nahe Jedenew“ vorträgt, dann ist das etwas, wonach | |
alle Beteiligten ein Gefühl von zufriedener Erschöpfung empfinden. | |
Apropos Erschöpfung. Sie haben weder Handy noch Internetanschluss. Ist | |
diese Verweigerung eher Sadismus oder Technikfeindlichkeit? | |
Es ist vielleicht der Versuch, die instrumentelle Vernunft, der man ja nie | |
ganz negatorisch gegenüberstehen kann, weil man sonst eingehen würde wie | |
eine Primel, etwas auf Distanz zu halten. Ich verrate ja kein Geheimnis, | |
wenn ich sage, dass die größten Kritiker des Arbeitsethos meist sehr | |
fleißige Leute waren. Einen Netzanschluss habe ich bald. Mein Ziel ist es | |
ja nicht, Kauzigkeit zu kultivieren. | |
Sie sind Autor und Regisseur von „Der Firmenhymnenhandel“. Zugleich sind | |
alle Schauspieler als Co-Autoren genannt. Warum war Ihnen das wichtig? | |
Anschließend an Diskussionen aus den 70er Jahren glaube ich: Regisseure | |
gehören abgeschafft. Das ist meine feste Überzeugung. Wenn das keine Lüge | |
sein soll wie die Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz, muss das | |
Stück geändert werden, wenn die Mehrheit es will. Es laufen sehr viele | |
aufgeblasene Typen in der Theaterwelt rum, die denken, ihre Ansagen seien | |
göttlich. Das brauchten wir nicht. Das Textbuch kam von mir, aber es wurde | |
unser Stück. | |
Das klingt pathetisch … | |
Ja. Aber ich denke mit größtem Wohlwollen an die Krisen, wenn wieder gesagt | |
wurde, „Thomas, du musst jetzt eine Entscheidung fällen“, und ich auch | |
nicht wusste, welche … Ich bin überrascht, wie viel Verbesserung sich | |
einstellt, wenn man sechs Wochen Zeit hat und mit klugen Künstlern | |
arbeitet. | |
In Hamburg haben Sie zehnmal vor vollem Haus gespielt. Macht Sie der Erfolg | |
nicht misstrauisch? | |
Qualität ist ja kein Garant für Misserfolg. Leute, deren Urteil mir wichtig | |
ist, haben die Inszenierung gelobt. Aber es ist mein erstes Theaterstück. | |
Ich schließe nicht aus, dass es mir später anfängerhaft erscheinen wird. So | |
wie ich meine Artikel aus den 70ern lese und denke: Gerade Sätze konntest | |
du damals nicht schreiben, aber es war alles gut gemeint. Vielleicht denke | |
ich ja in 40 Jahren über das Textbuch: Was für eine liebenswürdige | |
Stümperei! | |
7 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
Sonja Vogel | |
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