# taz.de -- Interview mit Vitali Klitschko: "Ich weiß, was Demokratie ist" | |
> Vitali Klitschko spricht vor dem Kampf gegen Dereck Chisora über die | |
> Gegenwart im Ring, über Muhammad Ali und über sein gesellschaftliches | |
> Engagement. | |
Bild: Steigt am Samstag in München gegen Dereck Chisora in den Ring: Vitali Kl… | |
taz: Herr Klitschko, im November vergangenen Jahres ist Joe Frazier | |
gestorben, und im Januar wurde Muhammad Ali siebzig. Hat das bei Ihnen auch | |
den Reflex ausgelöst, sich bei YouTube noch einmal deren Ringschlachten | |
anzusehen? | |
Vitali Klitschko: Ab und zu gucke ich mir natürlich die Klassiker des | |
Boxens an, Ali gegen Foreman, gegen Frazier, das ist die Geschichte des | |
Boxens, das ist unser Alphabet. Das zu wissen, zu hören, zu sehen - das | |
gehört dazu. | |
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese legendären Kämpfe sehen? | |
Ich hatte dabei schon zig Mal den Gedanken: Es wäre schön, gegen Ali zu | |
boxen. Es ist ein Traum, die eigenen Fähigkeiten gegen eine Weltlegende zu | |
prüfen. | |
Und wie wäre der Kampf ausgegangen? | |
Ich kann Boxkämpfe nicht als einfacher Verbraucher schauen. Ich sehe sie | |
als Fachmann, ich sehe: Dort wurde ein Fehler gemacht, das kann ich besser, | |
dafür würde ich ihn bestrafen. Wenn ich einen Boxkampf sehe, geht mir das | |
sehr nah, ich sehe das als Analytiker. | |
Hätten Sie Ali umhauen können? | |
Das ist eine gute Frage. Ich stelle mir auch solche Fragen. Daher kommt ja | |
der Gedanke, dass es sehr schön wäre, gegen Muhammad Ali zu kämpfen. Kann | |
ich das? Ich denke, ja. In seiner besten Zeit war sein Stil einzigartig. Er | |
war sehr beweglich. Aber ich habe Mittel dagegen. Doch ich kann das heute | |
nur in meinen Gedanken durchspielen. Mehr nicht. Er war der beste Boxer | |
aller Zeiten. | |
Bedauern Sie, dass es solche Gegner wie ihn heute nicht mehr gibt? | |
Muhammad Ali war nicht nur ein guter Sportler, er war eine große | |
Persönlichkeit. Er hat die Medien fasziniert, er war frech, er war | |
aggressiv, seine Sprüche waren manchmal an der Grenze. Aber fast alles, was | |
er versprochen hat, hat er im Ring realisiert. Es gibt ein Computerspiel, | |
da kann man verschiedene Boxer aller Zeiten gegeneinanderstellen. | |
Und, haben Sie schon mal Ali gegen Klitschko kämpfen lassen? | |
Ich spiele überhaupt keine Computerspiele. Dafür habe ich leider keine | |
Zeit. | |
Damals, in den 60er und 70er Jahren, hatte Boxen einen anderen Stellenwert | |
als heute. Hatten es Ali, Frazier und Foreman einfacher als Sie heute, zur | |
Legende zu werden? | |
Es gibt ein sehr bekanntes Gedicht von Puschkin, das betrifft nicht nur das | |
Boxen. [Klitschko spricht den Anfang auf Russisch vor; d. Red.] Darin heißt | |
es übersetzt: Damals hatten wir viel stärkere Menschen, heute gibt es keine | |
wahren Helden mehr. Das Gedicht ist mehr als zweihundert Jahre alt. Es ist | |
doch interessant: Das Thema ist noch immer aktuell. Die Generationen kommen | |
und gehen. Im Boxen hat jeder seine Fähigkeit. Was im Moment fehlt, ist ein | |
großer Name. Leider, man kann wohl sagen leider, blockiere ich zusammen mit | |
Wladimir [Vitalis jüngerer Bruder, d. Red.] die Schwergewichtsszene. Wir | |
lassen niemanden rein. Zur Zeit von Muhammad Ali war es spannender, er hat | |
mal gewonnen und mal verloren. Niemand konnte wissen, was passiert. Heute | |
wird nicht mehr diskutiert, ob ein Klitschko gewinnt, sondern nur noch, in | |
welcher Runde. | |
Also müssten Sie verlieren, damit es endlich wieder interessant wird? | |
Auf gut Deutsch: Ja. Aber ich möchte nicht verlieren. | |
In einer Zeit, in der Legenden wie Ali und Frazier wieder ein Thema sind, | |
fragen Sie sich da, wie man sich eines Tages mal an Sie erinnert? | |
Ich hoffe, gut. Die Meinung der Menschen ist mir sehr wichtig. Die Zeit | |
geht sehr schnell vorbei. In ein paar Jahren wird die neue Generation | |
Klitschko-Kämpfe angucken und diskutieren: Hätten wir gekonnt, hätten wir | |
nicht? | |
Muhammad Ali ist nicht nur als Boxer, sondern auch als Kämpfer gegen die | |
Rassendiskriminierung zur Legende geworden. Sie engagieren sich in der | |
Ukraine für mehr Demokratie. Ist das vergleichbar? | |
Jein. Das ist Arbeit außerhalb des Rings, dort funktionieren keine | |
sportlichen Gesetze. In der Ukraine wurde die Demokratie in den letzten | |
Jahren zurückgeschraubt, das System funktioniert nicht durchsichtig. | |
Was Ali für die Antikriegsbewegung in den USA war und für den Kampf für | |
Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen, sind Sie das heute in der | |
Ukraine für die Demokratiebewegung? | |
Ich weiß, was Demokratie ist. Ich habe viel Zeit in Europa und in Amerika | |
verbracht, ich weiß, was in modernen Ländern lebenswert ist. Vor zwanzig | |
Jahren war ich in Polen. damals gab es keinen Unterschied zur Ukraine, wir | |
hatten die gleiche Startposition. Vor ein paar Monaten war ich wieder dort, | |
und ich war überrascht, welche Fortschritte Polen in Richtung Europa | |
gemacht hat. Die Straßen, die Löhne, das soziale System, das funktioniert | |
dort heute alles. Der Abstand zur Ukraine ist inzwischen riesengroß | |
geworden. Da frage ich mich schon: Wieso haben die das geschafft? Und wieso | |
treten wir in der Ukraine noch immer auf der Stelle? | |
Sie weichen der Frage nach einem Vergleich mit Ali immer noch aus. | |
Muhammad Ali hat gegen Rassismus gekämpft. Vielleicht kann man es so | |
vergleichen: Ich nutze die gleiche Plattform wie er. Der beste Ort, um | |
weltweit eine riesige Resonanz zu bekommen, ist der Boxring. Wie Nelson | |
Mandela es einmal gesagt hat: Der Sport hat eine wahnsinnige Kraft, die | |
Welt zu verändern. | |
18 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Rohlfing | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Boxen | |
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