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# taz.de -- Humboldt Forum in den Startlöchern: „Da muss man sich schon anst…
> Das Humboldt Labor, die Ausstellung der Humboldt-Universität im Humboldt
> Forum, soll Anfang Januar eröffnen. Kurator Gorch Pieken im Interview.
Bild: So soll der interaktive Fischschwarm am Eingang des Humboldt Labors ausse…
taz: Herr Pieken, im Dezember eröffnet nach derzeitigem Stand das Humboldt
Forum, gleich darauf Ihre Dauerausstellung. Was wird man sehen?
Gorch Pieken: Das Humboldt Labor, also die Ausstellung der
Humboldt-Universität, hat das Ziel, in einer Zeit wachsender Diskrepanz
zwischen Wissenschaft und breitem Publikum zu vermitteln. Außerdem sagen
wir ganz kühn, dass bei uns auch neues Wissen entstehen wird.
Wie das?
Die Besucher*innen sind gefragt sich via Twitter und Instagram an
wissenschaftlichen Debatten zu beteiligen. Oder mit Alltags- oder lokalem
Wissen zur Ausstellung beizutragen. Wenn es beispielsweise ums
Insektenmonitoring geht.
Wie wollen Sie Menschen ansprechen, die sich zunehmend die Welt aus dem
Internet zusammenpuzzeln?
Indem wir das machen, was Wissenschaft seit der Frühen Neuzeit macht. Wir
bauen auf die Neugier und aufs Erstaunen. Denn wir sehen ja gar nicht aus
wie eine Wissenschaftsausstellung. Man rutscht da einfach so rein. Hinter
dem Eosander-Portal locken wir schon zum ersten Mal mit dem Fischschwarm,
auf einem Medienturm, dem Kosmographen, 25 Meter hoch.
Und dann?
Man wird von einem weiteren nun interaktiven Fischschwarm begrüßt, der auf
die Besucher*innen reagiert. Das ist ein simples, aber zentrales Bild, das
man intuitiv versteht: Was ich tue oder unterlasse, hat Auswirkungen auf
die mich umgebende Welt. Vom Bild des Fischschwarms ausgehend erklären alle
sieben Berliner Exzellenzcluster ihre Forschung. Hallo Besucherin, hallo
Besucher! Was hat ein Fischschwarm mit der Intelligenzforschung, mit der
Hirnforschung, der Forschung zu aktiven Materialien, mit Mathematik,
Literatur oder Katalyseverfahren zu tun? Wie verhalten wir uns als Gruppe?
Wie positioniere ich mich – und wie bleibe ich auch in einem Raum, in dem
alle anderen eine andere Meinung haben, bei einer Meinung, von der ich
überzeugt bin, dass sie richtig ist?
Und weiter?
Dann steht man vor einer großen, kinetischen Wand aus beweglichen Rollos.
Bespielt wird sie derzeit von Nachhaltigkeitsforschern des
Forschungsinstituts der Humboldt-Universität IRI THESys – mit Beiträgen zu
nachhaltiger Land- und Ressourcennutzung, Klimawandel, Umwelt und
Generationengerechtigkeit – und vom Exzellenzcluster „Contestations of the
Liberal Script“, der sich mit den Anfechtungen befasst, denen sich das
liberale Gesellschaftsmodell aktuell gegenübersieht. Es gibt keine
Erzähler*innen, sondern die Wissenschaftler*innen sprechen selbst, erklären
ihre Forschung und was ihre persönliche Perspektive ist. Es war uns ein
Anliegen, diese drängenden Fragen zentral zu stellen.
Klingt, als wollten Sie sich einmischen?
Wir geben der wissenschaftlichen Perspektive auf diese überlebenswichtigen
Themen unserer Zeit breiten Raum.
Stiften Sie auch zum Handeln an?
Zukunft nur als optimierte Gegenwart zu denken wird nicht ausreichen, sie
zu meistern. Und gerade weil der Weg vom Wissen zum Handeln lang ist,
ermutigen viele Wissenschaftler*innen die Besucher*innen aktiv zu werden.
Was können in dieser Hinsicht Ausstellungen bewirken?
Im Grunde hat mich diese Frage schon bewegt, als ich noch im
Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden war. Ich habe dort die
erste Ausstellung über rechtsextreme Gewalt auf deutschen Straßen gemacht,
die in einem Bundesmuseum zu sehen war. 2013 war das. Da hatte ich mich im
Vorfeld gefragt: Erreicht man nur diejenigen, die man sowieso erreicht? Am
Ende sind wir fast schon in die Rolle von Sozialarbeiter*innen für
Aussteiger*innen geraten. Wir haben ihnen einen geschützten Raum gegeben,
wo sie zum Beispiel angstfrei und ungestört ein Theaterstück über ihre
Erfahrungen proben und uraufführen konnten.
Zurück zur Ausstellung im Humboldt Forum. Sie befassen sich mit aktueller
Forschung, aber auch mit alten Sammlungen. Wie geht das zusammen?
Gerade bei einer Auftaktausstellung finde ich es sehr wichtig, dass
universitäre Forschung und Lehre in ihrer ganzen Bandbreite abgebildet ist,
also auch unter Einbezug der historischen Sammlungen. Das prominenteste
unserer Archive ist das Lautarchiv, in dem es drei große Sammlungsbereiche
gibt, die alle vorgestellt werden. Aber mit einem beschäftigen wir uns
besonders intensiv. Es ist eine 80 Jahre alte Sammlung deutscher Dialekte,
mit denen sich vor uns niemand kritisch befasst hat.
Hört sich altmodisch an …
Es mag erst einmal verwundern, in diesem großen Forum, das sich zur Welt
hin öffnet. Führt das nicht zu einer Verengung? Nein, tut es nicht, denn
Sprache ist ein weltoffenes System. An dieser Stelle beschäftigen wir uns
intensiv mit Wilhelm von Humboldt, der weniger bekannt ist als sein
populärer jüngerer Bruder. Beim Studium der Weltgeschichte der Gedanken und
Empfindungen darf nichts fehlen, sagte er, weil alles was den Menschen
betrifft, den Menschen gleich nahe angeht.
Was für Aufnahmen sind das?
Wir haben zum Beispiel eine Aufnahme aus dem Jahr 1941 von einer Deutschen
aus Wolhynien, die Jiddisch spricht. Jiddisch, ein deutscher Dialekt?
Eine falsche Zuordnung?
Die Aufnahme ist in einem Aufnahmelager für Wolhyniendeutsche entstanden,
die im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts umgesiedelt wurden.
Wissenschaftlerinnen für Jiddisch meinten, es sei sehr unwahrscheinlich,
dass eine Nichtjüdin so gut Jiddisch sprach. Wir haben ein Foto von ihr,
und dann singt sie noch sehr schön, sehr berührend. Etwa die Hälfte der
Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Luzk mit 40.000 Menschen, aus der
diese Frau kam, waren Juden. Fast alle von ihnen wurden ermordet.
Möglicherweise handelt es sich bei dieser Aufnahme um das einzige
Audiozeugnis einer vor achtzig Jahren ausgelöschten jüdischen Kultur. Das
hat uns so berührt, dass wir intensiver nachfassten. Und die Biografie der
Sprecherin bis weit in die Nachkriegszeit recherchierten. Sie war keine
Jüdin. Als Händlerin hatte sie Jiddisch gelernt.
Ist die Herkunft aller Objekte, mit denen Sie sich befassen, erforscht?
Neben den Archivobjekten zeigen wir im Saal Sammlungsobjekte, die von einem
Schnürboden herabgelassen und für Veranstaltungen unter die Decke gezogen
werden können – Objekte, die mal interessante, mal fehlgeleitete oder
furchtbare Antworten aus der Wissenschaftsgeschichte auf die aktuellen
Forschungsfragen der Wand geben. Jedes Objekt wird befragt, was es hier
macht.
Und was, wenn es Rückgabeforderungen geben sollte?
Die Universität geht ja mit der Frage der Rückgaben recht frei um. Die
Ausstellung „Theatrum naturae et artis“, bei der vor 20 Jahren Objekte aus
den Lehr- und Kunstsammlungen der Humboldt-Universität gezeigt wurden,
könnte diese heute aus eigener Kraft nicht mehr realisieren, weil die
meisten Objekte längst woanders sind. Darum ist es für uns kein Problem,
Provenienz auch mit der Absicht zu erforschen, die Objekte zu restituieren.
Wie gehen Sie mit sensiblen Objekten um?
Besondere Anforderungen stellen sensible Sammlungen wie die
Kriegsgefangenenaufnahmen im Lautarchiv, die in deutschen
Kriegsgefangenenlager entstanden. In den Dialektaufnahmen ist von den
politischen Zwecken, denen sie dienten, nicht die Rede. Deshalb brauchen
wir das Hahne-Niehoff-Archiv aus dem Institut für Europäische Ethnologie.
Dies ist ein sehr spannendes, aber wenig bekanntes Archiv, das in 35.000
Fotonegativen und zahlreichen Fragebögen die Arbeit einer zunehmend
völkisch inspirierten Volkskunde der 1920er bis 1940er Jahre dokumentiert.
Auf den Fotos sind Hakenkreuze zu sehen, die in den Dialektaufnahmen nicht
thematisiert werden. So hilft das eine Archiv, das andere zu verstehen.
Und darum auch das Janheinz-Jahn-Archiv?
Genau. Der Nachlass des Autors und Übersetzers Janheinz Jahn, der als
erster deutschsprachiger Vermittler afrikanischer Literaturen und Kulturen
im Nachkriegsdeutschland gilt, ist ein wichtiges Archiv für die
Demokratiegeschichte. Es geht um Empowerment, die erste Phase der
Dekolonialisierung, die ja kein herrschaftsfreier Prozess war. Da ist etwa
die Paris-Konferenz von 1956, die Jahn begleitet hat.
Wie nähern Sie sich diesem komplexen Thema?
Zum Beispiel mit einer Rede von Aimé Césaire, die er auf der Konferenz
hielt. Seine Argumente gelten für viele Kritiker*innen des Liberal Scripts
bis heute. Césaire sagte, Europa habe erbarmungslos alles vernichtet, jede
Kultur, Philosophie und Religion, also alles, was die Bereicherung einer
Gruppe privilegierter Menschen hätte verlangsamen oder aufhalten können.
Was halten Sie von der Kritik von Initiativen in Berlin, Dekolonisierung
könne in einer Schlossattrappe nie beginnen?
Ich verstehe diese Kritik. Durch diesen Druck von außen sind Dialog und
interkultureller Austausch sicher auch zu Leitprinzipien aller Akteur*innen
im Humboldt Forum geworden. So wie die Provenienzforschung, und hoffentlich
zunehmend auch die Restitution. Die Auseinandersetzung mit der kolonialen
Vergangenheit Deutschlands hat aber auch wichtige Impulse aus dem Humboldt
Forum oder der Diskussion um das Humboldt Forum erhalten.
Mögen Sie eigentlich die Räume des Humboldt Forums?
Die leeren Räume verfügen über wenig Magie. Da muss man sich schon sehr
anstrengen. Für einen Dauerfeldversuch eines Urban
Gardening-Forschungsprojektes wären wir gerne auf das Dach des Hauses
gegangen, um einen Schrebergarten anzulegen. Es gibt da Fotos des Ehepaars
Schönfelder aus den 1930er Jahren.
Schönfelder?
Otto Schönfelder war der ehemalige Hofschlosspolierer. Die Schönfelders
hatten eine Laube auf dem Dach des Schlosses. Diese Kombination aus dem
Petit-Bourgeois-Leben oben und dieser Fassade …
Also dem Prunk und Protz …
… des kaiserlichen Deutschlands, bei dem ja nebenbei gesagt alle glücklich
sein sollten, dass es untergegangen ist – das hätte mir sehr gefallen.
Ich nehme an, der Dachgarten wurde abgelehnt?
Die Idee wurde nicht weiter verfolgt, jedoch lächelnd zur Kenntnis
genommen.
Als Sie 2018 die Einladung bekamen, im Humboldt Forum zu arbeiten, was
haben Sie da gedacht?
Ich habe mich gefreut.
Mögen Sie Konfrontation?
Überhaupt nicht! Ich würde ihr aber auch nicht ausweichen.
7 Oct 2020
## AUTOREN
Susanne Messmer
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