# taz.de -- Jubiläum der Wehrmachtsausstellung: Endlich ehrliche Erinnerung | |
> Die neu konzipierte Wehrmachtsausstellung wurde vor 20 Jahren eröffnet. | |
> Sie zerstörte endgültig die Legende von der „sauberen Wehrmacht“. | |
Bild: Mär vom Befehlsnotstand versenkt. Die Ausstellung auf ihrer Münchner St… | |
„Es gibt Schulklassen, die sagen, gebt uns Wissen, uns hängt die Moral zum | |
Hals raus. Macht uns argumentationsfähig.“ [1][Hört man Volkhard Knigge,] | |
bis vor einem Jahr Direktor der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald, möchte | |
man die Schautafeln und Dokumente sofort wieder auspacken. Mit einer Tagung | |
im Hamburger Institut für Sozialforschung beging man gerade „20 Jahre | |
Wehrmachtsausstellung“. | |
Gedacht wird hier der zweiten Fassung der Schau, die am 27. November 2001 | |
erstmals zu sehen war. Die erste, ab 1995 unter dem Titel | |
„Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ ausgestellt, war | |
noch unter der Leitung des damals am Hamburger Institut tätigen Hannes Heer | |
entstanden. Zahlreiche kleinformatige Fotos zeigten [2][deutsche Soldaten | |
in der Sowjetunion,] während Vormarsch und Rückzug, beim Verüben von | |
Verbrechen an Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung, auch ihrem jüdischen | |
Teil. | |
Überall, wo die Wanderausstellung nach einer ersten Station in Hamburg | |
hinkam, wurden die Warteschlangen der Besucher länger, Proteste und | |
Aufmärsche von Rechtsextremen lauter. Peter Gauweiler (CSU) wetterte in | |
München gegen die „pauschale Verunglimpfung aller Wehrmachtsangehörigen“. | |
Man sah die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ zerbröseln, der zufolge | |
Armeeangehörige im „Dritten Reich“ anders als die SS keine mordenden Nazis | |
gewesen seien. In Saarbrücken kam es zu einem Bombenanschlag auf die | |
Ausstellungsräume. | |
Was aber Jan Philipp Reemtsma, den Gründer und damaligen Leiter des | |
Hamburger Instituts, 1999 dazu bewog, die Ausstellung unter ein Moratorium | |
zu stellen, waren die Kritik einiger Historiker und der folgende | |
Pressesturm. Unter Beschuss stand die Beweiskraft der Fotos. Die Kritik | |
hängte sich fast ausschließlich an einem Schwarz-Weiß-Abzug aus Tarnopol | |
auf, der neben Ermordeten, die auf das Konto der Wehrmacht gingen, in der | |
Ausstellung unbemerkt auch solche zeigte, die durch die Hand der | |
sowjetischen Geheimpolizei NKWD umgekommen waren, wie Historiker Bogdan | |
Musial monierte. | |
Zwei Jahre später öffnete die neu konzipierte Ausstellung „Verbrechen der | |
Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941–1944“ ihre Pforten. | |
Verantwortlich zeichnete nun die Historikerin Ulrike Jureit nebst Reemtsma | |
selbst. Suggestive Überschriften wie „Judenquälen“ oder „Genickschüsse… | |
die die Handschrift von Hannes Heer hervorgebracht hatte, fehlten nun | |
völlig. | |
## Dregger und Schily | |
Sauber recherchiert, sachlich, weit weniger Fotos und dafür mehr | |
Textdokumente: Die Kritiker fanden keine Hebel mehr. Aber das „Bild von der | |
Wehrmacht fiel in der zweiten Ausstellung noch düsterer aus“, wie Jureit in | |
einem Sonderheft der Zeitschrift Mittelweg 36 zum Jahrestag resümiert. | |
Zudem versenkte ein „Handlungsoptionen“ genanntes Kapitel die Mär vom | |
Befehlsnotstand, auf die sich schon in den Nürnberger Prozessen die | |
Verteidigung der Generäle und Offiziere der Wehrmacht gestützt hatte. Wie | |
man nun zeigte, gab es nicht nur einige, die sich weigerten, am Morden | |
teilzunehmen, sie blieben damals auch ungestraft. | |
In einem öffentlichen Vortrag am Abend der Tagung machte Reemtsma anhand | |
der historisch gewordenen Bundestagsdebatte vom 13. März 1997 über die | |
Ausstellung zweierlei deutlich. Für seinen ersten Punkt sezierte der | |
Philologe insbesondere den dortigen Disput zwischen Alfred Dregger (CDU) | |
und Otto Schily (SPD) als Umschlagspunkt des öffentlichen Diskurses über | |
die Wehrmacht. | |
## Schulterschluss mit Rechten | |
Schily sei es gelungen, den anfänglich von der Beleidigung einer ganzen | |
Generation schwadronierenden Dregger am Ende zur Umkehr zu bewegen, und | |
zwar durch den Hinweis auf einen Vorfahren seiner Frau. | |
Von diesem, einem Partisanen, zog Schily eine Linie zur Bundesrepublik, | |
deren Parlamentarier Dregger schließlich sei: Diesen demokratischen Staat | |
gäbe es nicht ohne die kämpfenden Gegner des Nationalsozialismus, denen die | |
Wehrmacht nach dem Leben getrachtet hatte. | |
Hier in Bonn endete, so Reemtsma, der Schulterschluss des parlamentarischen | |
Konservatismus damaliger Prägung mit der extremen Rechten. Die genannte | |
Diskurswende, nun kommt Reemtsmas zweiter Punkt, lag aber sozusagen in der | |
Luft. | |
## Ein Baustein von vielen | |
Vorbereitet durch ein starkes Interesse an der Beforschung des | |
Nationalsozialismus seit den 1980er Jahren, durch Historikerstreit, | |
Jenninger-Rede, Goldhagen-Debatte und die Wehrmachtsausstellung als nur | |
einen Baustein von vielen, aber auch durch die Auseinandersetzung mit den | |
rassistischen Pogromen nach der Wiedervereinigung habe sich das Land in | |
dieser Zeit vergangenheitspolitisch neu aufgestellt. | |
Nur einige Ewiggestrige bestreiten heute die Mittäterschaft einer Mehrheit | |
der Deutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Auftrag erfüllt. | |
Für eine aktualisierte Ausstellung sieht Reemtsma keinen Anlass. „Bleiben | |
wir beim Adjektiv historisch“, schloss er seinen Vortrag. | |
27 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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