| # taz.de -- Hate-Speech-Kontroverse im Deutschrap: Unterschiedliche Ekelgrade | |
| > Nach einer Kampagne von Terre des Femmes bedroht der Rapper Fler Frauen | |
| > und den Comedian Shahak Shapira. Wie verroht ist deutscher HipHop? | |
| Bild: Shahak Shapira hilft Frauen, die von Fler bedroht werden | |
| Berlin taz | Vor einigen Tagen lancierte die Menschenrechtsorganisation | |
| [1][Terre des Femmes] eine Kampagne gegen frauenverachtenden Hate Speech | |
| unter dem Hashtag [2][#unhatewomen.] Im Fokus – mal wieder – Songtexte | |
| diverser Deutschrapper. Darunter auch der selbsternannte „Deutscha Bad Boy“ | |
| Fler. Was folgte, hatten die Kampagnenplaner*innen wahrscheinlich nicht | |
| einkalkuliert. Es führt aber vor, wie groß das Problem Sexismus nicht nur | |
| innerhalb der Rap-Szene, sondern in unserer Gesellschaft insgesamt ist. | |
| Frauen werden gezielt zum Schweigen gebracht, das muss endlich anerkannt | |
| und vor allem geändert werden. | |
| Aber der Reihe nach. Eine Frau verlinkte Fler in einer Instagram-Story zur | |
| Kampagne. Daraufhin beleidigte und bedrohte er sie in privaten Nachrichten. | |
| Auch andere Frauen, die die Kampagne unterstützten, erhielten Nachrichten. | |
| Schließlich setzte Fler sogar via Instagram ein Kopfgeld auf eine der | |
| Frauen, Olivia B., aus. Die Betroffene wendete sich hilfesuchend an den | |
| jüdischen Comedian Shahak Shapira, der schon in der Vergangenheit virtuelle | |
| Glaubenskämpfe mit Fler ausgetragen hatte. Shapira machte Flers | |
| Drohgebärden gegen die Frau öffentlich. | |
| In diesem Moment verschob sich die Debatte in den sozialen Netzwerken, weg | |
| von den Frauen hin zu Shapira. Plötzlich ging es darum, ob er die | |
| Nachrichten hätte veröffentlichen dürfen und inwiefern den Frauen durch | |
| eine Veröffentlichung überhaupt geholfen würde. Viele kritisierten Shapira, | |
| manche mehr, manche weniger sachlich, einige offen antisemitisch. Man warf | |
| ihm vor, sich in den Mittelpunkt zu stellen und die #unhatewomen-Kampagne | |
| nur zu benutzen, um sich in ein gutes Licht zu rücken. | |
| ## Unkritische Rapmedien | |
| Shapira kritisierte wiederum die Kritiker dafür, dass sie ihn ja erst durch | |
| ihre Kritik in den Mittelpunkt stellten, statt sich um die | |
| Sexismus-Vorwürfe zu kümmern. Außerdem kritisierte er die Rap-Medien für | |
| ihre grundsätzlich unkritische Berichterstattung. Dafür bekam Shapira | |
| wiederum zu hören, er solle sich aus Dingen raushalten, von denen er nichts | |
| verstünde. Und währenddessen verprügelte Fler einen Kameramann auf dem | |
| Berliner Kurfürstendamm. | |
| On- und offline läuft die Debatte längst aus dem Ruder. Bei genauerer | |
| Betrachtung aber muss man feststellen, dass eine Gruppe die Diskussion klar | |
| dominiert: Männer. Shapira und Fler, Journalisten, die in verschiedenen | |
| Medien Textbeiträge schreiben, Fans. Auf 240 Zeichen aufgeblähte | |
| Männeregos, wohin man auch scrollt. | |
| Die Geschichten der Frauen, die von Fler beleidigt und bedroht werden, sind | |
| unter einer Lawine von Tweets begraben. Ihre Stimmen kann man aus der | |
| Kakofonie kaum noch heraushören. Daran ändern auch die 20 Minuten am | |
| Mittwoch bei SternTV nur wenig, wo eine Frau aufgetreten ist, die von Fler | |
| beleidigt wurde. Vor allem, wenn diese 20 Minuten über ein „Was bisher | |
| geschah“ nicht hinauskommen. Und die Kampagne von Terre des Femmes? Längst | |
| Nebensache. Dass Männer eine Debatte darüber führen, welcher Ton und | |
| welches Verhalten Frauen gegenüber angemessen sind, das ist Sexismus. | |
| ## Zwang zur Positionierung | |
| Aber auch die Versuche, in der Debatte so etwas wie ein Gleichgewicht zu | |
| schaffen, indem man offensiv die Beteiligung von Frauen einfordert, sind | |
| sexistisch. Frauen, die sich seit Jahren gegen Sexismus im Rap einsetzen, | |
| werden immer wieder unter Posts zum Thema verlinkt und nach ihrer Meinung | |
| gefragt. Man(n) fordert von ihnen ein, sich zur Sache zu positionieren. | |
| Man(n) verlangt von diesen Frauen unbezahlte Bildungsarbeit. Sie, die | |
| selbst davon betroffen sind, sollen die Arbeit übernehmen, und Sexismus, | |
| für den sie nicht verantwortlich sind, zu erklären. Immer und immer wieder. | |
| Können sich die Nutzer*innen wirklich nicht denken, was feministische | |
| Journalistinnen zu den frauenfeindlichen Ausfällen von Fler zu sagen haben? | |
| Braucht man tatsächlich Expertinnen, die einem erklären, dass es | |
| problematisch ist, wenn ein Rapper seine Follower*innen auf eine Frau | |
| hetzt? Und dass Zeilen wie „Dass sie kommt, es reichen zwei Finger / | |
| Mittelfinger und der am Abzug / Fick' die Bitch in meinem Wohnzimmer / | |
| Bang' sie hart, sie ist ein Gold-Digger“ ein eher ungutes Frauenbild | |
| vermitteln? | |
| Rap-Journalistinnen wie Salwa Houmsi, Miriam Davoudvandi und Helen Fares | |
| [3][leisten genau diese Art von Aufklärungsarbeit] schon seit Jahren. Wenn | |
| man wollte, könnte man sich ihre Arbeit anschauen und daraus lernen. Denn – | |
| Überraschung – die Probleme sind immer wieder dieselben – ob Gzuz oder | |
| Kollegah und Farid Bang. Aber, und das ist der springende Punkt: Houmsi und | |
| Co. haben das Recht, zu entscheiden, wann sie sich äußern. Frauen schulden | |
| niemandem etwas, wenn es um Sexismus geht. Auch nicht, wenn sie | |
| Journalistinnen sind. | |
| ## Moralische Erhabenheit | |
| Dass sie in Kommentaren immer wieder dazu aufgefordert werden, sich zu | |
| äußern, macht sie deshalb zu Recht wütend. [4][Davoudvandi] thematisierte | |
| das Problem in einem Tweet unter der Überschrift: „Ich bin sauer.“ Sie | |
| schreibt darin: „anstatt täter klar zu benennen, erwartet ihr | |
| aufklärungsarbeit von (potentiellen) opfern. eure eigene moralische | |
| erhabenheit ist euch wichtiger als die psychische gesundheit anderer.“ | |
| Sexismus ist nichts Abstraktes, das man entweder als künstlerisch wertvoll | |
| oder als vulgär einordnen kann. Sexismus ist Gewalt gegen Frauen. Und damit | |
| sind wir wieder bei der Kampagne #unhatewomen: Auch verbale Gewalt ist | |
| Gewalt. Es ist belastend, sich Texte zu geben, in denen Frauen 16 Bars lang | |
| durchgefickt werden. Und vor allem ist es belastend, immer wieder erklären | |
| zu müssen, warum das für die Psychohygiene belastend ist. Es ist belastend, | |
| sich mit den fragilen Egos von Männern zu befassen, die diesen Dreck als | |
| Kunstfreiheit verteidigen. Und wenn frau dazu keine Kraft oder auch einfach | |
| keine Lust hat, dann ist das okay. Niemand muss sich selbst aufopfern, um | |
| anderen ihre Sexismen zu erklären. Man(n) hat das zu akzeptieren und zu | |
| respektieren. No means no, auch in Sexismus-Debatten. | |
| Vor allem, weil man(n) sich nicht ansatzweise vorstellen kann, was es für | |
| Frauen bedeutet, diese Arbeit zu machen. Sie sind eben, wie Davoudvandi | |
| schreibt, immer auch potenziell Opfer. Jede Äußerung in einem Artikel oder | |
| Tweet kann eine Eskalation zur Folge haben – on- oder offline. Das haben | |
| die letzten Tage mehr als deutlich gezeigt. Sich gegen Sexismus zu | |
| positionieren, kann bedeuten, dass ein Kopfgeld auf eine Frau ausgesetzt | |
| wird. Es kann bedeuten, dass Männer sich bemüßigt fühlen, Dick-Pics zu | |
| senden. | |
| Es bedeutet ziemlich sicher immer, dass frau sich mit Kommentaren in | |
| unterschiedlichen Ekelgraden herumschlagen muss, wie unter anderem | |
| Antworten auf einen Tweet von Fler zur Stern-TV-Sendung am Mittwochabend | |
| eindrucksvoll belegen. Unter dem Foto von Olivia B. finden sich „Perlen“ à | |
| la: „Der sieht man schon ihre hinterfotzigkeit an“ und „ey du schwanz hei… | |
| nutte“. Ein Nutzer fragt, ob sich durch die höhere Sichtbarkeit jetzt das | |
| Kopfgeld erhöht hat. Fehlen eigentlich nur noch die Deutschrap-Apologeten | |
| von der Fraktion „Alles ist Kunst, solange ich es sage“. | |
| Wenn sich deshalb Frauen dazu entscheiden, sich nicht an einer Debatte zu | |
| beteiligen, darf man sie nicht dazu zwingen. Stattdessen müssen alle, vor | |
| allem Männer, realisieren, dass es an ihnen liegt, Bedingungen zu schaffen, | |
| unter denen Frauen mitreden können. Ohne Angst vor verbalen und | |
| körperlichen Übergriffen. Ohne Angst vor Sexismus. | |
| 5 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.frauenrechte.de/ | |
| [2] https://www.unhate-women.com/de/ | |
| [3] /Feministischer-Sprechgesang-aus-Bayern/!5513074 | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=Tz5Vfo0NV5s | |
| ## AUTOREN | |
| Laura Sophia Jung | |
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